Sport
Analyse

Ein olympischer Skandal und 7 offene Fragen um das Hockey-Turnier

FILE - In this Feb. 18, 2014, file photo, a Russian skating fan holds the country's national flag over the Olympic rings before the start of the men's 10,000-meter speedskating race at Adler ...
Das russische olympische Komitee wird von den Olympischen Spielen ausgeschlossen. Bild: AP/AP
Analyse

Ein olympischer Skandal und 7 offene Fragen um das Hockey-Turnier

Der Entscheid, das olympische Komitee Russlands von den Winterspielen 2018 auszuschliessen, ist so ziemlich der grösste Skandal der neueren Sportgeschichte. Ein Schweizer – Hockeywelt-Präsident René Fasel – muss ihn nun ausbaden.
06.12.2017, 06:3206.12.2017, 09:07
Folge mir
Mehr «Sport»

Der erste Skandal ist ein juristischer: Eine Kollektivstrafe – und nichts anderes ist der Ausschluss des russischen olympischen Komitees – widerspricht jeder Auffassung einer Rechtsstaatlichkeit. Darüber hinaus würde die lebenslängliche Sperre (für den ehemaligen Sportminister Witali Mutko) von jedem ordentlichen staatlichen Gericht in der Luft zerrissen. Lebenslänglich gibt es in manchen westlichen Staaten nicht einmal für Mord. Und ganz nebenbei: Witali Mutko spielt bei der kommenden Fussball-WM in Russland eine zentrale Rolle.

Der zweite Skandal ist die Unfähigkeit der zuständigen Welt-Doping-Agentur (Wada), im Rahmen der Olympischen Spiele 2014 ordentliche Dopingkontrollen durchzusetzen. Vereinfacht und verständlich erklärt: Die Rechtshoheit über die Orte, bei denen die Proben entnommen worden sind, hatte nie der russische Staat. Die lag immer beim IOC bzw. den Fachverbänden. Die Wada hatte also die Möglichkeit, ungehindert ordentliche Dopingkontrollen mit neutralen Kontrolleuren durchzuführen und in unabhängigen und verlässlichen Labors auswerten zu lassen. Dass die Wada dazu nicht in der Lage war, zeigt, wie heillos überfordert und unfähig die Dopingjäger sind. Es ist schon eine unfassbare Naivität, Dopingkontrolle der russischen Dopingagentur zu überlassen.

Arrival of Witali Mutko, Russia, Member FIFA Executive Committee, at the FIFA headquarters in Zurich, Switzerland, Thursday, September 24, 2015. The FIFA Executive Committee meeting takes place on 24/ ...
Kriegt eine lebenslange Sperre: Witali Mutko.Bild: KEYSTONE

Der dritte Skandal ist die Führungsschwäche der olympischen Bewegung. Das IOC-Exekutiv-Komitee, das Führungsgremium des olympischen Sportes, mahnt an die ehemalige DDR-Regierung, deren Chef Walter Ulbrich, als es darum ging, den westlichen Lebensstandard zu übertreffen, den Spruch prägte: «Überholen ohne einzuholen.» Nun gilt die Losung beim IOC: «Strafen ohne wirklich zu strafen.»

Welch jämmerliche, welch lächerliche Figur gibt das Exekutiv-Komitee um IOC-Präsident Thomas Bach ab. Denn sie wissen nicht mehr, was sie tun sollen.

Einerseits ein Ausschluss des russischen olympischen Komitees – aber dann doch nicht für die, die angeblich dopingtechnisch sauber sind. Ein bisschen Russen strafen, weil das ja auch weltpolitisch sexy ist und gut in den westlichen Medien-Mainstream passt. Ein bisschen Empörung wegen des Dopingskandals, um die öffentliche Meinung zu beruhigen. Aber dann halt nicht konsequent ausschliessen, nur so ein wenig strafen, aber allerlei Hintertürchen offen lassen, weil man es sich mit Wladimir Putin doch nicht ganz verderben will – welch jämmerliche, welch lächerliche Figur gibt das Exekutiv-Komitee um IOC-Präsident Thomas Bach ab. Denn sie wissen nicht mehr, was sie tun sollen.

Nun ist das Chaos perfekt. Das Herzstück der Olympischen Spiele ist das Eishockeyturnier. Zwei Monate vor den Spielen weiss nun niemand mehr, was Sache ist.

Was passiert mit dem Hockey-Turnier? 

In den nächsten Tagen muss nun René Fasel, Mitglied des IOC und Präsident des internationalen Eishockeyverbandes (IIHF), verbindliche Antworten auf mindestens sieben Fragen liefern:

  1. Sind die Russen bereit, am Hockeyturnier teilzunehmen, wenn sie unter neutraler Flagge («Olympic Athlete from Russia») antreten müssen?
  2. Gelten die russischen Eishockeyspieler als dopingtechnisch sauber und dürfen das olympische Turnier bestreiten, wenn sie in der KHL, also unter russischer Dopinghoheit, spielen?
  3. Wenn die Russen nicht teilnehmen dürfen oder wollen – spielt dann die grossrussische Liga KHL während den Olympischen Spielen durch?
  4. Wenn die KHL durchspielt – werden dann die in dieser Liga unter Vertrag stehenden nichtrussischen Spieler für das olympische Turnier freigegeben?
  5. Sollten diese Spieler von den KHL-Klubs nicht freigegeben werden, was wird dann, werden sie gegen den Willen ihres Klubs und Arbeitgebers doch teilnehmen wollen?
  6. Wenn die Russen nicht teilnehmen – wer darf dann als Ersatz nachrutschen?
  7. Wenn die Russen durch ein bisher nicht qualifiziertes Team ersetzt werden – müssen dann Gruppeneinteilung und Spielplan neu gemacht werden? Das nachrutschende Team wäre ja ein leistungsschwaches «Lotterteam» und müsste den Platz eines Mitfavoriten einnehmen.

