Vor bald einem Jahr haben die ZSC Lions Trainer Hans Wallson (52) gefeuert. Der Schwede musste in der Altjahrswoche seinen Platz Hans Kossmann (56) überlassen. Die Begründung habe ich noch im Ohr: keine Entwicklung der Mannschaft und fehlender sportlicher Erfolg. Und tatsächlich: Hans Kossmann hat sodann die Meisterschaft gewonnen. Es liegt also am Trainer. Oder?
Ach, was haben wir über die schwedische «Hockey-Irrlehre» gespottet. Über zu viel System und zu wenig Spielfreude. Zu viel Berechenbarkeit und zu wenig Emotionen. Und natürlich haben wir nach dem Gewinn der Meisterschaft das Hohelied der nordamerikanisch-schweizerischen Hockeylehre gesungen. Hans Kossmanns schwedischer Vorgänger war bei der Meisterfeier bereits vergessen.
Aber die schwedische Schule des Mannschaftssportes ist wahrscheinlich nicht ganz sooooo schlecht. Wir haben in diesem Jahr das Hockey-WM-Finale, das Achtelfinale bei den Fussball-Titelkämpfen und soeben auch noch das Halbfinale bei der Unihockey-WM gegen Schweden verloren.
Langsam, aber sicher bekomme ich wegen der Kritik am gefeuerten schwedischen Trainer ein schlechtes Gewissen. Vielleicht liegt es ja doch nicht immer am Chef. Sein Nachfolger Serge Aubin (43) hat nun bereits in seinem ersten Amtsjahr grössere Schwierigkeiten als Hans Wallson in seinem zweiten.
Der Zufall will es, dass vor einem Jahr das 25. Spiel auch grad ein Heimspiel gegen Servette war. Das hatten die Zürcher in Verlängerung 3:2 gewonnen und den zweiten Platz gefestigt. Dann folgte die Krise mit dem Abrutschen auf Rang 7 und dem Trainerwechsel.
Soeben haben die ZSC Lions das 25. Saisonspiel erneut im Hallenstadion gegen Servette ausgetragen und mit 0:2 verloren. Es war wieder eine dieser so typischen ZSC-Pleiten, die wie Untergänge wirken. Wie das 1:5 gegen Davos. Wie das 1:4 gegen den SC Bern.
Aber 24 Stunden vorher hatten wir in Langnau beim 4:3 nach Penaltyschiessen einen anderen ZSC gesehen. Es war einer dieser ZSC-Triumphe, die wie Räusche wirken. Keine Anzeichen von Krise oder gar Zerfall. Eine Mannschaft, die rockte.
Die ZSC Lions leben seit Menschengedenken zwischen den Extremen. Zwischen grandiosen Erfolgen und bitteren Pleiten. Die letzte Saison war ein wenig wie die ZSC-Geschichte im Zeitraffer. Trainerentlassung, nur Rang 7 in der Qualifikation – und dann der meisterliche Triumph durch ein 2:0 im siebten Finalspiel in Lugano.
Und jetzt also wieder einmal Krise. Zum gleichen Zeitpunkt der Saison waren die ZSC Lions vor einem Jahr Tabellenzweite mit 46 Punkten und einem Torverhältnis von 86:63. Nun sind es auf dem 9. Rang bloss 37 Punkte und 58:63 Tore.
Es ist an der Zeit, die Geschichte der letzten Saison ein wenig umzuschreiben. Auf diesem Weg kommen wir der Wahrheit dieser Saison ein wenig näher.
Mit ziemlicher Sicherheit ist es so, dass Hans Kossmann noch auf den taktischen Geleisen seines Vorgängers zum Titel gefahren ist. Nun wird die Bahntrasse vom neuen Trainer offenbar nicht mehr so gut gewartet. Er ist kein so guter taktischer Geleisebauer wie sein Vorgänger.
Kürzlich hat ein langjähriger ZSC-Beobachter und Kenner des internationalen Hockeys, der frei vom Ruch der Polemik ist, eine interessante Feststellung gemacht. Die Trainings unter Hans Wallson seien von der ersten bis zur letzten Minute durchorganisiert gewesen. Intensiv, mit komplexen, fordernden taktischen Übungen. Hochstehend halt. Unter Serge Aubin sei alles viel lockerer. Man könne sogar von einem «Pausenplatz-Training» reden.
Das ist die Beobachtung eines kompetenten Zaungastes. Ganz falsch dürfte sie nicht sein. Die ZSC Lions spielen tatsächlich taktisch hin und wieder liederlich. Wenn nicht alle Lämpchen grün leuchten, führt diese Nachlässigkeit zu dramatischen Pleiten. Und im Verlaufe einer langen Qualifikation ist manchmal nicht alles im grünen Bereich. Wenn hingegen alle gut drauf sind, spielt Taktik bei einer so talentierten Mannschaft kaum eine Rolle. Dann zelebrieren die Zürcher ein emotionales, kreatives, wuchtiges, dynamisches Hockey, das mehr von Kreativität, Leidenschaft und Wille als von Ordnung, Struktur und Taktik lebt. Dann siegen sie wie im Rausch. Wie zuletzt in Langnau. Wie im letzten Frühjahr in den Playoffs.
