«Aus dem Nichts»? Das mag respektlos klingen, bringt aber seinen Triumph von 2016 auf den Punkt. Matthias Glarner war nie ein Anwärter auf den Königsthron, allerhöchstens ein Aussenseiter. Er ist nicht mit grossen Siegen in die Rolle eines Königsanwärters hineingewachsen. Und als er 2016 den Thron besteigt, ist er auch nicht ein junger Held wie Ruedi Hunsperger 1966, Adrian Käser 1989 oder Killian Wenger 2010. Selbst die Kenner sagen: Ach, der ist ja auch noch da. Wie kommt es bloss, dass er nun auf einmal König ist?
Es gibt eine Episode, die uns zeigt, wie Matthias Glarners Karriere weitgehend im Windschatten von charismatischen Berner Titanen wie Kilian Wenger, Matthias Sempach oder Christian Stucki verlaufen ist.
Beni Knecht ist sowohl der Manager von Kilian Wenger als auch von Matthias Glarner. Als er wieder einmal gefragt wird, was ein Sponsoring bei König Kilian Wenger einbringt, sagt er so nebenbei, dass jene, die weniger Geld ausgeben wollen, ja halt etwas mit dem Matthias Glarner machen können. Das sei dann günstiger.
Er steht nicht im Rampenlicht und er will das auch gar nicht. Dass er schliesslich nicht ganz ein Jahr nach seinem Titelgewinn im Juni 2017 bei einem PR-Fototermin von einer Gondel zwölf Meter in die Tiefe stürzt, ist eine grausame, bittere Ironie des Schicksals. Aber er hat dieses Unglück in der ihm eigenen klugen, zurückhaltenden Art gemeistert und ist noch einmal in die Arena zurückgekehrt.
Wer ihn kritisiert, weil er 2019 in Zug noch einmal angetreten ist und die Bühne als König ohne Kranzgewinn durch den Hinterausgang verlassen musste, tut ihm im höchsten Grad unrecht. Erstens hat er mit dem Comeback eine Leistung vollbracht, die so hoch anzusetzen ist wie seine Thronbesteigung 2016 und zweitens hat ihm allein die Qualifikation fürs Eidgenössische 2019 die Bestätigung geliefert, dass er wieder «zwäg» ist, wie die Berner sagen.
Auch wenn Matthias Glarner neben dem Eidgenössischen von 2016 keine weiteren Feste mit eidgenössischem Charakter (wie Unspunnen oder Kilchberg) gewonnen hat: Seine Karriere-Bilanz ist eine eindrückliche. 116 Kränze hat er geholt, davon vier eidgenössische (2007, 2010, 2013, 2016).
Und obwohl er als König von 2016 nie das Charisma (und damit auch nicht das Vermarktungs-Potenzial) seiner Vorgänger hatte: Sein Sieg im eidgenössischen Schlussgang von 2016 gegen Armon Orlik gehört zu den ganz grossen Gängen der Schwingergeschichte.
Orlik ist der grosse Favorit. Mit 21 Jahren fast zehn Jahre jünger und auch grösser, schwerer und kräftiger. Erst einmal und noch nie in der Neuzeit hat einer nach dem 30. Geburtstag den Thron bestiegen (Christian Stucki war dann 2019 der nächste).
Eigentlich hat der Berner Oberländer, der am 19. Dezember 31 Jahre alt werden wird, gegen die neue Lichtgestalt der Nordostschweizer keine Chance. Aber er nützt sie. Matthias Glarner gewinnt bei hochsommerlichen Temperaturen nach 13 Minuten einen Abnützungskampf.
Der unspektakuläre Arbeitssieg eines «Chrampfers»? Nicht nur. Dieser Triumph ist zwar das Resultat einer grandiosen Willensleistung. Aber eben auch der Intelligenz. Der inneren Ruhe. Der Geduld. Der Kaltblütigkeit. Der Fähigkeit, am entscheidenden Wochenende und dann punktgenau im Kampf seines Lebens alles abzurufen und eine Chance zu nützen, die nie wiederkehren wird.
Im Spitzensport wird oft von «Druck» und «Belastung» gesprochen. Matthias Glarner meistert maximalen Druck und maximale Belastung königlich und ist seinem Gegner «zweikampftaktisch» überlegen. Auch wenn er – anders als Ernst Schläpfer, der einzige Akademiker in königlichen Schwingerhosen – keinen Doktortitel hat: Jene haben recht, die sagen, Matthias Glarner sei einer der intelligentesten Könige der Geschichte (seit 1895).
Der Bruder des Fussballspielers Stefan Glarner (u.a. FC Thun) war vor dieser Thronbesteigung kein Star und ist es auch nachher nicht. Der König der Schwinger ist in unserem Land eine der bekanntesten, gefragtesten, berühmtesten Persönlichkeiten. Für Matthias Glarner spielt das keine Rolle. Er bleibt der freundliche, sympathische, bescheidene, geerdete Familienmensch, der er vorher schon war.
Einer der ganz Grossen hat die Arena verlassen. Unspektakulär an einem wunderschönen Spätherbsttag durch den Hinterausgang. So wie es zu ihm passt. Der leise Abschied eines grossen, klugen Königs.