Am Ende verliert die Schweiz gegen Russland 3:4. Und die Versuchung ist gross, zu sagen: eine Niederlage, die uns weiterbringt. Aber das ist natürlich Unsinn. Eine Niederlage bringt eine Mannschaft an einer WM nie weiter.
Item, die Schweizer sind für ihren Mut zum spielerischen und taktischen Risiko, zum «totalen» Hockey nicht belohnt worden. Der Versuch, die Russen im Vorwärtsgang zu überrollen, mündet auf dramatische Art und Weise in eine bittere Niederlage.
Dieser Untergang mit fliegenden Fahnen hat auch taktische Gründe. Der letzte Punktgewinn gegen Russland ist 13 Jahre her: 3:3 bei der WM 2005 in Wien (als es in den Gruppenspielen noch Unentschieden gab). Aus einer Zeit, als wir uns gegen die Titanen vor allem auf das Spiel ohne Scheibe, auf Blockieren, aufs Spiel verhindern konzentrierten. Von mitspielen konnte nicht die Rede sein. Wir haben die grossen Siege gegen die Russen bei WM-Turnieren (4:2/1998, 3:2/2000) mit «Beton-Hockey» erreicht.
Nun haben die Schweizer die Russen spielerisch herausgefordert wie noch nie an einer WM. Sie tanzten mit dem Titanen auf eine mitreissende Art und Weise (27:23 Torschüsse!). Und am Ende fehlt nicht viel. Ein bisschen mehr Disziplin hätte beispielsweise die kleinliche Strafe gegen Tristan Scherwey und gleich anschliessend den nächsten Ausschluss wegen eines Wechselfehlers verhindert. Zwei Spieler auf der Strafbank: Das muss gegen einen Grossen wie Russland tabu sein. Die Folge ist das 3:1 – und einmal mit zwei Toren in Führung, sind die Russen nicht mehr zu packen.
Patrick Fischer und Russlands Cheftrainer Ilja Worobjow werden hinterher diesen «Doppelausschluss» als die entscheidende Phase des Spiels bezeichnen. Patrick Fischer sagt zum gefühlten hundertsten Mal in dieser Saison nach einem Spiel den Satz: «Wir haben zu viele Fehler gemacht.»
In diesem Zusammenhang ist zu sagen: Wechselfehler ziehen sich wie ein roter Faden durch diese Saison. Auch beim olympischen Turnier kassierten wir eine Strafe wegen zu vielen Spielern auf dem Eis. Hier gilt für den Nationaltrainer: tun, nicht sagen. Mehr Disziplin beim Wechseln durchsetzen. Das liegt in seiner Verantwortung.
Mag sein, dass es mit einer Prise defensiver Seriosität wie in der «guten alten Beton-Zeit» für einen Punktgewinn gereicht hätte. Aber dieser Mut zur Offensive, zum riskanten Vorwärtsdrang, diese Dynamik und spielerische Risikobereitschaft ermöglichen es, jeden Gegner herauszufordern. Jeden Gegner ins Wanken zu bringen.
Die Schlussphase der Partie gegen Russland gehört zum Besten, was die Schweizer an einer WM gezeigt haben, die Silber-WM 2013 inklusive. Im Powerplay (der Torhüter ersetzt durch einen 6. Feldspieler) gelingt der Anschlusstreffer zum 3:4 (58:12 Min.). Zu spät. Die Russen biegen sich unter unserem Ansturm. Aber sie brechen nicht.
Unsere WM-Mannschaft hat die Spieler für diese Art von «totalem» Hockey. Sie ist nicht gebaut für Defensivhockey und taktische «Fallenstellerei». Das talentierteste WM-Team aller Zeiten ist zur «Flucht nach vorne» verurteilt. Erst recht, wenn ab sofort auch noch Roman Josi und Kevin Fiala zur Verfügung stehen. Ja, vielleicht hätte es mit Josi und Fiala gegen die Russen zu einem Punktgewinn gereicht.
Nun bleiben gegen Schweden (heute 20.15 Uhr) und gegen Frankreich (Dienstag, 12.15 Uhr) noch zwei Partien für die «Medaillen-Feinabstimmung.» Will heissen: zwei Partien und ein paar Trainings, um ein Details im Defensivverhalten zu verbessern, Fehler abzustellen und eine Antwort auf die Frage zu finden, wer uns im Viertelfinale unter die letzten Vier hexen kann.
Reto Berra zeigte gegen die Russen grosse Paraden und vieles spricht dafür, dass er die Gunst der Hockey-Götter geniesst (dreimal «rettete» die Torumrandung). Aber er hatte noch nicht ganz die ultimative Dominanz und Sicherheit, die ihn bei der Silber-WM 2013 im Halbfinale (3:0 gegen die USA) ausgezeichnet hat. Vielleicht doch Leonardo Genoni?
Es ist, wie es ist: Die Torhüterleistung entscheidet in letzter Instanz, ob es fürs Halbfinale oder gar eine Medaille reicht. Wir brauchen Reto Berra in der Halbfinalform von 2013.
P.S. es gibt noch immer die theoretische Chance des schmählichen Scheiterns. Fürs Viertelfinale braucht es am Dienstag im letzten Spiel einen Sieg gegen Frankreich. Wenn wir allerdings mit dieser Mannschaft Frankreich nicht besiegen, dann muss Nationaltrainer Patrick Fischer noch in Kopenhagen gefeuert werden.