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Eismeister Zaugg

Sind die Berner taktisch folgsam, dann zieht der HC Davos ins Finale ein

Werden die SCB-Spieler auf Trainer Guy Boucher hören? Oder sich die eine oder andere Ungehorsamkeit leisten?
Werden die SCB-Spieler auf Trainer Guy Boucher hören? Oder sich die eine oder andere Ungehorsamkeit leisten?Bild: KEYSTONE
Eismeister Zaugg

Sind die Berner taktisch folgsam, dann zieht der HC Davos ins Finale ein

Mit Arno Del Curto (58) und Guy Boucher (43) würfeln die zwei extremsten Trainer um den Finaleinzug. Berns Erfolg ist eine Frage des taktischen Ungehorsams.
17.03.2015, 10:5917.03.2015, 12:02
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Arno Del Curto und Guy Boucher sind einerseits gegensätzlich und andererseits doch erstaunlich ähnlich. Beide gehen davon aus, dass der Erfolg nur durch totales Engagement möglich ist. Diese Meinung vertreten eigentlich alle Trainer. Doch nur wenige leben diese Kompromisslosigkeit so vor wie diese beiden Coaches.

«Vollgastrainer» mag ein Klischee sein. Aber ein treffendes. Beide sind, wie alle grossen Trainer, in ihrem Führungsstil konsequent und folgen dem biblischen Prinzip «Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.» (Matthäus 12,30)

Arno Del Curto ist Guy Boucher ziemlich ähnlich – und doch sind die beiden komplett verschieden.
Arno Del Curto ist Guy Boucher ziemlich ähnlich – und doch sind die beiden komplett verschieden.Bild: Daniela Frutiger/freshfocus

Aber Persönlichkeit und Hockeyphilosophie sind völlig unterschiedlich. Arno Del Curto ist ein charismatischer, ja mitreissender Kommunikator und Nonkonformist. Seine Interviews sind jedes Mal grosses Kino. Er sagt, was er denkt, eckt an und provoziert.

Arno Del Curto lässt sich in kein Schema pressen. Guy Boucher passt in jedes Schema. Der Kanadier ist beinahe bis zur Karikatur ein Konformist. Immer in Anzug und Krawatte. Immer alles unter Kontrolle. Ein eher humorloser Kommunikator, perfekt als Mediensprecher des Bundesamtes für Statistik.

Überraschungen gibt es bei ihm keine – ausser er verliert die Nerven wie nach der Niederlage mit Team Canada gegen Servette und Chris McSorley beim Spengler Cup. In eine solche Situation ist er beim SCB noch nicht geraten. Er dürfte der intelligenteste und gebildetste Langweiler unseres Hockeys sein. Mit Master-Abschlüssen in Geschichte, Biosystemtechnik und Sportpsychologie.

Guy Boucher geigt den Schiedsrichtern am Spengler Cup die Meinung.video: srf

Guy Boucher und Arno Del Curto legen beide Wert auf höchste taktische und sonstige Disziplin. Aber sie suchen unterschiedliche Wege zum Erfolg.

Wer schafft es in den Playoff-Final?

Totales Hockey vs. totale Spielkontrolle

Arno Del Curto ist ein ewig Suchender nach dem totalen Hockey. Er strebt nach totaler Dominanz, nach dem Spieldiktat durch Tempo, Präzision und Härte. Was in einem unberechenbaren Spiel, das auf einer rutschigen Unterlage gespielt wird, nicht ganz ohne Risiko ist.

In lichten Momenten spielt der HCD schneller, präziser und härter als jede andere Mannschaft der Liga. Die Davoser laufen dann jedem Gegner davon und füllen die gegnerischen Netze. So wie sie es im «goldenen Herbst» mit neun Siegen in Serie zwischen dem 13. September und 11. Oktober getan haben. Gegen Fribourg (8:2), Kloten (8:3), Ambrì (4:3), Lugano (2:1), die Lakers (4:3), Lausanne (5:3), Servette (5:1), Biel (7:0) und den SC Bern (6:3).

Skeptischer Blick bei Guy Boucher.
Skeptischer Blick bei Guy Boucher.Bild: Urs Lindt/freshfocus

Guy Boucher ist ein ewig Suchender nach der totalen Spielkontrolle, dem 1:0-Sieg durch die perfekte, mathematisch exakte Defensive. Was in einem unberechenbaren Spiel, das auf einer rutschigen Unterlage gespielt wird, nicht ganz ohne Risiko ist. Mit seinem extremen Betonhockey verstörte er selbst die Nordamerikaner.

