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Eishockey: Wie Wiener Schmäh den SCB befeuert

SCB Cheftrainer Mario Kogler spricht waehrend einem Timeout zu seinen Spielern, im zweiten Spiel der Eishockey Pre-Playoff Serie der National League zwischen dem SC Bern und HC Davos, am Freitag, 9. A ...
SCB-Cheftrainer Mario Kogler spricht während eines Timeouts zu seinen Spielern.Bild: keystone
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Mario, «Streiti» und «Schatti»: Wie Wiener Schmäh den SCB befeuert

Wie kann es sein, dass der SC Bern das beste Zug der Geschichte herauszufordern vermag? Die Erklärung ist gar nicht so schwierig.
17.04.2021, 08:1117.04.2021, 13:14
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Erst einmal ein Blick zurück ins letzte Jahrhundert, der uns hilft, die Gegenwart ein wenig zu verstehen.

Dänemark verpasst die sportliche Qualifikation für die Fussball-EM 1992. Dann wird Jugoslawien aus politischen Gründen vom Wettbewerb ausgeschlossen. Die Dänen dürfen im letzten Moment doch zum Turnier fahren.

Sie sind eigentlich chancenlos. Einige Spieler müssen sogar aus den Ferien zurückgeholt werden. Eine seriöse Vorbereitung ist nicht mehr möglich.

Am Ende steht eine der grössten Sensationen der Fussballgeschichte: Dänemark besiegt im Final den damaligen Weltmeister Deutschland 2:0 und wird Europameister.

Das Beispiel ist bewusst gewählt. Es zeigt einen Mechanismus, der sportartenübergreifend Mannschaften befeuert.

Notregelung «Pre-Playoffs» sei Dank

Wir finden nun einige Parallelen zum SCB von 2021. Eigentlich haben die Berner mit dem 9. Rang die Qualifikation für die Playoffs verpasst wie die Dänen jene für die EM-Endrunde 1992.

Aber dank der Notregelung «Pre-Playoffs» sind die Berner nun doch dabei. Der HCD ist schon besiegt. Ein Weiterkommen gegen Zug wäre eine ähnliche Sensation wie der dänische EM-Triumph von 1992.

Die dänische Sensation ist ein Schulbeispiel dafür, welche Energien geweckt werden und was möglich ist, wenn der Sport für eine Gruppe junger Männer unverhofft ein aufregendes Abenteuer wird. Wenn sich überraschend eine einmalige Chance bietet.

Ähnlich war es auch beim Finalsturm der Schweizer bei der WM 2013 und 2018. Oder beim SCB-Titelgewinn von 2016. Und, schon fast vergessen: wie beim ZSC im Frühjahr 1992, als Arno Del Curto im November Pavel Wohl ersetzte und im Playoff-Viertelfinal die Zürcher zur Bodigung des übermächtigen HC Lugano führte.

«Schablonen-Kari» und seine Taktik

Beim SCB kommt noch ein Faktor hinzu: Unter dem taktischen Zuchtmeister Kari Jalonen waren die Erfolge zwar maximal – dreimal hintereinander Qualifikationssieger, zweimal Meister. Aber nach und nach erstarrte ein unberechenbares, emotionales Spiel in Taktik («Schablonen-Kari»). Die Freude ging verloren.

Der Spass ist erst mit Mario Kogler zurückgekehrt. Die unergründlichen Gänge und Läufe des Hockeygeschäftes haben dem erst 33-jährigen Österreicher im Dezember das SCB-Cheftraineramt beschert. Als Nachfolger des Irrtums Don Nachbaur.

Er hat eigentlich keine Chance. Also packt er sie. Perfekte Voraussetzungen für eine Sensation. Und eine Sensation ist der SCB-Saisonschlussspurt schon jetzt.

Mario Koglers Persönlichkeit spielt bei der SCB-Ehrenrettung eine zentrale Rolle. Der Gegensatz zum autoritären Kari Jalonen könnte grösser nicht sein. Mario Kogler kommt zwar aus Klagenfurt. Er ist kein Wiener. Aber er hat das, was wir als «Wiener Schmäh» bezeichnen: die besondere österreichische Art der Lebensphilosophie, des Humors und der Kommunikation, die bis in die kaiserlichen Zeiten von Franz Josef, Sissi und Katharina Schratt zurückreicht. Mario Kogler ist deshalb auch schon als «Hansi Hinterseer des Hockeys» bezeichnet worden.

