Endlich, die Politikerinnen und Politiker tun wieder das, was sie am besten können und wobei wir ihnen so gerne zuschauen: Sie streiten sich wieder! Nachdem sie in den vergangenen Wochen stets Einigkeit demonstrierten, immerfort ihr Vertrauen in die Bundesräte bestätigten und kaum Kritik an deren Entscheide äusserten, fahren sie jetzt wieder die Krallen aus. Nach fast zwei Monaten Corona-Notstand ist der Burgfrieden vorbei.
Das war bereits während der Sondersession diese Woche in der Berner Messehalle spürbar. Es wurde leidenschaftlich debattiert, hitzig gezankt und im Eilverfahren die wichtigsten Geschäfte, die in den vergangenen Wochen liegengeblieben waren, verabschiedet. Das Kreditpaket des Bundesrates wurde gutgeheissen und teilweise ausgebaut. Bis zur ordentlichen Session im Sommer müssen sich die Politikerinnen und Politiker weitere zwei Monate gedulden.
Doch nun sind die Diskussionen lanciert. Und zurück hält sich jetzt niemand mehr. Das bekam auch SRF-Moderator Sandro Brotz in seiner «Arena» zu spüren. Mehrmals musste er seine Gäste abklemmen, sie mit ausgebreiteten Armen zur Ruhe auffordern. Das war wohl auch dem Thema seiner Sendung geschuldet. Denn worüber streitet es sich am besten? Über Geld natürlich. «Rasselt die Schweiz von der Corona- in eine Schuldenkrise?», wollte Brotz wissen und erhitzte mit dieser Frage die Gemüter der Nationalräte Thomas Aeschi (SVP), Tamara Funiciello (SP), Daniela Schneeberger (FDP) und Marco Romano (CVP). Von zuhause in die Sendung zugeschaltet waren die Nationalräte Balthasar Glättli (Grüne) und Kathrin Bertschy (GLP).
64 Milliarden Franken stellt der Bund bereit, um die Folgen der Coronakrise auf die Wirtschaft abzufedern – fast so viel Geld wie in einem ganzen Jahr für den Bundeshaushalt. Davon fliessen
Woher dieses Geld kommen soll, davon hat SP-Nationalrätin Funiciello klare Vorstellungen: über die Steuern der Reichsten. «Die zehn reichsten Menschen in diesem Land besitzen 221 Milliarden Franken.» Man müsse das Geld dort holen, wo es ist.
Eine Aussage, bei der SVP-Mann Aeschi sichtlich unwohl wird. Ganz und gar nicht einverstanden sei er mit Ratskollegin. Ob sie denn nicht wisse, dass diese Leute schon jetzt sehr viel Steuern bezahlen, in die Schweizer AHV-Kassen einzahlen, an die Einkommens- und Vermögenssteuern abliefern. «Sie können diese Leute doch nicht noch mehr melken!»
Wenn zwei sich streiten, freut sich bekanntlich der Dritte. Mit selbstsicherem Lächeln erklärt CVP-Nationalrat Marco Romano, dass die Schweiz jetzt solche Diskussionen nicht brauche. «Diese letzten zwei Minuten, das war absurd. Das sind ideologische Polarisierungen, die keine Lösungen anbieten.» Die Schweiz könne sich die Ausgaben leisten, man habe in den letzten Jahren gespart. Zudem handle es sich bei dem meisten Geld um Kredite, die irgendwann wieder zurückbezahlt werden. Er habe Vertrauen in die Unternehmen und in die Schweizer Wirtschaft und ist sich sicher, dass sie in den kommenden Jahren wieder Wachstum generieren können.
Auch bei dem Streit um die Mieten inszeniert sich Romano als grosser Pragmatiker. Der National- und Ständerat wurde sich während der Sondersession diese Woche nicht einig, inwiefern den Corona-geschädigten Betrieben Mietrabatte gewährt werden solle. Der Entscheid in dieser Frage wurde vertagt – was Romano aber nicht weiter beunruhigt. Es brauche eine gemässigte Lösung, da könne jetzt nicht von links und rechts gezogen werden.
