Von hundert auf null. Von einem Tag auf den anderen. Als die Corona-Pandemie unser aller Leben vor mittlerweile mehr als einem Jahr auf den Kopf stellte, verschonte sie auch den Profisport nicht. Die Schweizer Eishockey-Meisterschaft wurde abgebrochen, die Klubs standen vor einer ungewissen Zukunft.
Vielleicht noch mehr als andere Teams waren die SCL Tigers davon betroffen. Beheimatet im beschaulichen Langnau im Emmental, einem Dorf mit weniger als 10'000 Einwohnern. Aber die Tigers sind der ganze Stolz dieses Dorfs und überhaupt der gesamten Talschaft. Selbstbewusst bezeichnen die Langnauer ihre Gegend als «Hockey Country».
«Die Tigers-Spieler nehmen aktiv am Dorfleben teil. Der Klub hat einen hohen Stellenwert in Langnau und die Solidarität mit ihm war in dieser Krisenzeit wahrnehmbar», stellte Sportjournalist Sven Schoch fest. «Es gibt nichts Vergleichbares in dieser Region.» Der Zürcher hat als Produzent gemeinsam mit Co-Autor Gabriel Gasser eine Dokumentation gedreht, die am Ostersonntag (20.15 Uhr, MySports One) TV-Premiere feiert. Als «Leuchtturm» bezeichnen die Filmemacher den Klub aufgrund seiner Bedeutung für die Region. Und sie stellen die Frage, ob dieses elende Corona die Tigers fressen werde.
Um es vorweg zu nehmen: Das Virus hat es nicht geschafft, den Raubkatzen den Garaus zu machen. Doch dass es den Klub heute noch gibt, ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Der Emmentaler Tiger rückte bisweilen in die Nähe der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Arten.
«Anfangs wurde die Situation in Langnau vielleicht noch etwas unterschätzt», erinnert sich Schoch an den vergangenen Sommer, als er die Arbeit am Film aufgenommen hatte. «Doch bald bemerkte jeder im Klub, wie sich die Schlinge immer enger zog. Besonders in jener Phase, als niemand wusste, ob und wann die neue Saison beginnt.»
Gross war das Aufatmen, als im Herbst trotz Pandemie gespielt werden konnte, sogar mit Fans im Stadion. «Und dann kam der Hammer», schildert Schoch. «Es ging Schlag auf Schlag. Erst untersagte der Kanton Bern Zuschauer, dann der Bund. Ein Nackenschlag reihte sich an den anderen. Das ging auch mir nahe.»
Wenn es schon dem Aussenstehenden so erging, dann den Betroffenen erst recht. Zwar habe es auch Spieler gegeben, die sich nichts anmerken liessen. Aber vielen sei es nicht mehr wohl gewesen. «Eine Krisensitzung folgte der nächsten. Da merkte man, dass die Spieler ernsthafte Existenzsorgen hatten. Sie hatten Angst, dass der Klub diese Krise nicht überlebt und natürlich hatten sie auch Angst, ihren Job zu verlieren.»
Das ging so weit, dass etwa Verteidiger Yannick Blaser erzählte, er habe sich bereits bei Kollegen erkundigt, ob allenfalls ein Arbeitsplatz als Lagerist oder sonst ein Job für ihn vorhanden sei. «Es war den Spielern sehr bewusst, was auf dem Spiel steht und wie viel Geld dem Klub fehlt», registrierte Schoch. Verwaltungsratspräsident Peter Jakob habe dem Team klargemacht, dass es zuallererst darum gehe, den Klub im 75. Jahr seines Bestehens nicht an die Wand zu fahren.
«Man erkannte als Begleiter, dass das Überleben des Klubs an oberster Stelle steht», sagt Schoch über den Tabellenletzten der National League. «Aber sobald jeweils gespielt wurde, war das anders, dann ging es um Alles oder Nichts, so wie immer.»
Das mag erstaunen, gibt es doch in dieser Saison keinen Absteiger. Eine Niederlage mehr oder weniger – wen juckt das schon? Die Antwort: Trainer und Spieler. «Der Druck ist trotz allem gross», stellte Schoch fest. «Die Spieler wollen alle wieder einen Vertrag erhalten, ob in Langnau oder sonstwo. Sie spielen stets auch für ihre Zukunft.»