Seine Art ist erfrischend. Erst recht in einer so streng hierarchisch strukturierten Organisation wie der Hockey-Firma SC Bern. Bei der Selbstironie, Sinn für Humor und Kritikfähigkeit inzwischen nicht mehr zur DNA einer Führungsetage gehören, die von den Schwingen des Grössenwahns gestreift worden ist.

Kommunizieren, nicht kommandieren

Wenn wir uns über sein Coachingteam unterhalten, dann redet Mario Kogler ganz spontan von «Streiti» oder von «Schatti» (Mark Streit, Alex Chatelain). Wiener Schmäh eben.

Nach dem autoritären Kari Jalonen und Don Nachbaur - einem Banden-Clown, der für die Spieler nicht lustig war - wirkt Mario Kogler wie eine erlösende Lichtgestalt.

Er gehört zur neuen Generation der Führungspersönlichkeiten: Eine klare Linie vorgeben. Aber erklären, nicht befehlen. Führung im Kollektiv, um noch mehr Wissen, Erfahrung und Kompetenz einzubringen. Mario Kogler sagt über sich: «Ich bin ja nicht allwissend.»

Der SCB-Trainer führt aus, die neue Spielergeneration trete Autoritäten selbstbewusster entgegen. «Die Jungen wollen wissen, warum sie etwas tun sollen. Sie fordern Erklärungen.» Dann sei es wichtig, Antworten zu haben und Lösungen aufzeigen zu können.

Kommunizieren, nicht kommandieren. Mario Kogler ist ein Banden-Demokrat und kein Banden-General. Kein Josef Wenzel Radetzky von Radetz oder Franz Conrad von Hötzendorf. Eher wie Bernie Sanders. «Ganz so liberal bin ich doch nicht. Aber definitiv bin ich kein Banden-General.»

Kogler übernimmt Verantwortung

Und so arbeitet er eng mit seinen Assistenten zusammen: mit Nebensportchef Alex Chatelain, vorübergehend an die Bande abdetachiert, mit Alex Reinhard und mit Verwaltungsrat Mark Streit, der temporär wieder aufs Eis zurückgekehrt ist.

Die Arbeit wird aufgeteilt. Während sich Alex Chatelain und Alex Reinhard im Training und in den Meetings mehr mit defensiven Themen beschäftigen, ist Mark Streit fürs Powerplay zuständig. Während des Spiels sitzt der ehemalige NHL-Titan oben auf der Tribüne und ist per Funk mit Alex Chatelain verbunden. Er gibt Inputs und entscheidet per Funk, wann eine «Coach’s Challenge» genommen wird. Mario Kogler versteckt sich nicht hinter seinen Kollegen: «Die Verantwortung für die letzten Entscheidungen liegen bei mir.»

Der Berner Head Coach ad interim Mario Kogler (AUT) im ersten Eishockey-Pre-Playoff Qualifikationsspiel der National League zwischen dem HC Davos und dem SC Bern, am Mittwoch, 7. April 2021, im Eissta ...
Mario Kogler am 7. April 2021.Bild: keystone

So haben die Hockey-Götter beim SCB im Laufe dieser Saison ein Coaching-Team formiert, das so in normalen Zeiten nie zusammengefunden hätte. Ein wenig wie eine Hockey-Version der deutsch-österreichischen Musikkomödie «Die lustigen Vier von der Tankstelle» aus den 1970er Jahren.

Weil die Kabine und die Leistungskultur beim SCB auch in den Zeiten der Wirrnis immer intakt geblieben sind, zeigt dieser für SCB-Verhältnisse ungewohnt antiautoritäre Führungsstil umso grössere Wirkung.

Der Spass, die Emotionen sind nach langen Monaten der Niederlagen, der Schmähungen, der zeitweisen Verbannung auf den letzten Platz und der Wirren in der sportlichen Führung zurück. Nun bietet sich die Chance, wenigstens vorübergehend alles vergessen zu machen. Nach dem Motto: Lasst uns rocken und rollen.

