Taipeh an der Nordspitze von Taiwan: Eine Stadt, in deren Grossraum rund sieben Millionen Menschen leben, fast so viele wie in der gesamten Schweiz. Hier lebt Philipp Marda, seit er im Sommer ein Studienjahr an der weltweit angesehenen Nationaluniversität in Angriff genommen hat.
Marda lebt mittendrin – und fühlt sich trotzdem nicht von der Grossstadt erschlagen. Mit seinem Töff, sagt er, sei er in nur 15 Minuten weg vom Beton. «Du fährst einmal um den Rank und schon bist du mitten im Dschungel, mit Wasserfällen, kalten und heissen Quellen, Schlangen, wilden Tieren. Es ist ein extrem vielfältiges, sehr interessantes Land», schwärmt der 26-jährige Zürcher von seiner temporären Heimat.
Marda, der die Pässe der Schweiz, Deutschlands und Marokkos besitzt, ist ein Sprachtalent und beherrscht nicht weniger als acht Sprachen fliessend. Doch weil er unbedingt auch noch Mandarin lernen wollte, entschied er sich für das obligatorische Auslandjahr seines Studiums in International Management für Taiwan.
Und als der Bescheid kam, dass man ihn dort aufnimmt, folgte Schritt zwei der Auswanderung auf Zeit: Die Suche nach einem Fussballteam. Was danach kam, war ein rasanter Aufstieg von der regionalen 2. Liga beim FC Küsnacht ZH an der Goldküste in die Taiwan Football Premier League, die höchste Liga des Landes.
Ein Bekannter vermittelte ihn an den Präsidenten des Royal Blues FC, welcher ihm Probetrainings versprach. Marda, der hier wie dort auf jedem Fussballplatz «Pippo» gerufen wird, überzeugte – und erkämpfte sich auf Anhieb einen Stammplatz.
«Natürlich hat die Premier League hier mit jener in England nicht viel gemeinsam», stellt Marda klar. «Sonst hätte ich ja auch nicht die Chance, in dieser Liga zu spielen.» Der Fussball sei in Taiwan zwar auf dem Vormarsch, aber doch noch eher klein. Zu den Spielen der höchsten Liga kommen bloss einige hundert Zuschauer. Der Nationalsport sei Baseball, dann komme Basketball. «Es werden sogar Baseball-Partien von Kindern live im Fernsehen gezeigt», staunt er.
Zu verdienen gibt es nicht viel, in erster Linie Punkteprämien. «Reich wird man nicht, aber es ist ein kleiner Zustupf.» Um das Studienjahr alleine mit dem Fussball zu finanzieren, würde dieses Sackgeld nicht reichen.
Ein Erlebnis ist es trotzdem. Denn gespielt wird trotz der ausbleibenden Massen in grossen Stadien, zum Beispiel im Nationalstadion in Kaohsiung. «Es ist der absolute Wahnsinn», erzählt Marda am Telefon, «auch wenn dann nur 300 Nasen da sind. Vor jedem Spiel läufst du zur Hymne der FIFA ein, manchmal mit Kindern an der Hand zur Begleitung. Das ist schon sehr cool. Ich darf in der höchsten Liga eines Landes spielen, das ist doch ein Traum!» Dank dem Fussball kommt er auch im Land herum, das zwar ein wenig kleiner als die Schweiz ist, aber drei Mal so viele Einwohner zählt.
Im Februar beginnt die neue Saison, welche Philipp Marda nicht mehr bei den Royal Blues absolvieren wird. Der ambitionierte Ligakonkurrent Taipeh City Red Lions war auf ihn aufmerksam geworden, liess ihn von Scouts beobachten und bot ihm einen Transfer an. «Ich habe mir gut überlegt, ob ich zu einem Rivalen wechseln soll», schildert Marda. «Aber ich habe Vor- und Nachteile abgewogen, es mit einigen Leuten besprochen und bin überzeugt, dass es der richtige Entscheid war.»
