Chris McSorley bringt es auf den Punkt. Er sagt nach dem 6:3-Sieg in Biel: «Kein anderer Trainer macht aus so wenig so viel wie Kevin Schläpfer.» Ein grosses Kompliment. Aber eben auch die diplomatische Form einer gnadenlosen Analyse. Servettes charismatischer Bandengeneral hat ja schon recht: Kevin Schläpfer hat wenig. Biels Abwehr ist nominell eigentlich die schwächste der Liga. Noch schwächer als die Verteidigung der Lakers.
Das Schlusslicht kann wenigstens mit dem Kanadier Derek Walser und dem Schweden Johan Fransson zwei Ausländer sowie mit Cédric Hächler einen aktuellen Nationalverteidiger aufbieten. Biel hat zwar auch Verteidiger mit Nationalmannschaftserfahrung. Nur spielen sie nicht wie solche.
Mit den Abwehr der Lakers würde Kevin Schläpfer die Hockeywelt vorkommen wie das Leben auf einer Ponyranch. Und so ist es kein Wunder, dass der Held des Freitags nun der Samstag-Depp wird: Torhüter Simon Rytz zahlt gegen Servette die Rechnung für seinen generösen Einsatz in Kloten. Vielleicht hätte Kevin Schläpfer von seinem Prinzip der Doppeleinsätze abrücken und Lukas Meili einsetzten müssen.
Simon Rytz trägt an der Niederlage gegen Servette keine Schuld. Er hatte einfach nicht mehr die Kraft, die zahllosen Fehler seiner Lotter-Verteidiger auszubügeln wie am Vorabend. Er lässt diese Analyse zwar nicht gelten: «Im ersten Drittel hatte ich noch etwas Mühe, aber dann fühlte ich mich gut.»
Aber es ist, wie es ist: Zwei solche Spiele waren für ihn zu viel. 50 Pucks zischten in Kloten auf seinen Kasten und auch gegen Servette waren es noch einmal 35. Zum Vergleich: Klotens Martin Gerber musste bei der Niederlage gegen Biel bloss 23mal eingreifen und auch in Lausanne hielt sich sein Arbeitsaufwand mit 31 Torschüssen in vernünftigen Grenzen.
Chris McSorley ist ein schlauer Fuchs. Er weiss um die Schwächen der Bieler und er findet, anders als Sean Simpson, das richtige Rezept. Gezielt fräsen seine Stürmer durch die Bieler Defensivzone und machen unerbittlich Druck auf die Verteidiger. Das Resultat: Hast und Hektik. Verlorene Zweikämpfe, zu viele Stellungsfehler, zu viele Fehlpässe, zu wenig Einschüchterungspotenzial.
Gegen die grossmehrheitlich weichen Lauf- und Tempostürmer hatten Biels Verteidiger ein Herrenleben gehabt und nur einen Treffer zugelassen. Aber gegen die geradlinig und bärbeissig geführte Störarbeit der Servette-Angreifer sind sie bald einmal heillos überfordert und am Ende ist selbst der tapfere Simon Rytz machtlos.
46 von 50 Qualifikationspartien sind gespielt. Aber nach wie vor ist nicht klar, wer den 8. und letzten Playoffplatz ergattert. Die Nordamerikaner pflegen zu sagen: «It’s not over before the fat lady sings.» (Es ist nicht vorbei, bevor die dicke Lady gesungen hat). Der Spruch ist im nordamerikanischen Sport populär. Um zu sagen, dass es erst vorbei ist, wenn es vorbei ist.
Diese Redewendung kommt aus der Oper. Richard Wagners legendäre Nibelungen-Oper. Das grandiose Stück endet mit der «Götterdämmerung» und die wiederum klingt mit dem Gesang der mächtigen Walküre Brünhild aus. Meistens vorgetragen von einem stattlichen Frauenzimmer («fat lady»). Die Oper ist also nicht zu Ende, bevor sie gesungen hat und sinngemäss gilt: Die sportliche Entscheidung nicht gefallen, bevor die dicke Lady gesungen hat.
Biels «Hockeygott» hat die dicke Lady nach wie vor nicht zum Singen verführen können. Für die Kloten Flyers ist die Sache mit der «fat lady» ein Trost und für die Bieler nach der dramatischen 3:6-Heimniederlage gegen Servette eine eindringliche Warnung: Es ist noch nicht vorbei.
Die dicke Lady wird wahrscheinlich so bald nicht singen. Die dritten Playoffs unter Kevin Schläpfer nach 2012 und 2013 sind nicht in trockenen Tüchern. Biel bleiben vier Spiele vor Schluss fünf Punkte Reserve auf Fribourg und sechs Punkte Vorsprung auf Kloten – wobei die Flyers wegen der schlechteren Bilanz in der Direktbegegnung am Schluss einen Punkt mehr haben müssen.
Diese Ausgangslage zeigt uns, wie wichtig Biels 2:1 n.P in Kloten am Freitag war – und wie ärgerlich die 3:6-Pleite gegen Servette ist. Biels grosse Sorge: Kloten spielt noch zweimal (am Dienstag und am Freitag) gegen die Lakers. Allerdings ist nicht mehr so sicher, ob es tatsächlich sechs Gratispunkte für die Flyers geben wird. Immerhin hat das Schlusslicht am Samstag gegen Lugano 4:2 gewonnen.