Schwierige Ausgangslage

Bereits jetzt ist klar, dass es diese Konstellation nie mehr geben wird. Viele Spieler gehen: Goalie Tomi Karhunen heim nach Finnland, Yanik Burren, Inti Pestoni und André Heim nach Ambri, Kyen Sopa in die Organisation der ZSC Lions, Miro Zryd nach Langnau. Sie werden nicht ersetzt und was das für Folgen haben wird, wollen wir an dieser Stelle nicht erörtern.

Das Coaching-Team wird sich in alle Winde zerstreuen wie die Ingenieure nach dem Turmbau zu Babel. Oder beim SCB wieder in anderer Funktion tätig sein. Eigentlich wäre Mario Kogler in Biel der perfekte Nachfolger von Trainer-Assistent Anders Olsson. So wie es die «Berner Zeitung» schon angeregt hat.

Biels Assistenstrainer Anders Olsson (SWE), hinter der Bande musste heute als Head Coach einspringen, im Eishockey-Qualifikationsspiel der National League zwischen dem HC Davos und dem EHC Biel, am Fr ...
Trainer-Assistent Anders Olsson beim Spiel HCD–EHC Biel.Bild: keystone

Gerade diese ganz besondere Ausgangslage dürfte eine nicht zu unterschätzende Wirkung haben: Weil Mario Kogler schon jetzt weiss, dass er nächste Saison nicht mehr an der Bande stehen wird, braucht er auch keine Rücksichten auf Befindlichkeiten und innenpolitische Konstellationen zu nehmen.

In einem positiven Sinne kann er die Mannschaft nach dem Motto «nach mir die Sintflut» führen. Er sagt: «Da mag was dran sein.» Aber es müsse schon alles Sinn machen.

Mario Kogler hat eine einmalige Chance bekommen. Und er hat sie genützt. Wie weit die Reise für den SCB in diesen Playoffs auch noch gehen mag, ist unerheblich: Mario Kogler ist einer der unerwarteten grossen jungen Aufsteiger und Sieger dieser Saison. Ein bisschen wie Sebastian Kurz in der österreichischen Politik. Aber skandalfrei.

Wir haben oft gespottet. Nun verneigen wir uns.

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68 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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derSchwitzer
17.04.2021 10:05registriert Januar 2019
Sorry, aber ein Klagenfurter hat mit einem Wiener soviel gemeinsam wie ein Romand und einem Appenzeller. Nett gemeinter Vergleich, aber völlig falsch. Der Wiener Schmäh wird in Klagenfurt eher gehasst und der Vergleich würde einem Kärntner wohl die Zornesröte ins Gesicht treiben.
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Liebu
17.04.2021 09:16registriert Oktober 2020
Bern kann nur gewinnen und Zug nur verlieren.
Bern hat absolut keinen Druck und kann nur gewinnen, da ein Ausscheiden gegen Zug normal wäre.
Zug hat immensen Druck, sie können nur verlieren, da der Meistertitel nicht nur Ziel, sondern Erwartung ist.
Hier setzt das Mentale ein. Es ist halt nicht dasselbe, ob du gewinnen willst oder nicht verlieren. Das eine ganz andere Spielweise.
Gewinnen wollen spielt man offensiv,nicht verlieren wollen eine Defensive Spielweise.
Bern kann sein Feuerwerk zünden und wenn sie verlieren, haben sie trotzdem mehr erreicht, als erwartet wurde.
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maylander
17.04.2021 09:36registriert September 2018
Der SCRJ Sieg wäre auch einen Bericht wert.
Das ist auch eine sehr schöne Geschichte.

Alle Serien ausgeglichen für die neutralen Fans optimal.
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68
Bald wieder «grande»? Dank einem Umdenken und Goalie Schlegel ist Lugano wiedererstarkt
Der HC Lugano kann sich am Donnerstag (20 Uhr) im Showdown gegen den Qualifikations-Zweiten Fribourg-Gottéron erstmals seit 2018 für die Playoff-Halbfinals qualifizieren. Das ist auch einem Umdenken zu verdanken.

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