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Ach, welch eine Szene. Hollywood pur. Wahrscheinlich ist in mehr als tausend Jahren Kirchengeschichte nie ein so ehrliches, leidenschaftliches «Mea Culpa» zelebriert worden. «Mea Culpa» bedeutet «meine Schuld». Seit dem 11. Jahrhundert wird in der katholischen Kirche unter dieser Bezeichnung ein Schuldbekenntnis gesprochen.
«Ich bekenne. Ich habe gesündigt in Gedanken, Worten und Werken durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine grosse Schuld.»
Langnau hat gegen den EV Zug nach zwei Dritteln 3:0 geführt und doch noch 3:4 verloren. Die vierte Niederlage in Serie. Drinnen in der Kabine tobt Trainer Scott Beattie. Draussen vor der Kabine steht Pascal Berger. Er war beim SC Bern in den letzten neun Jahren ein meisterlicher Mitläufer auf dem Eis und ein Hinterbänkler in der Kabine. Nun ist er in Langnau zum ersten Mal in seiner Karriere einer der Leitwölfe, der in einer kritischen Situation den Chronisten (eine Chronistin war nicht da) Red und Antwort zu stehen hat.
Erst fallen die Worte, die jeder Spieler nach einer ärgerlichen Niederlage sagt und die man nicht zitiert. Und dann hat sich Pascal Berger soweit beruhigt, dass er zum «Mea Culpa» übergehen kann. Mehrmals wiederholt er seine grosse eigene Schuld. Auch er sei nicht dazu in der Lage gewesen, aufzustehen und die Mannschaft mitzureissen. Alle hätten Fehler gemacht. Chaos habe in der neutralen und in der eigenen Zone geherrscht. Niemand habe die Fehler des Mitspielers ausgebügelt. Und ganz besonders bemerkenswert: Er sagt mehrmals ausdrücklich, auch der Trainer habe Fehler gemacht. Ohne zu präzisieren, welche Fehler dem Chef unterlaufen sind.
In 35 Jahren habe ich noch nie einen Spieler erlebt, der nach einer Partie so offen den Trainer kritisiert hat. Nur ganz am Schluss huscht doch noch ganz kurz ein Lächeln über sein Gesicht. Ein vorwitziger Chronist fragt ihn, ob eigentlich letzte Saison Guy Boucher in Bern auch so laut getobt habe wie vorhin Scott Beattie.
Diese Szene mag den Ernst der Lage nach dem schlechtesten Saisonstart seit elf Jahren dokumentieren. Pascal Berger ist ein ehrlicher Junge. Sein Auftritt ist die personifizierte Verzweiflung. Er spürt, dass etwas nicht mehr stimmt. Für diese Situation haben die Emmentaler einen treffenden Ausdruck. Es ist «Matthäi am Letzten». Die Redewendung bedeutet, dass dies der letztmögliche Termin oder Zeitpunkt für Irgendetwas ist. In diesem Falle für eine sofortige Besserung – oder die Entlassung des Trainers. «Matthäi am Letzten» schon Mitte September.
Nun gibt es zum Zustand der SCL Tigers eine freundliche und eine unfreundliche Analyse. Die freundliche Analyse geht so: Kein Grund zur Sorgen. Alles nur billige Polemik. Die Mannschaft hat gegen drei Teams verloren, die in der Champions Hockey League eine Runde weitergekommen sind (SC Bern, ZSC Lions, Zug). Also europäisches Format haben. Gegen die Zürcher und die Zuger wäre ein Sieg möglich gewesen. Und gegen Genf hat man im dritten Spiel auswärts immerhin einen Punkt geholt. Letzte Saison gab es erst im elften Spiel auswärts Punkte.
Die unfreundliche Analyse geht so: Es fehlt nicht an der Einsatzbereitschaft. Alle laufen, aber anders als bei einer Stampede laufen nicht alle in die gleiche Richtung und deshalb ist es nicht einmal gutes Cowboy-Hockey. Die Mannschaft ist ein wirrer Haufen ohne taktisches Konzept. Die Spieler sind verunsichert und überfordert. Sie verlieren viel zu viele Zweikämpfe. Es gelingt nicht, wahre Leidenschaft zu entfachen.
Ganz besonders beunruhigend: Chris DiDomenico, der Leitwolf und Feuerkopf der Aufstiegsmannschaft und der letzten Saison, ist bloss ein Mitläufer. Letzte Saison hatte der in seinen ersten vier Partien drei Tore und vier Assists erzielt. Jetzt hat er nach vier Spielen erst drei Assists produziert. Sage mir, wie Chris DiDomenico spielt und ich sage Dir, wie es um Langnau steht.
Die Langnauer haben nun vier Spiele hintereinander so gespielt wie einst die Lakers. Also wie die Mannschaft, die wie keine andere in diesem Jahrhundert für Verlierermentalität steht. Die SCL Tigers sind die neuen Lakers. Ein schlimmerer Vergleich ist nicht denkbar.
Was stimmt nun? Die freundliche oder die unfreundliche Analyse? Die unfreundliche Analyse ist viel näher an der Wahrheit. Das Problem ist nicht nur die fehlende spielerische Qualität der Mannschaft. Das Problem ist die verlorene Identität. In ihrer ganzen Geschichte waren die Langnauer immer Aussenseiter. Selbst in meisterlichen Zeiten war es stets ein trotziges «Wir gegen den Rest der Welt». Das ist die DNA dieser Hockeykultur. Deshalb behaupten sich die Langnauer als Dorfclub auch im Hockey-Business des 21. Jahrhunderts.
Aber nun ist diese Identität verloren gegangen. Entgegen allen Prognosen haben die Langnauer letzte Saison den Ligaerhalt geschafft. Ja, sie haben erstmals in ihrer Geschichte in der NLA einen sechsstelligen Gewinn eingefahren und sind aller wirtschaftlichen Sorgen los.
Die Langnauer sind zum ersten Mal überhaupt sorglos in eine Saison gestiegen. Es geht ihnen zu gut. Dazu passt ein freundlicher Trainer, den alle mögen und den tief in der Seele niemand ernst nimmt. Alle sind nett zueinander. Sportchef Jörg Reber hat in den letzten zwei Jahren mit mutigen, höchst umstrittenen Entscheiden gegen den Rat aller Mahner recht behalten. Also hat er auch jetzt recht.
Die Zeit wird knapp. Das Schicksal von Scott Beattie entscheidet sich bereits bis zum 1. Oktober in den nächsten vier Partien (Lugano, Ambri, Lausanne, Biel). Es bleiben die zwei Wochen bis Ende September um zu verhindern, dass sich der Sportchef, der Trainer und die Spieler ans Verlieren gewöhnen und alle wie die Lakers werden. Am Ende dieser Entwicklung steht der Abstieg.