Ist es ... ein Auto?
Ist es ... ein Pickup?
Nein, es ist ein EL CAMINO!
Und ich bin so in Versuchung.
In Versuchung, mir so etwas zuzutun. Und mit «etwas» meine ich einen Chevrolet El Camino. Am liebsten mit Jahrgang zwischen 1968 und 1970.
Nun, auf meine Versuchung werden wohl nicht so schnell Taten folgen, denn genau jene Modelljahrgänge sind jüngst dermassen im Wert gestiegen, dass ein Kauf wohl nicht infrage kommt. Ausserdem stellen solche Göppel hier in Europa das wohl unpraktischste Auto-Konzept ever dar: vorne eine Sitzreihe, hinten eine riesige offene Ladefläche. Hey, in meinem aktuellen ‹unpraktischen› Fahrzeug, einem 1966er Chevrolet Impala, kann man bequem zu sechst herumkurven, und im kavernösen Kofferraum hat's erst noch locker Platz für ein paar Leichen die entsprechende Gepäckmenge. Und beim El Camino? Fehlanzeige – dies, obwohl die Aussendimensionen ziemlich punktgenau die Gleichen sind. Gewiss, man kann hinten auf der Ladefläche ordentlich viel transportieren ... solange es nicht regnet. Und das Auto stehen lassen sollte man wohl auch nicht zu lange, denn sonst wird alles, was hinten drin ist geklaut.
But look at it:
Ist das nicht schlicht das coolste Gefährt überhaupt?
Okay, ich greife vor. Hier braucht's etwas Kontext. Etwa gilt es, die Frage zu klären: Weshalb eigentlich existiert überhaupt ein Gefährt, das vorne Limousine, hinten Kleinlaster ist?
Ein Chevrolet El Camino ist der wohl bekannteste Vertreter einer sehr nischigen Auto-Klasse, die 1957 mit dem Konkurrenzprodukt aus dem Hause Ford begann, dem Ford Ranchero:
«More Than A Car! More Than A Truck!», verkündete Fords Marketingabteilung damals (was im Volksmund bald zu «Business at the front, party at the back» wurde – die Vokuhila der Autowelt, gewissermassen).
Solche Limousinen-Pickups (Chevrolet folgte 1959 mit ihrem El Camino) waren für die Autofirmen vergleichsweise einfach und billig herzustellen. Man benutzte die bestehende Plattforme der jeweils aktuellen Mittelklasse-Baureihe. Bei Ford waren es die Custom 300 und Fairlaine, bei Chevy der Brookwood, später die Chevelle. Die Motorisierung blieb dieselbe, die Karosserie bis und mit der ersten Sitzreihe ebenfalls.
Ranchero. El Camino. Es war kein Zufall, dass beide Grosskonzerne ausgerechnet spanische Bezeichnungen für ihre jeweiligen Modelle wählten. Im 2001er Film «The Mexican» gibt es die eine Szene, in der Brad Pitt sich bei der mexikanischen Autovermietung beschwert, sein nigelnagelneuer Chrysler, sei nicht besonders «authentisch». Der Manager der Autovermietung daraufhin: «Aha. Schon klar – sie wollen einen EL CAMINO!»
In der Tat zielten die Marketingabteilungen von Ford und GM sehr wohl auf die grosse mexikanische und südamerikanische Einwanderergemeinde des US-Südwestens und der Westküste. Ein Grossteil dieser Bevölkerung arbeitete in der Landwirtschaft und benötigte demnach ein Vehikel mit einer Ladefläche – aber sie wollte auch etwas, das am Wochenende im Ausgang eine Falle machte.
Dementsprechend wurden solche Limousine Pickups, wie sie offiziell genannt wurden, in verschiedenen Ausstattungsvarianten angeboten. Den Chevy El Camino etwa gab es analog den Chevelle- und Impala-Modellreihen auch in der sportlichen Super-Sport-Variante, die bis zu 450 PS leistete.
Die Autogattung genoss gut zwei Jahrzehnte lang Erfolg, wenn auch stets als Nischenprodukt. Der Ford Ranchero hielt sich bis 1979, der Chevy El Camino bis 1987. Inzwischen waren Autos immer kleiner geworden und die zunehmenden staatlichen Restriktionen und Sicherheitsanforderungen an Personenwagen (El Camino und Ranchero galten als solche, da sie auf Pkw-Plattformen basierten) machten die Modelle aus Sicht der Hersteller immer weniger attraktiv. Zweckbestimmte «light trucks», wie sie von Japan auf den Markt kamen, mussten viel weniger strenge Anforderungen an Emissionen und Kraftstoffverbrauch erfüllen.
Heute dominieren grosskalibrige 4x4-Trucks das Strassenbild des US-Südwestens, doch Limousine Pickups von anno dazumal geniessen heute eine grosse Fangemeinde, besonders in der Chicano-Bevölkerung der USA, wo der El Camino nebst dem Impala zu einem regelrechten kulturellen Symbol emporgestiegen ist.
Hier in Europa sieht man solche Autos kaum – aus anfänglich genannten Gründen. Begegnet man ab und an doch einem, muss man den Hut ziehen: Respect.
Und nun gehe ich auf Bringatrailer und gebe im Suchfeld «El Camino» ein NEIN MACH'S NICHT, OLIVER!