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Das melancholische Ende einer WM-Expedition – und einer Ära

So war es vor einem Jahr. Dieses Mal warteten keine Fans auf die Heimkehr der Hockeyaner.
So war es vor einem Jahr. Dieses Mal warteten keine Fans auf die Heimkehr der Hockeyaner.Bild: PHOTOPRESS
Das «Kater-Turnier»

Das melancholische Ende einer WM-Expedition – und einer Ära

Diesmal störten die heimkehrenden Helden und ihre zwei Rockmusiker den Alltag im Flughafen Kloten nicht. Der silberlose Alltag hat uns wieder. 
22.05.2014, 07:1022.05.2014, 16:16
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Flugreisen als Sittenbilder einer Hockeykultur. Flugreisen, die mehr über das Schicksal einer WM-Expedition erzählen als sieben Spiele und 20 Trainings. So war es nach der Silber-WM von 2013. Und so ist es nun auch nach dem «Kater-Turnier» von 2014. 

Hockeymannschaften reisen zu grossen Turnieren mit Charterflügen. Weil so viel Gepäck mitgenommen wird. Bei einem Linienflug könnte das Material gar nicht mitgenommen werden. Die Schweizer kehrten vor einem Jahr per Charter von der Silber-WM aus Stockholm heim. Und gestern Mittwoch auch aus Minsk. 

Nichts mehr vom «Narrenflug» übrig

Die fröhliche Heimkehr der Silberhelden aus Stockholm ist inzwischen als «Narrenflug» legendär geworden. Wer wollte, konnte mitreisen. Es kostete 500 Franken. Und so findet sich eine bunte Gesellschaft im Flugzeug. Funktionäre, alte Spieler, Chronistinnen, Chronisten, Fans und natürlich alle Silber-Helden. Jeder Platz ist besetzt. 

2013 legten die Fans die Ankunftshalle in Kloten lahm.
2013 legten die Fans die Ankunftshalle in Kloten lahm.Bild: KEYSTONE

Kaum abgehoben, rockt und rollt es. Musik dröhnt so laut über die Lautsprecheranlage, dass ein älterer Herr von der Besatzung mit einem Gehörschutz beruhigt werden muss. Nach kurzer Zeit ist die Toilette defekt. Bald riecht es wie im Pissoir einer Bierschwemme. Launige Reden werden gehalten. Richtig feierlich wird es beim Landeanflug in Kloten. So nahe heimischer Erde wird spontan die Nationalhymne angestimmt. Die englischsprechenden Stewardessen versuchen vergeblich, alle dazu zu bringen, sich doch um Himmelsgottswillen zu setzen. Es wäre eine Respektlosigkeit, die Nationalhymne im Sitzen zu singen. 

Gruppenreise mit Lagerfeuerromantik

Die gestrige Heimkehr der geschlagenen Helden aus Minsk (nur Platz 10) hat auch ihren besonderen Reiz. Wieder kann mitreisen, wer will. Wieder dauert der Flug etwa zweieinhalb Stunden. Es kostet diesmal 800 Franken. Aber kaum jemand will mitfliegen. Es hat nach Minsk eben keinen «Finaltourismus» gegeben wie letztes Jahr zu den letzten Partien in Stockholm. Ausser den Spielern, Trainern und Betreuern sind beim Heimflug aus Minsk nur noch ein paar Chronisten dabei. Drei freie Sitze für jeden. 

Hockeyhelden 2013 in Feierstimmung. 2014 sieht es mehr aus nach einer Gruppenreise mit Lagerfeuerromantik.
Hockeyhelden 2013 in Feierstimmung. 2014 sieht es mehr aus nach einer Gruppenreise mit Lagerfeuerromantik.Bild: KEYSTONE

Hockeyhelden? Nein, das ist jetzt auf den ersten Blick nicht mehr zu erkennen. Die Gruppe anständiger, wohlerzogener und athletischer junger Männer, die da in Minsk auf den Abflug wartet, mahnt an eine Gruppe Abenteurer nach einer langen Trekking-Tour. Die müde und froh sind, dass sie mit ihren Leitern endlich heimkehren können. Der Eindruck einer geführten Gruppenreise mit Lagerfeuerromantik wird durch die zwei Jungs mit langen Haaren bestätigt, die ein Gitarre-Futteral dabei haben und aussehen wie Rockmusiker.  

