Die industrielle Produktion von Siegen. Ja, so lässt sich die Spielweise des SC Bern auf einen einfachen Nenner bringen. Soeben hat der SCB unter Kari Jalonen gegen Ambri (3:2) im 138. Qualifikationsspiel den 100. Sieg eingefahren.
Nie mehr seit den Zeiten von Bill Gilligan (zwischen 1989 und 1992 drei Titel in vier Jahren) hatte ein Trainer den SCB so gut im Griff wie Kari Jalonen (59).
Der finnische Bandengeneral kommandiert den SCB nun im dritten Jahr. Mit seinem Amtsantritt im Sommer 2016 ist beim SCB Ruhe eingekehrt wie noch nie in diesem Jahrhundert. Schlechte Zeiten für Polemiker. Zumindest während der Qualifikation.
Unter dem Finnen haben die Berner zweimal hintereinander die Qualifikation gewonnen und stehen vor dem dritten Qualifikationssieg in Serie. 2017 wurden sie Meister. Das Scheitern im Halbfinale gegen die ZSC Lions war im letzten Frühjahr bloss ein «Betriebs-Unfall», der nun korrigiert werden soll.
Sind alle restlos glücklich? Nicht ganz. Die Berner haben noch nicht gelernt, mit so viel Siegen umzugehen. Der SCB siegt und siegt und siegt. YB siegt und siegt und siegt.
Die Begeisterung hält sich auf sehr hohem Niveau. 16'399 kamen in der Qualifikation pro Heimpartie in der ersten Saison unter Kari Jalonen (2016/17). 16'371 waren es letzte Saison und nun sind es erneut im Schnitt exakt 16'271.
Die Partien laufen inzwischen meistens so sehr nach dem gleichen Drehbuch, dass die Perfektion des SCB-Spiels zu einer gewissen Langeweile führt. So viel Erfolg, so wenig Drama. Kari Jalonen hat die höchste Stufe erreicht, die es für einen Trainer gibt: er hat ein unberechenbares Spiel auf rutschiger Unterlage berechenbar gemacht. Zumindest während der Qualifikation.
Nur bei 8 von 27 Siegen ist diese Saison der Siegestreffer erst im Schlussdrittel oder in der «Überzeit» gefallen. Und zwölfmal bereits im ersten Drittel. Der SCB ist wie noch nie im 21. Jahrhundert eine grosse, mächtige, unaufhaltsame Hockeymaschine. Zumindest während der Qualifikation.
Wie bei jeder industriellen Fertigung kommt es hin und wieder zu einem Produktionsunterbruch oder zu kleineren Störungen. Das ist für den Trainer ärgerlich, hat aber für ihn keinerlei Konsequenzen.
Ja, gestern sorgten die kleinen Schwierigkeiten bei der «Produktion» des allseits erwarteten Sieges über Ambri endlich wieder einmal für ein bisschen Drama, Diskussionsstoff und Unterhaltung.
Nicht ganz unerwartet. Der SCB kann am ehesten mit jenem Tempo-, Emotions- und Energiehockey aus dem Konzept gebracht werden, das ein tapferes Ambri an einem guten Abend zu spielen pflegt. Und so fiel der Siegestreffer in einem für Berner Verhältnisse wilden Spektakel (29:30 Torschüsse) erst zum 8. Mal in dieser Qualifikation im Schlussdrittel (50. Min. durch Andrew Ebbett).
Auf dem Weg zu diesem Erfolg gab es endlich Aufregung und Stoff für Diskussionen nach dem Spiel in der Stadionbeiz. Ambri erzielte das 2:2 (44. Minute) im Rahmen einer regeltechnischen Rarität.
Mark Arcobello kassierte für einen Stockschlag gegen den enteilten Dominik Kubalik fünf Minuten, garniert mit einem Penalty. Den hielt Leonardo Genoni. Aber das fünfminütige Powerplay nützte Ambri zum 2:2.