Wir können es auch populistischer sagen: Die Jungs machen inzwischen wieder, was sie wollen. Es ist das giftige Erbe des meisterlichen Ruhmes: Wer vom 7. Platz aus die Meisterschaft gewinnt und auf dem Weg zum Triumph gar den mächtigen Titelverteidiger aus Bern aus den Playoffs kippt, weiss besser als alle anderen, wie es funktioniert. So sind die Spieler zu mächtig und die ZSC Lions im Alltag der Qualifikation wieder einmal «uncoachbar» geworden. Wenn die Playoffs kommen, gibt es dieses Problem nicht mehr – jeder will, jeder kann und der Coach muss nur noch die entfesselten Kräfte gut verwalten.
Die Zürcher sind in einem gewissen Sinne ein Opfer ihrer Tüchtigkeit. Die Spieler fühlen sich bei einem der besten Hockey-Arbeitgeber in einer der schönsten Städte Europas wohl. Alles funktioniert. Die Bandengeneräle kommen und gehen. Die Stars bleiben. Der Cheftrainer wird zum taktischen Gastreferenten.
Solche Entwicklungen gehören seit Anbeginn der Zeiten zum Mannschaftssport und beschäftigen alle grossen Hockey-Unternehmen. Lugano findet für dieses Problem seit dem letzten Titel von 2006 keine Lösung. Der SCB holte 2016 den Titel auch erst nach einem Trainerwechsel und hat vorübergehend nur keine Trainerdiskussionen, weil Kari Jalonen ein charismatischer Welttrainer ist, vor dem die Spieler und sogar Marc Lüthi einen Heidenrespekt haben.
In Nordamerika, mit einem anderen Transfersystem, werden wichtige Spieler wegtransferiert bzw. ausgetauscht, bevor sie zu mächtig werden. So werden die Stars im permanenten Unruhestand gehalten und die Autorität der Chefs wird gestärkt.
Wir haben ein anderes Transfersystem. Sven Leuenberger kann sein Team nicht durch «Schock-Transfers» aufrütteln. Es ist nicht möglich, beispielsweise Roman Wick und Simon Bodenmann in Bern gegen Simon Moser einzutauschen. Oder Christian Marti und Reto Schäppi in Ambri gegen Dominic Zwerger.
Trainer, die vom Sportchef oder vom Präsidenten gestützt werden müssen, sind nicht nur bei den ZSC Lions verloren. Grosse Hockeyunternehmen funktionieren am besten mit Trainern, die mit ihrer Präsenz die Kabine füllen und eine natürliche Autorität ausstrahlen. Bob Hartley (58) und Marc Crawford (57) waren solche charismatischen Bandengeneräle.
Serge Aubin ist fachlich nicht der nächste Hans Wallson und er hat nicht das Charisma von Bob Hartley und Marc Crawford. Er kommt aus der österreichischen Liga. Nicht aus der NHL. Nicht aus Schweden. Er ist wohl noch nicht der grosse Trainer, den die ZSC Lions brauchen. Und es ist nicht sicher, dass er die Zeit bekommt, im Hallenstadion ein grosser Trainer zu werden.
Der Tanz der Eitelkeiten spielt auch eine Rolle. Hans Wallson war nicht der Trainer des neuen Sportchefs Sven Leuenberger. Sein Vorgänger Edgar Salis hatte den Schweden verpflichtet und Leuenberger konnte ihn leichten Herzens feuern.
Serge Aubin ist hingegen der Wunschtrainer von Manager Peter Zahner und Sven Leuenberger. Ja, beim entscheidenden Anstellungsgespräch flogen Peter Zahner, Sven Leuenberger und Verwaltungsrat Peter Spuhler extra nach Wien, um dem neuen Trainer die Aufwartung zu machen. Dass Serge Aubin nun noch einen Vertrag für nächste Saison hat und eine Entlassung etwas kostet, ist nicht das Problem. Es geht um das Ego. Peter Zahner, Sven Leuenberger und Peter Spuhler haben sich geirrt? Sicher nicht. Also wird der ZSC-Trainer auch deshalb noch durch alle Böden hindurch gestützt.
Die Mannschaft ist ja intakt. Sie ist nicht in Fraktionen zerfallen. Die Spieler sind in ihrem Wesen und Wirken freundliche, leistungswillige Musterprofis. Das Problem ist halt nur, dass sie es besser wissen als der Trainer und der Sportchef.
Aber wissen sie es tatsächlich besser? Die Saison kann auch mit der bitteren Erfahrung enden, dass der goldene Frühling von 2018 ein Wunder war, das sich nicht wiederholen lässt. Es ist nicht einmal auszuschliessen, dass der Meister die Playoffs verpasst. Wie der SC Bern im Frühjahr 2014.
Über allem steht bei den ZSC Lions wieder einmal die ewige Versuchung, den Trainer zu feuern. Und jetzt kommt noch die Verlockung dazu, den stellenlosen Arno Del Curto zu fragen. Er war ein grosser Trainer. Aber ist er es immer noch?