Er hat uns alle zu seinen Kindern gemacht. Wir, die wir in den 80er-Jahren Kind waren oder Teenager. Er hat Buben und Mädchen zu bändigen gewusst in den kostbaren Stunden, die wir verzückt, gebannt und manchmal gar in Tränen aufgelöst vor dem Fernseher verbrachten. Damals, als sich die deutschsprachigen Sender noch an einer Hand abzählen liessen. Doch wenn eine der Serien von Justus Pfaue lief, dann reduzierte sich unsere ganze Welt auf einen einzigen Sender, auf das ZDF nämlich, und fertig.
Was der «Tatort» und «Dallas» für Erwachsene waren, das waren «Timm Thaler», «Silas», «Patrik Pacard», «Jack Holborn», die kleine Ballerina «Anna» und «Das Nesthäkchen» für uns. Justus Pfaue führte dabei nicht etwa Regie, nein, er war bloss der Drehbuchautor (und in wenigen Fällen auch der Geschichtenerfinder), aber einer, dessen Name genauso gross war wie die der jugendlichen Serienhelden, über die damals die „Bravo“ und alle andern gar nicht genug schreiben konnten.
Über Thommy Ohrner etwa, der 1979 als Timm Thaler sein Lachen dem Teufel verkaufte und viel Böses erlebte und herzzerreissend traurig schauen konnte. Oder über Patrick Bach, der 1981 als 13-Jähriger zum Superstar wurde, weil er Silas spielte, den Jungen, der einst an einen Wanderzirkus verkauft worden war und viel Schauriges erlebte, unter anderem, wie brutal ein Tanzbär abgerichtet wird. Bach spielte ein Jahr später auch den Waisenjungen Jack Holborn, der als blinder Passagier zur See fährt und viel Schreckliches erlebt, zum Beispiel wie einer gehängt wird.
1987 war Patrick Bach schon 19 und ein regulärer Mädchenschwarm und spielte in «Anna» den Rollstuhlfahrer Rainer, der die verunfallte und schwer depressive Ballerina Anna (Silvia Seidel) mit seinem Optimismus therapiert und ihr damit eine Karriere an der Pariser Oper ermöglicht. «Anna» war vor zwei Jahren plötzlich wieder im Gespräch – die 42-jährige Silvia Seidel hatte sich das Leben genommen, sie war für die Fernsehwelt immer Anna geblieben und das hatte sie nach all den Jahren nicht mehr ausgehalten.
Auch Patrick Bach hat als Erwachsener keine Erfolge mehr gefeiert und Thommy Ohrner hat es noch knapp bis zum Soap-Darsteller und Gelegenheitsmoderatoren geschafft. Aber in den 80ern waren die drei dank den Geschichten, die Justus Pfaue für sie schrieb, Jugendidole und wer schon einmal versucht hat, mit seinen Kindern die Serien von damals zu schauen, weiss: Timm und Silas und Jack und Anna sind heute noch genauso aufregend wie damals. Und Annas Garderobe kann man heute gut und gern zum Retrokult erklären.
Justus Pfaue, der 1942 als Norbert Sellmann zur Welt gekommen war, studierte vor seiner Arbeit als Jugendbuch- und Drehbuchautor Rechtswissenschaften und forensische Psychologie. Beides dürfte ihm bei der Plausibilität und fesselnden Abgründigkeit seiner Abenteuer zu Gute gekommen sein. In den letzten Jahren konnte er noch ein paar Erfolge für das erwachsene Publikum einheimsen: 2010 schrieb er beispielsweise fürs ZDF den Dreiteiler «Die Kirschenkönigin», die Geschichte einer jüdischen Bankierstochter zur Nazizeit, die Pfaue dem Schicksal seiner jüdischen Grossmutter nachempfand. Johanna Wokalek («Die Päpstin»), Jürgen Vogel, Richy Müller und viele weitere grosse Namen machten die Miniserie mit Potenzial zur Schnulze zu einem hochkarätigen TV-Ereignis.
Wie das ZDF jetzt mitteilte, ist Justus Pfaue bereits am vergangenen Wochenende 71-jährig in Berlin verstorben. Der Mann, der in den 80ern die besten Gutenachtgeschichten im deutschen Fernsehen zu erzählen wusste. Der beste Fernsehvater von allen.