Ich war in Aarau. Es gab an diesem Abend an Aarau eigentlich gar nichts auszusetzen, wir waren an der Vernissage des unerhört attraktiven palästinensischen Künstlers
Alaa Abu Asad , der auf jeden Fall die schönste Hasenkunst gemacht hat, die ich je gesehen habe, das Catering war vollkommen fantastisch und das Wetter viel, viel besser als in Zürich.Aaraus einziger Fehler: Es war eben doch nicht Zürich. Denn in Zürich war jetzt Conchita Wurst und hielt eine Pressekonferenz und ich war nicht dabei. Und ich fühlte: Mein Herz blutet. Ungefähr wie damals, als ich vor lauter Coolness absichtlich kein Ticket für Madonna im Letzigrund besorgt hatte, und nachher ein Konzert lang mit dem Velo ums Stadium herumschlich und bei jedem Ton dachte: «Mutter!»
«Aber wieso ist dir diese Conchita jetzt so wichtig?», fragte mein Liebesleben. «Weil es in der weiten Welt des Genders seit Judith Butler nichts mehr so Aufregendes gegeben hat!», sagte ich in Aarau und versuchte langsam und gaaaanz unaufdringlich, unsere innere Kompassnadel in Richtung Bahnhof zu lenken. Mit Erfolg. Um halb zehn standen wir in Zürich auf der Kasernenwiese, es war kalt, die Wiese stand unter Wasser, und ich dachte das Naheliegendste, nämlich, haha, bald wird sich hier Conchita wie Phoenix aus dem Sumpf erheben.
Ein junger Mann hinter mir quietschte mit Schnappatmung: «Ich hab sie gesehen! Backstage! Conchita!!! Ohmygod!» An seiner Stelle hätte ich genauso reagiert, ich schwörs. Conchita bringt ja die Hirnlappentätigkeiten der vernünftigsten Leute zum Erliegen. Einfach weil sie ein so verdammtes und so verdammt konsequentes Wunderwesen ist. Ich glaube fast, sogar meine Mutter (die Echte, nicht Madonna), ist Conchita-Fan.
Und die NZZ, die am Freitagnachmittag ein Einzel-Date mit Conchita bekam, schenkte ihr doch tatsächlich zwei Cervelats! Weil die Wurst ja jetzt eine Art Supernobel-Cervelat-Prominenz ist. Man muss sich das mal vorstellen: Ein NZZ-Journalist schenkt einem Transvestiten zwei Cervelats und schreibt auch noch drüber. Etwas Durchgeknallteres dürfte es innerhalb der NZZ noch überhaupt gar nie gegeben haben. Das ist ja, als würde der Papst plötzlich für Slipeinlagen Werbung machen.
Und dann tat sich was auf der Bühne. Die herzige Gülsha vom Jugendsender joiz kreischte in einem fort «Wuhuuuuuuu! Wuhuuuuu!», eine Ansage, deren tieferer Sinn sich mir nicht erschloss, aber immerhin zog sie so die Aufmerksamkeit der homo-bi-trans-und-sonstwie-sexuellen Festgemeinde sofort auf die Bühne. Wo dann allerdings zuerst ein Mann sang, der im Publikum keinerlei Reaktion auslöste. Doch dann kam sie: Conchita, Queen of Austria, Sissi2.0, Kaiserin der Völkerverständigung im Namen der Geschlechterfreiheit, besonders, schön, würdig und – in Hosen! Wenn das keine Revolution im trans-, pardon, internationalen Kleiderverhalten von Frauendarstellern auslöst!
Es kam aber auch: Kurt Aeschbacher. Als Laudator. Er überreichte Conchita Wurst den ersten Unstoppable-Award, der in voller Länge «Unstoppable: The Conchita Wurst Award» heisst. Kurt Aeschbachers Rede war, sagen wir, bemerkenswert. Eine leicht krause Konfusion aus Metatexten zur Gender-Debatte und seltsamen Ausrutschern ins allzu Bodenständige. Hübsch zum Beispiel die Passage, wo er darüber sinnierte, dass sich Tom Neuwirth und Conchita Wurst ja gar nie so richtig im Spiegel begegnen könnten. Oder als er sagte, Conchita sei eine «lebendige Freiheitsstatue», und sei «wie Phoenix aus der Asche der Vorurteile» gestiegen. Quasi als «attraktive Sexbombe mit politischer Sprengkraft». Irgendwie geschmacklos dann die Erwähnung von «Wurstsalat» («ihr beide», also Tom und Conchita, «habt nicht zugelassen, dass andere aus euch Wurstsalat machen»). Aber gut, ich finde Wurstsalat immer und überall deplatziert und was ist jetzt schlimmer: Aeschbachers Wurstsalat oder die Cervelats der NZZ?
Die Diva dankte. Huldvoll, aber auch ein wenig zu sorgfältig vorgestanzt, und versprach den Zürchern, daran zu arbeiten, «dass dieser Preis einer der wichtigsten wird». Quasi der Nobelpreis unter den Geschlechterpreisen.
Und: Sie sang. Vier Songs. «Believe» von Cher, natürlich, «That's What I Am», mit dem Conchita schon 2012 einen Eurovision-Song-Contest-Versuch unternommen hatte, dann den Phoenix und als Zugabe «My Heart Will Go on», das letzte Aufheulen der Titanic also und Conchitas einziger kleiner Fehler.
Es war selbstverständlich der Himmel auf Erden, und ich spürte, dass mir mehr als eine Träne über die Wange rann, und dass ich jedes einzelne Wort aus dem Phoenix auswendig kann und es war mir nicht einmal peinlich. Weil es viel zu vielen auf der Kasernenwiese auch so ging. Weil man das selten erlebt, wenn ein einzelner Mensch durch sein blosses Sosein im Dasein Millionen andere berühren kann und mitreisst und dabei ganz bei sich bleibt mit seinem Auftrag. Ich weiss nicht, wie befremdlich die Conchita-Manie von aussen wirkt, ich befürchte, sehr und auch einigermassen kindisch, aber aus dem Innersten der Community heraus kann ich nur sagen: Wow, und danke. You're such an exciting existence!
Sie erinnern sich an Shiaz Legz? Kaum war Conchita zur ESC-Siegerin gekürt, hat sich der Journalist Julian Fricker in ihr Double verwandelt und ihren Song gecovert.