Und letztlich verrückt: Wenn die Russen und die in der KHL unter Vertrag stehenden Spieler der anderen Nationen nicht teilnehmen dürfen – dann ist für die Schweiz der Gewinn der ersten Olympia-Medaille seit 1948 das Minimalziel.

Rene Fasel, President IIHF speaks during a press conference at the Ice Hockey World Championship in Paris, France on Monday, May 8, 2017. (KEYSTONE/Peter Schneider)
Gehörig unter Druck: IIHF-Präsident René Fasel.Bild: KEYSTONE

Wen die Hockeygötter lieben, den züchtigen sie: Ausgerechnet René Fasel hat diesen olympischen Skandal auszubaden und die grösste olympische Hockey-Krise seit 1948 zu lösen.

Der Hockey-Geheimdiplomat

Seit seinem Amtsantritt im Jahre des Herrn 1994 hat der ehemalige Zahnarzt als IIHF-Vorsitzender mehr für die internationale Entwicklung des Eishockeys getan als jeder seiner Vorgänger seit 1908. Er wird, unabhängig vom Ausgang des aktuellen Olympia-Skandals, als einer der grössten Sportdiplomaten in die Geschichte eingehen. Er hatte bereits in den Zeiten des «Kalten Krieges» viel zur Entspannung beigetragen und seine Hockey-Geheimdiplomatie ermöglichte unter anderem zu Beginn der 1990er Jahre den Wechsel von Bykow und Chomutow zu Gottéron.

Slava Bykov, membre du Conseil d'Administration du HC Fribourg-Gotteron, regarde le match lors de la rencontre du championnat suisse de hockey sur glace de National League entre HC Fribourg-Gotte ...
Fasel holte einst Slawa Bykow zu Gottéron.Bild: KEYSTONE

Er brachte die nordamerikanischen Erzkapitalisten dazu, den NHL-Stars ab 1998 die Teilnahme am olympischen Turnier zu erlauben. Bis heute die grösste und viel zu wenig gewürdigte Leistung der internationalen Hockey-Diplomatie. Und nun droht ein olympisches Eishockeyturnier ohne «seine» Russen. Wegen einer Dopinggeschichte, die mit dem Eishockey nichts zu tun hat. Nachdem bereits die NHL-Stars fehlen werden, weil die NHL-Klubs nicht mehr bereit sind, eine olympische Pause einzulegen.

Es wären die ersten olympischen Spiele ohne die Russen seit deren Einstieg ins internationale Eishockey im Jahre 1954. Welch eine bittere Ironie der Hockeygeschichte: Das letzte olympische Hockeyturnier in René Fasels Amtszeit ausgerechnet ohne «seine» Russen. Darüber könnte ihn nur noch ein Titelgewinn von Gottéron einigermassen hinwegtrösten.

Die kuriosesten Geschichten aus 120 Jahren Olympia

1 / 30
Die kuriosesten Geschichten aus 124 Jahren Olympia
Kein Sportanlass zieht die Menschen mehr in den Bann als die Olympischen Spiele, die seit 1896 zum weltweit wichtigsten Sportereignis geworden sind. Und keine Ausgabe der Sommerspiele blieb ohne ihre eigene kuriose Geschichte.
quelle: ap / lionel cironneau
Auf Facebook teilenAuf X teilen

Dinge, die Hockey-Fans niemals sagen würden

Video: Angelina Graf

Unvergessene Olympia-Momente: Winterspiele

Alle Storys anzeigen
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
27 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
my2cents
06.12.2017 07:52registriert Februar 2015
Tut mir leid, aber mit der Einführung in diesen Artikel hat sich Klaus völlig vertan. Einerseits findet er es daneben „Kollektivstrafen“ zu verhängen, andererseits ist es „völlig naiv“ der russischen WADA Agentur zu vertrauen aber dennoch ausgeschlossen, dass der russische Staat Einfluss nimmt? Und bitte... lass die juristischen Fachsimpeleien, wenn du sie nicht verstanden hast. Lebenslängliche Sperre kann man nicht mit lebenslänglichem Gefängnis gleichsetzen.
10617
Melden
Zum Kommentar
avatar
The oder ich
06.12.2017 08:29registriert Januar 2014
Das Eishockeyturnier als Herzstück der Olympischen Spiele zu deklarieren, zeugt von einer - sagen wir es mal so - eismeisterfroschperspektivisch verzogenen Weltsicht, selbst wenn man nur die Winterspiele anschaut.
11027
Melden
Zum Kommentar
avatar
insider
06.12.2017 09:34registriert Juni 2016
Lieber Klaus Zaugg, was wollen Sie mit diesem Artikel sagen?
Ich vermisse einen alternativen, konstruktiven Vorschlag zur Lösung der Krise.
Für mich macht Ihr Text den Eindruck eines Pamphlets für staatlich organisiertes Doping und für das Russland von Vladimir Putin.
Sie lenken vom eigentlichen Skandal ab! Schade.
8017
Melden
Zum Kommentar
27
Selbst FCB-Stürmerstar Hitzfeld ist gegen den Cup-Schreck FCZ machtlos
23. April 1973: Zum dritten Mal innerhalb von vier Jahren heisst der Cupfinal FCZ gegen FCB. Jedes Mal sind die Basler Favorit, aber jedes Mal gewinnen die Zürcher. Auch an diesem Ostermontag.

Der FC Sion ist die Schweizer Cupmannschaft schlechthin. Man darf aber auch den FC Zürich als solche bezeichnen, besonders mit Blick auf die frühen Siebzigerjahre, als der FCZ den FCB in den Finals verzweifeln lässt.

Zur Story