Im Hotelzimmer musiziert

Tatsächlich haben die Verteidiger Eric Blum (Kloten, bald Bern) und Tim Ramholt (nach wie vor Zug) ihre Gitarren mit nach Minsk genommen. «Die Tage waren lang» sagt Hobby-Gitarrist Ramholt. «Da haben wir zum Zeitvertreib ab und zu gespielt.» Sie seien nicht ganz sicher gewesen, ob es wohl gut gewesen wäre, in der Hotellobby oder draussen zu schrummen, und so hätten sie es vorgezogen, nur im Hotelzimmer zu musizieren. 

Eric Blum nahm seine Gitarre mit nach Minsk, spielte aber nur im Hotelzimmer.
Eric Blum nahm seine Gitarre mit nach Minsk, spielte aber nur im Hotelzimmer.Bild: freshfocus

Eishockey ist bei den Gesprächen schon noch ein Thema. Alles dreht sich immer wieder ums gleiche Thema. Wie knapp es war. Wie wenig gefehlt hat. Ein Tor mehr erzielt oder ein Tor weniger kassiert. Ein Punkt mehr und es hätte fürs Viertelfinale gereicht und alles wäre wieder möglich gewesen. 2014 war eine sportliche «Kater-WM».

Weit und breit keine Party

Der Flug von Minsk nach Zürich verläuft ruhig. Kein Rock und kein Roll. Die zwei Gitarren sind als Handgepäck verstaut. Die meisten schlafen. Die Nationalhymne wird nicht gesungen. Und in Kloten deutet bei der Ankunft nichts darauf hin, dass gefeierte Sportstars heimkehren. Vor einem Jahr drang der Partylärm der wartenden und feiernden Fans bis zur Gepäckannahme vor. Die Helden wurden durch einen separaten Ausgang geleitet. Eine Bühne war aufgebaut worden. Als sei im Flughafen ein Rockkonzert im Gange. Ausnahmezustand am Flughafen. Ausnahmezustand im Schweizer Hockey. 

Nun ist keine Party angesagt. Bei der Gepäckausgabe verabschieden sich die Helden. Nationaltrainer Sean Simpson macht noch einmal die Runde. Händeschütteln. Kurze Umarmungen. Es ist zu spüren: Diese Mannschaft und ihr Coach waren eine verschworene Gemeinschaft. Das war 2013 so und war 2014 nicht anders. Die Stimmung ist ein wenig melancholisch, ja fast bedrückt. Als ob sich alle erst jetzt bewusst werden, dass mit dem Abschied von Sean Simpson auch eine Ära zu Ende geht. Dass das silberne Märchen von Stockholm definitiv zu Ende ist. 

Sean Simpson: Mit ihm endet das Eishockey-Märchen definitiv.
Sean Simpson: Mit ihm endet das Eishockey-Märchen definitiv.Bild: KEYSTONE

Niemand brauchte einen separaten Ausgang. Draussen warten gerade mal zwei Vertreter von Lokal-TV-Sendern auf die heimkehrenden Helden, und ein Vertreter des Staatsfernsehen hat eine Kamera aufgebaut. Sie wirken irgendwie verloren wie Vögel, die den Abflug ihrer Gruppe in den Süden verpasst haben und jetzt ratlos auf Telefondrähten sitzen und warten. Die Menschen gehen achtlos vorbei und ihren Geschäften nach. Alltag am Flughafen. Und nun auch wieder Alltag im Schweizer Eishockey. Ohne Silber. Ohne Sean Simpson. 

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