Die wilden, mutigen, bissigen Zürcher stürmten nach dem 6:3 gegen Davos nun in Zug ihrem zweiten Sieg entgegen. Und hätten sie nicht das schmucke Gewand der ZSC Lions getragen, hätten sie wohl gesiegt. Aber zur DNA des Ensembles aus dem Hallenstadion gehört seit Anbeginn der Zeiten eben auch Drama.
Roman Wick personifiziert diese neuen ZSC Lions. Mit seinen Rushes auf den Aussenbahnen hatte er bereits am Vorabend das Spiel gegen den HC Davos beschleunigt und mit seiner Schlauheit die HCD-Abwehr in Atem gehalten. Nun überwindet er Zugs Leonardo Genoni zum 1:0 und assistiert beim 3:1. Er stürmt neben Garrett Roe und Pius Sutter. Es ist die beste Formation der Zürcher, die sich, wenn sie weiterhin genug Energie für diese Spielweise haben, in der Spitzengruppe behaupten werden.
Aber die Hockey-Götter liebten es schon im alten Hallenstadion die ZSC-Helden wieder zu stürzen. Die Zürcher führen noch 4:3 und eigentlich müssten sie diesen Vorsprung über die Zeit bringen. Eigentlich. Da trifft Roman Wick in der 58. Minute Zugs Verteidiger Dominik Schlumpf unabsichtlich mit dem Stock im Gesicht. Absicht oder nicht spielt regeltechnisch keine Rolle. Jeder ist für sein Arbeitsgerät verantwortlich. Er kassiert zweimal zwei Minuten.
Die Zuger gleichen zum 4:4 aus und bringen die ZSC Lions in der Verlängerung schon nach 16 Sekunden um den grössten Teil ihrer Anstrengungen.
Zugs Problem ist zu viel Talent. Untalentierte Verteidiger schlagen den Puck in der Regel so schnell wie möglich einfach aus der eigenen Zone. Sie riskieren nichts. So werden sie selten das Opfer der forecheckenden gegnerischen Stürmer.
Talentierte Verteidiger behandeln die Scheibe freundlich, schlagen sie nicht und behalten sie ein wenig länger. Sie laufen oft ein, zwei Schritte, beobachten die vorne ausfächernden Mitspieler und streben nach dem öffnenden Pass. In dieser Phase sind sie «verletzlich» und werden oft das Opfer der heranbrausenden, hart einsteigenden gegnerischen Stürmer.
Genau so ist es den Zugern gut zwei Drittel lang ergangen. Ihre Abwehr lotterte gegen die heftig attackierenden Zürcher. Bereits am Vorabend drei Gegentreffer gegen Ambri (4:3-Sieg) und nun 24 Stunden später, vier Gegentore gegen die ZSC Lions. Zu viele für einen Titelkandidaten. Aber es ist ja erst September.
Leonardo Genoni ist nach zwei Partien mit einer Fangquote von 88,52 Prozent erst die statistische Nummer 10 der Liga. Aber er lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und sagt: «Wir müssen die Anzahl Gegentreffer reduzieren.» Er brauche Zeit, um sich an seine neuen Vorderleute zu gewöhnen und umgekehrt. «Das war am Anfang in Bern auch nicht anders.»
Wo er recht hat, da hat er recht. Leonardo Genoni ist der smarteste Goalie der Liga. Die Kombination aus Spielintelligenz, der Fähigkeit, das Spiel zu lesen und die Abwehr zu dirigieren plus Reflexe macht ihn zu einem grossen Torhüter. Ein reiner Reflex-Goalie würde sich schneller anpassen – und könnte dann nicht mehr viel besser werden.
Coach Dan Tangnes hat einen hohen Anteil an der Wende. Nicht oft trägt aktives Coaching so reiche Früchte. Der kommunikative Norweger wird mehr und mehr ein Jürgen Klopp des Eishockeys.
Er gibt seiner Mannschaft den entscheidenden Impuls. Das 3:4 (bei Gleichstand) und das 4:4 (im Powerplay) erzielen die Zuger mit sechs Feldspielern und ohne Torhüter. «Manchmal funktioniert’s, manchmal nicht» wird Dan Tangnes hinterher sagen. Wenn man die Energie auf der Bank spüre, könne man das Wagnis eingehen. «Ich wollte auch ein Zeichen setzen: Hey, wir haben nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen.» Diese dramatische Wende war die grosse Stunde des Strategen.
Meisterschaften werden nicht im September gewonnen. Und doch ist dieser Sieg gegen einen sehr starken Gegner im Hinblick auf die noch fernen Playoffs sehr wichtig für das Selbstvertrauen einer Mannschaft, die seit 1998 in der entscheidenden Phase immer gescheitert ist.
Dieser Drama-Sieg ist ein kleiner Schritt auf dem langen, langen Weg von einer guten zu einer grossen, einer meisterlichen Mannschaft. Zwar hatte Dan Tangnes Ursache zu grundsätzlicher Kritik. «Wir haben zwei Drittel lang so gespielt, als hätten wir schon drei Punkte. Erst dann kapierten wir, dass wir uns die Punkte erkämpfen müssen.»
Aber die Disziplin stimmte vom missglückten Anfang bis zum dramatischen Happyend: keine Strafe, keine Frustrations-Fouls als es nicht lief, keine negative Körpersprache. Siegermentalität ist auch die Summe guter Gewohnheiten. Auf guteGewohnheiten achten meisterliche Teams schon im September.
Die Wende war für die Zuger auch deshalb möglich, weil sie das bessere ausländische Personal als die Zürcher haben. Beim 4:3 in Ambri hatten nur Schweizer getroffen. Gegen die ZSC Lions machten die ausländischen Stürmer mit vier von fünf Toren die Differenz und dominierten die dramatischen letzten Minuten: Jan Kovar machte aus dem 2:4 ein 4:4 und Oscar Lindberg traf in der Verlängerung mit einem Kunstschuss zum 5:4.
Wenn Geld keine Rolle spielt wie in Zug und Zürich, dann gibt es für den Sportchef keine Ausreden, wenn er nicht alle vier Ausländerpositionen erstklassig zu besetzen vermag. ZSC-Sportchef Sven Leuenberger kann mit Marcus Krüger (2 Spiele/0 Punkte) und Fredrik Pettersson (2 Spiele, 2 Assists gegen den HCD) noch nicht zufrieden sein. Er hat ein Ausländer-Problem. Mit vertauschtem ausländischem Personal hätten die ZSC Lions mit ziemlicher Sicherheit gewonnen.
Der EVZ liess sich nicht aus der Bahn werfen und gab mental und spielerisch nicht auf.
Der ZSC spielte voll durch und ruhte sich nicht auf den Lorbeeren aus.
Am Ende machte wohl eine Portion Glück und etwas mehr Biss den Sieg aus.
Andererseits, wer den Mut hat, den Goalie fast 4 Minuten vor Ende durch einen zusätzlichen Feldspieler zu ersetzen, darf auch mal dafür belohnt werden.
Wir können aber, glaube ich, jetzt bereits sagen, dass wir dieses Jahr einen ganz anderen zsc sehen werden, der dem Kader entsprechend spielen wird. Teilweise unglaublich, wie viele Pässe abgefangen und Gegenstösse lanciert wurden.