Wer im NHL-Draft an erster Stelle ausgewählt wird, der hat in der Regel eine wunderbare Karriere in der besten Liga der Welt vor sich. Schaut man sich die Auserwählten der letzten 30 Jahre an, dann hatte nur eine Handvoll Verteidiger Mühe, die mit der Ehre des Erstgewählten verbundenen, hohen Erwartungen zu erfüllen.
Torhüter Rick DiPietro, der 2000 von den New York Islanders an erster Stelle gezogen wurde, darf man bedenkenlos als Flop bezeichnen. Ebenso Stürmer Patrik Stefan, der 1999 von Atlanta als Nummer 1 auserkoren worden war.
Stefans enttäuschende Karriere endete neun Jahre nach seinem Draft beim SC Bern – als Sportinvalider. Zur Entlastung des Tschechen muss gesagt werden, dass der 1999er-Draft-Jahrgang als besonders schwach galt – mit Ausnahme der Zwillinge Henrik und Daniel Sedin, die gleich hinter Stefan von den Vancouver Canucks geschnappt wurden.
Die Chance, dass Nico Hischier – sollte er am kommenden Wochenende an erster Stelle gedraftet werden – als Flop in die NHL-Geschichte eingeht, ist historisch betrachtet gering. Gut für den Schweizer ist die Tatsache, dass sich alle Beteiligten bewusst sind, dass hier kein Generationen-Talent wie Auston Matthews, Connor McDavid, Sidney Crosby oder Alex Owetschkin heranwächst, sondern ein ausserordentlich begabter Spieler, der aber eine sportlich taumelnde Franchise (wie zum Beispiel New Jersey) nicht im Alleingang auf Vordermann bringen kann.
On our way to Chicago :-) #NHLDraft #excited #Goodtimes #bigsis pic.twitter.com/FLj8aQaWEh
— Nico Hischier (@nicohischier) 21. Juni 2017
Wie sehr ein Spieler unter einer zu hohen Erwartungshaltung leiden kann, zeigt das Beispiel von Alexandre Daigle. Im Vorfeld des 1993er-Drafts war der Hype um den Kanadier grenzenlos. In 53 Spielen in der kanadischen Juniorenliga hatte er unglaubliche 137 Skorerpunkte gesammelt. Er sah gut aus, konnte sich als Franko-Kanadier auch perfekt auf Englisch ausdrücken und war derart begabt, dass ihn die Talentspäher in einem Atemzug mit zwei der besten NHL-Spieler der Geschichte nannten: Wayne Gretzky und MarioLemieux.
Photos: 10 all-time #NHL draft busts. Alexandre Daigle couldn't live up to the hype. https://t.co/WrokHnKsaY pic.twitter.com/045As65sgN
— Yahoo Sports NHL (@YahooSportsNHL) 23. Juni 2016
Die Konsequenz: Die Ottawa Senators, die damals als Expansionsteam ihre erste NHL-Saison absolvierten und sportlich sowieso nicht konkurrenzfähig waren, zeigten offensichtlich wenig Interesse daran, nicht auf dem letzten Tabellenplatz zu landen. Dieser garantierte ihnen damals das Recht, im Draft an erster Stelle auszuwählen und sich somit die Dienste des heiss begehrten Alexandre Daigle zu sichern.
Das unsportliche Verhalten der Senators führte letztlich dazu, dass die NHL die Draft-Lotterie einführte, welche auch den besser klassierten Teams eine Chance ermöglicht, an erster Stelle wählen zu dürfen.
Daigle landete schliesslich bei Ottawa – und vermochte die himmelhohen Erwartungen nicht zu erfüllen. Nach vier mässig erfolgreichen Jahren wurde er nach Philadelphia transferiert – für einen vergleichsweise bescheidenen Gegenwert. Zum Vergleich: Vor dem Draft soll den Senators unter anderem der spätere schwedische Superstar Peter Forsberg für Daigle angeboten worden sein.
Die Karrierekurve des designierten Wunderspielers zeigte bald einmal so stark nach unten, dass er schon im Alter von 25 Jahren seinen Rücktritt bekannt gab und versuchte, sich in Hollywood als Schauspieler zu etablieren. Zwei Jahre später kehrte er noch einmal für drei Saisons in die NHL zurück, ehe sich Daigle aus Nordamerika verabschiedete und beim HC Davos in der Schweiz sein Glück fand.
Fernab des nordamerikanischen Scheinwerferlichts und ohne dass ihm ständig anhaftende Etikett des gescheiterten Superstars blühte der Kanadier im Bündnerland unter Arno Del Curto wieder auf und feierte mit dem HCD 2007 und 2009 zwei Meistertitel. 2010 beendete er als Spieler der SCL Tigers seine Karriere.
Dem Eishockey-Business, in welchem sich der Schöngeist nie richtig zu Hause fühlte, hat Alexandre Daigle den Rücken gekehrt. Er hat in seiner Heimat Montreal eine Filmproduktions-Firma aufgebaut. Seine eigene Eishockey-Karriere würde genügend Stoff für ein spannendes Drehbuch bieten.