Gut möglich, dass für den neuen Klub auch Mardas Grösse von 1.81m ein Argument für die Verpflichtung war. Zuhause ist das durchschnittlich, «aber hier ist das gross. Meine Grösse ist definitiv von Vorteil», sagt der zentrale Mittelfeldspieler, der die Spielübersicht als seine Stärke nennt.
Aufgefallen ist ihm im ersten halben Jahr in Taiwan, dass die Teams das Risiko eher scheuen. «Es wird extrem auf Ballbesitz geachtet. Man will lieber keinen Fehler machen, spielt etwas mutlos. Die Kreativität steht sicher nicht im Vordergrund.» Es ist ein Eindruck, der sich mit Berichten deckt, die dies häufig als Grund für das Scheitern Japans und Südkoreas an der WM nennen. «Das ist vielleicht kulturell bedingt. Das Gemeinwohl steht im Vordergrund, bevor der Einzelne versucht, zu glänzen.»
Vielleicht wird das beim neuen Klub anders sein. Die Red Lions («das Logo sieht fast aus wie jenes des FC Winterthur») unterstrichen ihre Ambitionen mit der Einstellung eines neuen Trainers aus Europa. Der Spanier Felix Ramirez, zuletzt in Marbella tätig, hat übernommen. «Das Ziel des Vereins ist es, dank der Förderung junger Spieler mittelfristig zur Nummer drei im Land zu werden und langfristig die Nummer eins zu sein», sagt Marda.
Derzeit seien die ersten beiden Teams dem Rest der Liga noch klar überlegen. «Tatung und Taipower haben das meiste Geld und die professionellsten Strukturen, sie machen den Titel unter sich aus. Fast alle taiwanesischen Nationalspieler sind dort engagiert.» Das Nationalteam liegt auf Rang 124 der FIFA-Weltrangliste, so gut war es noch nie. Auch Mardas Eindruck ist: «Es tut sich hier etwas.»
Trainiert wird fast jeden Abend, tagsüber büffelt Marda in der Uni. Wenn keine Spiele anstehen, bereist er mit Freunden das Land, geht wandern und zelten. Die schwierige Situation, in der sich das Land befindet – China betrachtet es als sein Territorium, Taiwan will eigenständig sein – ist dann kaum je ein Thema. «Im Alltag merkt man davon nichts. Und in der südostasiatischen Kultur ist es auch nicht üblich, gleich zuerst über Politik zu reden. Man ist hier zurückhaltender als in der westlichen Welt.» Bei Abstimmungen wie zuletzt über gleichgeschlechtliche Ehen oder Atomkraftwerke werde aber die Demokratie gelebt.
Marda lebt mit einem Kollegen in einer WG, deren Küche wohl ungenutzt bleibt. «Seit ich hier bin, habe ich noch nicht einmal gekocht», sagt der Student. Auswärts zu essen sei auch für Einheimische normal und günstig. «Das Essen nimmt einen zentralen Punkt im taiwanesischen Leben ein, es wird zelebriert. Man geht oft mit Freunden oder der Familie weg.»
Dass er länger in Taiwan bleibt, falls er mit dem neuen Klub Erfolg hat oder andere Angebote erhält, schliesst der Zürcher trotz aller Liebe zur Insel aus. Er werde in die Schweiz zurückkehren, das Studium habe Priorität. «Ich spiele wirklich nur aus Freude Fussball und nicht, weil ich irgendwelche übertriebenen Ambitionen oder Träume von einer grossen Profikarriere hätte.»
Noch bis im Sommer darf sich Philipp Marda aber immerhin ein wenig so fühlen, wenn er in der Taiwan Premier League antritt. Danach wird er wieder in der Heimat sein und dann gibt's auch wieder etwas anderes als asiatische Küche: «Auf richtig feine Schoggi freue ich mich jetzt schon!»