Schoch drehte in der vergangenen Saison bereits einen Dokumentarfilm über den HC Davos und stellt im Vergleich mit jenem fest: «Krisen, Rückschläge, Leiden – dies hier ist bestimmt kein Jubelfilm.»
Es war in dieser turbulenten Zeit besonders wertvoll, dass die SCL Tigers eine besonnene Führung um Präsident Jakob besitzen. «Man hilft sich in Langnau, auf eine ehrliche, hemdsärmlige Art. Es wird nicht lange um den heissen Brei geredet, sondern Klartext», so Schoch. «Langnau ist ein Ort der kurzen Wege. Das ist nicht wie bei GC, wo ein chinesischer Konzern das Sagen hat. Im Emmental sind die Leute greifbar, man kann ihnen auch einmal seine Meinung sagen.»
Einen, den Corona noch mehr als andere betraf, war Samuel Erni. Der 29-jährige Thurgauer erkrankte an Covid-19 und hatte mit einem eher schweren Krankheitsverlauf zu kämpfen. «Er litt sehr darunter, es ging ihm gar nicht gut. Und das gab er auch ganz offen zu», zeigt sich Schoch beeindruckt. Für den Filmemacher ein bewegender Moment, so wie jener, als die Filmcrew das Team – unter Einhaltung strenger Schutzmassnahmen – zu Corona-Tests begleiten durfte.
Doch am eindrücklichsten sei für ihn ein anderes Erlebnis gewesen, sagt Schoch. «Als Trainer Rikard Franzén vor die Mannschaft trat und ihr eröffnete, dass er nur noch bis Ende Saison genehm ist und danach gehen muss, waren wir mit der Kamera dabei, hielten uns jedoch diskret im Hintergrund. Die Spieler hatten die Nachricht aus den Medien erfahren, darüber war Franzén sehr sauer. Als er ihnen die Trennung bestätigte, war es ganz ruhig in der Kabine. Kaum einer wusste, was er sagen soll, die Blicke waren zumeist auf den Boden gerichtet. Das ist bestimmt auch als TV-Zuschauer besonders, so etwas mitzuerleben.»
Schoch imponierte, wie professionell der Schwede die Trennung aufnahm. «Natürlich war er geknickt, aber er liess sich das nie anmerken und arbeitete genau so seriös wie vor dem Entscheid. Franzén wäre gerne geblieben, weil er überzeugt war, in Langnau noch etwas bewegen zu können. Aber er weiss, wie das Hockey-Business funktioniert und dass es pickelhart ist.»
Er hat im Tigers-DOK eine Schlüsselrolle: Rikard #Franzén. Der Coach, der Langnau Ende April verlassen muss. Beeindruckend, wie der Schwede mit dem persönlichen Tiefschlag umgeht. 👉 TV-Premiere am Sonntag um 20.15 Uhr auf MySports One‼️ @FranzenSa @_ggNiko #SCLTigers #DOK pic.twitter.com/afms91guDP
— Sven Schoch (@svenssonair) April 2, 2021
Der Dokumentarfilm von ihm und Gasser sei auch wegen Geschichten wie dieser nicht bloss für Anhänger der SCL Tigers interessant, ist Schoch überzeugt. «Er ist für alle, die immer meinen, der Sport sei ein einfaches Geschäft, in dem es mit ein bisschen trainieren und spielen viel Geld zu verdienen gibt. Es ist super, einmal die Kehrseite der Medaille zu sehen. Wie diejenigen ‹chrampfen›, die nicht zuoberst stehen und denen nichts einfach in den Schoss fällt.»
Diese Erfahrung zu machen tue jedem Fan gut, glaubt der Journalist. «Wir sind ja oft schnell mit Begriffen wie ‹Millionarios›, doch die sind bei diesen Sportlern mit Sicherheit falsch. Die Spieler der SCL Tigers sind authentisch. Und wir zeigen das unverblümt, nicht durch eine gelb-rote Langnau-Brille, sondern pur und ungeschminkt.»
Dass auch Szenen im heiligen Gral jedes Teams, in der Garderobe gefilmt werden konnten und durften, hat mit Zurückhaltung der Filmcrew beim Dreh zu tun.
Die Spieler und Staff hätten die Filmcrew nur am Anfang wahrgenommen, danach waren sie „irgendwie Teil der Mannschaft“.
Dies interpretiere ich als Kompliment für die Macher dieser Doku.