Langes blondes Haar, eng geschnittener Badeanzug: So lernte die Welt am Samstagabend Kinsey Wolanski kennen. Das Model machte Werbung für die Internetseite ihres Freundes.
Das war 1974 noch ganz anders. Aus diesem Jahr ist die erste Aktion eines Flitzers bei einem Sportanlass überliefert. Und Michael O'Brien war tatsächlich noch ein echter Flitzer. Er rannte nicht für ein Anliegen, war kein Vehikel eines Sponsors, sondern gewann nackt, wie Gott ihn geschaffen hatte, eine Wette.
Es ist ein Rugby-Länderspiel, England spielt im Londoner Twickenham gegen Frankreich. O'Brien, ein 25 Jahre alter Buchhalter aus Australien, sitzt mit einigen Kumpels auf der Tribüne, hat schon ein paar Bier intus. «Es war ein Engländer, der mich herausgefordert hat», verriet der erste (bekannte) Flitzer der Geschichte, als er nach drei Jahrzehnten erstmals öffentlich darüber sprach. «Meine australischen Freunde sagten ihm, er solle nicht mit mir wetten, weil ich es wirklich machen würde. Und so kam es dann auch.» In der Halbzeitpause zieht Michael O'Brien blank und rennt über den Platz.
Um 10 Pfund geht es, heute entspricht das etwa 140 Franken. O'Brien gewinnt das Geld. Auch deshalb, weil die Polizisten zu ihm nett sind. «Ich sagte ihnen sofort, dass es sich um eine Wette handelt und ich es bis zum Zaun schaffen müsse. Also führten sie mich dahin und liessen mich ihn berühren.» Den Wettgewinn ist Michael O'Brien bald wieder los: Die Busse, die er später kassiert, ist gleich hoch.
Heute kaum vorstellbar, aber damals Tatsache: Das Rugby-Länderspiel wird nicht im Fernsehen übertragen. So wird die Welt erst auf den Flitzer aufmerksam, weil Fotograf Ian Bradshaw im richtigen Moment abdrückt. Nämlich just dann, als ein Polizist seinen Bobby-Helm über die Schamgegend des jungen Mannes hält. Nur so kann das Bild am nächsten Tag gross in der Zeitung gedruckt werden.
Für Michael O'Brien ein entscheidender Moment in der Geschichte des Flitzens. «Wäre Ian Bradshaw damals nicht zur Stelle gewesen, hätten bloss die 48'000 Zuschauer im Stadion davon erfahren.» Die meisten anderen Fotografen hatten sich in der Halbzeitpause in die Katakomben verzogen, um sich an diesem kalten Nachmittag aufzuwärmen.
Dass er am 20. April 1974 nackt über das Spielfeld gerannt ist, bereut er nicht. Dass er damit einen Trend initiiert hat, der bis heute anhält, bedauert er jedoch sehr. «Ich fühle mich schuldig. Leute, die mitten in einem Spiel stören oder auf Pferde- oder Autorennbahnen rennen, das ist doch einfach nur pure Dummheit.» Sein Ratschlag an jeden, der sich überlegt, ebenfalls im Stadion zu flitzen, fällt entsprechend kurz aus: «Mach es nicht!»
Kinsey Wolanski, die Flitzerin vom Champions-League-Final 2019 in Madrid, wurde vom Feld abgeführt und direkt in eine Arrestzelle gesperrt. Es heisst, sie sei erst nach einigen Stunden wieder freigelassen worden.
Vor 45 Jahren nahm man den Zwischenfall wesentlich lockerer. Michael O'Brien, der Flitzer aus der Halbzeitpause, sah die zweite Hälfte schon wieder von der Tribüne aus. «Sie nahmen mich mit, ich zog mich wieder an, auf dem Polizeiposten füllte ich einige Formulare aus und rechtzeitig, als die Spieler aufs Feld zurückkehrten, sass ich wieder auf dem gleichen Platz wie vorher.»