Torhüterlegende Patrick Roy höhnte gar, dieses Defensivsystem ruiniere das Juniorenhockey (Guy Boucher war bis heute nur als Juniorentrainer erfolgreich). In der NHL brachte er sich im Frühjahr 2011 mit ziemlicher Sicherheit durch zu extreme Defensive um den grössten Triumph. Mit Tampa verlor er das siebte Halbfinalspiel gegen den späteren Stanley-Cup-Sieger Boston 0:1. In einer der taktisch perfektesten Partien aller Zeiten ohne eine einzige Strafe.

Geht die Taktikrechnung nochmals auf?

Im Viertelfinal gegen Lausanne haben wir das typische Guy-Boucher-Hockey gesehen. Nur in einer einzigen Partie erzielten die Berner mehr als zwei Tore – aber sie kassierten auch nie mehr als zwei Gegentreffer: 1:0, 1:2, 1:2 n. P., 3:0, 1:2 und 2:1 n. V. Der Kanadier verzichtete darauf, die spielerische und läuferische Überlegenheit seines Teams zu mobilisieren und auf dem hohen spielerischen Ross in vier Spielen durch die Serie zu galoppieren. Er wählte gegen einen Aussenseiter den mühseligen, langen defensiven Fussmarsch über sieben Spiele. Eishockey als Arbeit, nicht als Spiel.

Diese taktische Rechnung ist gegen Lausanne aufgegangen. Aber geht sie auch gegen Davos auf? Gegen Lausanne kontrollierten die Berner eine Offensive, die in der Qualifikation gerade mal für 105 Tore gut war. Nun müssen sie einer Offensivkraft widerstehen, die es auf 164 Tore gebracht hat. Gegen Lausanne bändigte der SCB einen offensiven Maulesel. Jetzt müssen sie ein Rennpferd an die Zügel nehmen.

Aber noch wichtiger wird sein, mehr Tore als gegen Lausanne zu erzielen. Gegen Davos genügen zwei Tore pro Spiel nicht zu vier Siegen. Halten sich die Spieler strikte an die taktischen Anweisungen ihres Trainers, dann sind mehr als zwei Tore pro Partie kaum möglich und der SCB hat keine Final- oder gar Titelchance.

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Bild: Urs Lindt/freshfocus

In der Mannschaft stehen viele starke und eigenwillige Spielerpersönlichkeiten (z. B. Plüss, Blum, Bertschy, Gardner, Reichert, Rüfenacht, Ritchie, Holloway). Die Chance ist deshalb gross, dass sich dieser oder jene Spieler einen taktischen Ungehorsam leistet, für eine offensive Überraschung und damit die notwendigen Tore sorgt. Der taktische Ungehorsam im richtigen Moment ist der Schlüssel zum Final und zum Meistertitel.

Immerhin hat es Guy Boucher geschafft, Arno Del Curto nachdenklich zu stimmen. Der grosse HCD-Zampano wird es nicht wagen, gleich mit Vollgas über die Berner hinwegzubrausen. Er sagt: «Wenn wir das tun, dann laufen wir ins offene Messer.» Er sei mit dem Offensivspiel nicht zufrieden. «Wir sind vor dem gegnerischen Tor zu verspielt. Wir müssen direkter den Abschluss suchen.» Die Kunst sei es, die Offensive im richtigen Moment zu forcieren.

Die Qualifikation wird in der Offensive entschieden. Die Play-offs in der Defensive. Wenn wir für einmal auf alle Analysen und Spekulationen verzichten und dieser Hockey-Bauernregel folgen, dann wird der SCB das Finale erreichen.

Die Kennzahlen

SC Bern

  • Torhüter: Marco Bührer, 95,45 Prozent Fangquote
  • Offensive: 11 Tore in 7 Partien
  • Defensive: 7 Gegentreffer in 7 Partien

HC Davos

  • Torhüter: Leonardo Genoni, 93,37 Prozent Fangquote
  • Offensive: 20 Tore in 6 Partien
  • Defensive: 13 Gegentreffer in 6 Partien

Die Play-off-Duelle

  • Viertelfinal 2000/01: Davos (3.) – SCB (6.) 0:4
  • Viertelfinal 2001/02: Davos (1.) – SCB (8.) 4:2
  • Halbfinal 2002/03: Davos (2.) – SCB (3.) 4:3
  • Halbfinal 2004/05: Davos (2.) – SCB (8.) 4:2
  • Final 2006/07: Davos (1.) – SCB (2.) 4:3

Die Direktduelle der Saison

  • 11. Oktober: Davos – SCB 6:3
  • 15. November: SCB – Davos 3:2
  • 29. November: SCB – Davos 2:3
  • 17. Januar: Davos – SCB 1:3

Die NLA-Play-offs 2015

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