Tatort Intercontinental Hotel in Ryadh, Hauptstadt, Zentrum der Macht und der Hochfinanz des Königreichs Saudi-Arabien. Hier, in einer der exklusiven Suites, logiert seit Dienstag der Schweizer Stan Wawrinka. Auf Einladung von Abdulaziz bin Turki bin Faisal bin Abdulaziz Al Saud – und damit eines Vertreters des Königshauses persönlich.
Acht der Weltbesten Tennis-Spieler ermitteln bis Samstag den Sieger des Diriyah Tennis Cup. Alimentiert wird das Einladungsturnier von Saudi Aramco, dem grössten Ölproduzenten der Welt. Das Unternehmen hat 2018 einen Gewinn von 111.1 Milliarden Dollar erwirtschaftet und ist damit das profitabelste der Welt. Sein Börsenwert: 2 Billionen (!) Dollar. Am Mittwoch ging Aramco an die Börse und erwirtschaftete damit über 25 Milliarden Dollar. Geld, das direkt in die Modernisierung Saudi-Arabiens fliessen wird.
Digital, vernetzt, weltoffen und effizient – so skizziert Kronprinz Mohammed Bin Salman seine «Vision 2030». Am Roten Meer soll die Retortenstadt Neom, ein von erneuerbaren Energien erleuchtetes Technologie-Paradies entstehen. «Weg vom Öl!», heisst der Schlachtruf. Das schwarze Gold soll vor allem Exportschlager sein und weniger zu Hause verbraucht werden.
Saudi-Arabien als leuchtendes Beispiel für die Zukunft? Als Symbol für eine offene Gesellschaft? Gebaut auf Innovation und beseelt von einem visionären Geist? Wohl eher nicht. Saudi-Arabien tut das, was Autokratien schon immer getan haben: Den Sport für Propaganda missbrauchen. Das Tennisturnier ist nur ein Teil der Diriyah Season. Anfang Dezember boxten auf der gleichen Bühne Anthony Joshuah und John Ruiz Jr. im «Clash on the Dunes» (Kampf auf den Sanddünen) um die Krone im Schwergewicht.
Ende November gastierte die Formel E in Diriyah, das am nordwestlichen Rand von Riad liegt, Herkunftsort der Herrscherdynastie Al Saud ist und seit 2010 Weltkulturerbe ist. Die perfekte Kulisse, um im Schaufenster der Welt ein Pfauenrad zu schlagen. Die Diriyah Season als Täuschung der Welt, ausstaffiert mit bombastischer Schaufensterdekoration, glanzvollen Wettkämpfen in einer Kulisse überwältigender Architektur.
Sportswashing nennen Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International das. Imagepflege also, immer mit freundlicher Genehmigung der Sportler. Wenn die Scheichs mit den Dollar-Noten wedeln, machen sie die hohle Hand. Auch bei Saudi-Arabien. Das Land, das im letzten Jahr eine 15-köpfige Truppe nach Istanbul geschickt hatte, um den Journalisten Jamal Kashoggi im Konsulat zu exekutieren. Saudi-Arabien, das Frauen als Menschen zweiter Klasse behandelt. Saudi-Arabien, das Homosexuelle foltert, Dissidenten ermordet.
Das Land, das auf dem Al-Safah-Platz in der Hauptstadt Riad, im Volksmund «Kopf-ab-Platz», so viele Menschen öffentlich enthauptet, dass man einst per Online-Anzeige Henker von Königs Gnaden suchte. Saudi-Arabien, das Frauen als Menschen zweiter Klasse behandelt, ihnen den Zugang zu Bildung und Gesundheitswesen erschwert. Saudi-Arabien, das alles verkörpert, das nicht mit unserem Demokratieverständnis zu vereinbaren ist: keine freien Wahlen, keine Religionsfreiheit, keine Gewaltenteilung, keine Pressefreiheit, keine Versammlungsfreiheit, keine Meinungsfreiheit. Regelmässig werden Amputationen, Steinigungen und Auspeitschungen durchgeführt.
Wir wollten von Stan Wawrinka wissen, wie er mit den Gegebenheiten umgeht. Folgende sechs Fragen wurden ihm und seinem Agenten am Dienstag zugestellt. Sie blieben auch auf Nachfrage unbeantwortet.
Stan Wawrinka ist in dieser Geschichte nicht Täter. Der 34-Jährige ist nicht verantwortlich für die Verletzung von Menschenrechten. Aber er lässt sich wie alle anderen Sportler als Marionette instrumentalisieren. Denn in Diriyah geht es nicht um sportliche Meriten und nur vordergründig um eine optimale Vorbereitung der neuen Saison. «Ich bin glücklich, hier zu sein, es ist eine tolle Atmosphäre. Was die Leute hier auf die Beine gestellt haben, ist sehr beeindruckend, ich geniesse es sehr», sagt Wawrinka am Tag vor dem Turnier. Alleine die Teilnahme bringt 100'000 Dollar ein, der Sieg ist mit einer Million Dollar Preisgeld prämiert.
Dass es auch anders geht, beweist der Golfer Rory McIlroy. Der Nordire lehnte ein Angebot über 2.5 Millionen Dollar für sein Erscheinen bei einem Turnier ab und begründete das damit, dass er auch «eine moralische Verantwortung» trage. Dass er im Intercontinental Hotel als «Mr. Stan Wawrinley» und sein Trainer Magnus Norman als «Mr. Magnus Nonfils» bezeichnet werden, amüsiert Wawrinka. Frei nach dem Motto: Beisse nie die Hand, die dich füttert. Stan Wawrinka hat mit seiner Teilnahme am Diriyah Tennis Cup eine Chance verpasst. Er macht die Hand auf. Nicht aber den Mund.
Sein neues Dress erinnert irgendwie an altes schweizer Brauchtum, nur dass es bei den Wüstensöhnen irgendwie schwierig wird den Winter zu vertreiben.