Diese Regelauslegung ist absolut korrekt:
Die Fünfminuten-Strafe plus Restausschluss für den Stockschlag von Marc Arcobello ist ebenfalls gerechtfertigt:
Der zweihändig und mit Schwung geführte Stockschlag des Amerikaners ist rücksichtslos und ob er dabei den Gegenspieler verletzte oder nicht ist unerheblich.
Die Situation hat Seltenheitswert, weil es eigentlich nie gelingt, einen davoneilenden Spieler mit einem «Fünfminuten-Vergehen» zu foulen – praktisch immer kommt es zu einem «Halten» oder «Haken» oder der Gegenspieler wird auf andere Weise illegal von hinten zu Fall gebracht. Dass einer noch mit einem zweihändigen Stockschlag erwischt wird, ist wahrlich selten.
Letztlich hat Ambri das Spiel während dieser «Jahrzehnt-Situation» verloren: Nur ein Tor (zum 2:2) aus einem Fünfminuten-Powerplay garniert mit Penalty – das reicht gegen den SCB eben nicht.
Die SCB-Siegesproduktion läuft also zufriedenstellend mit nunmehr zehn Siegen in den letzten elf Partien.
Das SCB-Spiel ist eine nahezu perfekte Mischung aus Talent, Erfahrung, Disziplin und taktischer Intelligenz Kari Jalonen versteht es meisterhaft mit beharrlich eingeübten guten offensiven und defensiven Gewohnheiten Schwächen im spielerischen Bereich zu kompensieren.
Der SCB ist nicht der talentierteste Titan – aber mit einem Durchschnittsalter von 30,14 Jahren der erfahrenste mit den am besten eingeübten Automatismen.
In der finalen Ausmarchung um den Titel ist diese Erfahrung ein Erfolgsfaktor. Weil altgediente «Hockeysoldaten» unter der Extrembelastung der Playoffs in der Regel verlässlicher arbeiten als wilde Junge.
Der SCB hat seine Transferpolitik mit Verpflichtungen von erfahrenen Mitläufern wie Matthias Bieber (32), Grégory Sciaroni (29), Daniele Grassi (26) auf dieser Philosophie aufgebaut.
So wie einst Esau sein Erstgeburtsrecht (und damit seine Zukunft) für ein Linsengericht an Jakob verkaufte, so neigt der SCB dazu, dem Erfolg im Hier und Jetzt die mittelfristige Zukunft zu opfern: zu viele Talente aus der exzellenten Nachwuchsorganisation reifen anderswo zu Nationalspielern wie zuletzt Marco Müller (25) in Ambri und Samuel Kreis (24) in Biel. Zu wenige wie André Heim (20) und Yanick Burren (22) werden in die erste Mannschaft aufgebaut.
Immerhin gelang André Heim mit dem zweiten Saisontor gegen Ambri ein wichtiger Treffer (zum 2:1). Er wird die Chance bekommen, nächste Saison von Gaëtan Haas (26) die Rolle des ersten Schweizer Centers zu übernehmen.
Der Nationalstürmer hat eine NHL-Freigabeklausel erstritten und wird nächste Saison mit einem Einjahresvertrag das Nordamerika-Abenteuer wagen. Gestern sass erneut ein Scout von Columbus auf der Tribune. Diese NHL-Organisation mit dem finnischen General Manager Jarmo Kekäläinen hat ein Faible für europäische Spieler und damit für Mittelstürmer wie Gaëtan Haas.
Ob der SCB-Center tatsächlich in Columbus landen wird, ist offen. Eine Entscheidung wird mit ziemlicher Sicherheit erst nach der Saison fallen.
Da Trainer Kari Jalonen bleibt, wird auch die Absenz von Gaëtan Haas die «industrielle Siegesproduktion» nächste Saison (noch) nicht nachhaltig stören. Zumindest nicht während der Qualifikation.