«Richtig sauer» macht das Grünen-Nationalrat Balthasar Glättli. Aus dem Home-Office zugeschaltet, enerviert er sich darüber, dass sich Romano mit seiner CVP jetzt als Mitteparteiler aufspiele, der die Schweiz zusammenhalte. Dabei sei es gerade die CVP gewesen, die bei der entscheidenden Abstimmung am Mittwoch geschlossen gegen einen pragmatischen Vorschlag gestimmt habe. «Sie haben es versiecht. Sie hatten es in der Hand, einem Kompromiss zuzustimmen.»
Dass Glättlis Votum im Studio für ein Schmunzeln sorgt, ist nicht etwa seiner Aussage geschuldet, sondern dem unfreiwilligen Auftritt seiner kleinen Tochter. Während sich Glättli über Romano echauffiert, trottet das Mädchen mit einem Schnuller im Mund lustig hinter ihren Papa, bevor es von einer herangebrausten Min Li Marti aus dem Blickfeld gezogen werden kann.
Ob bei den Mieten, den Dividendenauszahlungen für Aktionäre, bei der Öffnung der Grenzen oder den Krediten für die Luftfahrt: Die vier Studiogäste sind sich bei allen angeschnittenen Themen uneinig und lassen keine Gelegenheit aus, mit ihren Statements für das eigene Parteiprogramm zu werben. FDP-Nationalrätin Schneeberger plädiert bei den Mietreduktionen auf die Eigenverantwortung der Hauseigentümer. Aeschi will verhindern, dass mit der Wiederherstellung der Personenfreizügigkeit ausländische Arbeitskräfte in die Schweiz strömen. Glättli will die Kredite für die Luftfahrt an Klimaverbindliche Auflagen knüpfen.
Grantig wird Funiciello, als Moderator Brotz sie fragt, ob es nicht etwas billig sei, jetzt auf der feministischen Klaviatur herumzuklimpern, um aufzuzeigen, wer am meisten von der Krise betroffen ist. «Schauen Sie mal, wer im Billiglohnsektor arbeitet. Es sind Frauen. Wer jetzt häufig den Job verliert. Es sind Frauen.» Dass jetzt gesagt werde, alle sässen im selben Boot und seien gleichermassen von der Krise betroffen, sei ein Märchen, findet Funiciello. Der Sturm fege zwar über alle, das stimme. «Aber es gibt Leute, die in Luxusjachten und andere, die in Gummibooten sitzen. Und es geht nicht darum, dass wir jetzt einzelne wegstossen und ertrinken lassen.»
So emotional das Bild von Funiciello auch ist, bei Romano stösst sie damit auf taube Ohren. Erneut mimt der CVPler den besonnenen Mittepolitiker. Vielleicht gebe es einzelne Probleme, die man anschauen müsse. Aber alles in allem mache es die Schweiz gut. Es gibt kein Schweizer, der im Moment in einem anderen Land sein möchte. An Funiciello gerichtet fragt er: «Wo geht es den Leuten besser in dieser Krise? Macht es Italien besser? Schweden? Die USA?»
Bevor sich Funiciello und Romano weiter in die Haare geraten, greift Moderator Brotz ein und klemmt den Schlagabtausch ab – ausgerechnet jetzt, wo die Politiker so richtig warm sind und die Debatte an Fahrt gewinnt. Es besteht Diskussionsbedarf. Bei fast allem, das die Coronakrise tangiert. Auf Funiciello, Glättli, Aeschi, Romano und Co. warten lange, hitzige Gespräche – auch ausserhalb des Fernsehstudios. Denn eine Stunde «Arena» ersetzt nun mal die zweimonatige Parlaments-Pause nicht.
Viel Reden ohne Ergebnisse?
Also fangen wir am besten gleich bei den National- und Ständeräten an, denn die sind bekanntlich auf der Sonnenseite was das Salär betrifft!