Amtsmüdigkeit ist ein Begriff, mit dem Bundesrat Johann Schneider-Ammann häufig in Verbindung gebracht wird. Anfang Dezember war davon wenig zu spüren. In der Debatte zur Volksinitiative «für Ernährungssouveränität» der Bauerngewerkschaft Uniterre im Nationalrat redete sich der Wirtschaftsminister in Rage: «Der Bundesrat lässt sich nicht vorwerfen, dass er bereit wäre, die Landwirtschaft in den Tod gehen zu lassen. Das ist eine bitterböse Unterstellung.»
Anlass für Schneider-Ammanns Empörung war weniger die Initiative selbst. Es ging um die Agrarpolitik als Ganzes und den Freihandel im Speziellen. Rund einen Monat vor besagter Debatte hatte der Bundesrat seinen Bericht zur Agrarpolitik ab 2022 vorgestellt. Ein zentrales Element ist die Lockerung des Grenzschutzes für landwirtschaftliche Produkte.
Seither ist Feuer im Dach. Für die bislang stark geschützte Landwirtschaft ist allein die Aussicht auf mehr Konkurrenz durch in der Regel günstigere Importprodukte die pure Provokation. Für den Schweizerischen Bauernverband (SBV) sei «das Fass übergelaufen», schimpfte dessen Präsident, der St. Galler CVP-Nationalrat Markus Ritter, einige Tage später an einer Medienkonferenz.
Zusätzlich angeheizt wurde der bäuerliche Zorn durch ein weiteres Projekt von Johann Schneider-Ammann. Er strebt ein Freihandelsabkommen mit dem Mercosur an. Dieser gemeinsame Markt umfasst die Länder Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay mit rund 260 Millionen Menschen. Die meisten anderen südamerikanischen Staaten sind assoziiert.
Die Europäische Union (EU) verhandelt seit rund 20 Jahren über einen Freihandelsvertrag mit dem Mercosur. In letzter Zeit haben sich die Gespräche intensiviert, ein Abschluss vielleicht noch in diesem Monat scheint in Reichweite zu sein. Sollte ein solches Abkommen in Kraft treten, könnte die Schweizer Exportwirtschaft erhebliche Nachteile erleiden, fürchtet Schneider-Ammann.
Die Bauern wiederum fürchten, dass sie selber unter die Räder geraten, wenn die Schweiz nachziehen sollte. Denn Argentinien und Brasilien sind Agrar-Grossmächte, ihr Interesse am Freihandel mit Europa bezieht sich primär auf landwirtschaftliche Erzeugnisse. Weshalb der Widerstand gegen einen Mercosur-Deal bei Bauern in der Schweiz und der EU gross ist.
Der Wirtschaftsminister lud deshalb am Dienstag Vertreterinnen und Vertreter von Organisationen der Wirtschaft und der Landwirtschaft zu einem Anlass nach Bern, der etwas hochtrabend «Mercosur-Agrar-Gipfel» genannt wurde. Der Bauernverband als Dachorganisation boykottierte den Anlass demonstrativ. Dafür waren Teilverbände vertreten, darunter Proviande, die Branchenorganisation der Schweizer Fleischwirtschaft, die stark betroffen ist.
Auf der anderen Seite stehen die exportorientierten Branchen. Sie sehen im Freihandel mit dem Mercosur eine Chance und fürchten umgekehrt, dass sie gegenüber der EU benachteiligt werden, wenn die Schweiz – im Verbund mit der EFTA – nicht nachziehen kann.
«Wir verdienen jeden zweiten Franken im Export. Handelsabkommen sind die Basis dafür. Handelsabkommen sind Voraussetzung für Hunderttausende von Schweizer Arbeitsplätzen», redete Johann Schneider-Ammann im Nationalrat den Bauern ins Gewissen. Nach dem Agrar-Gipfel bekräftigte er vor den Medien seinen Standpunkt und kam gleichzeitig den Bauern entgegen.
Die Skepsis vieler Bauern wird der Wirtschaftsminister damit kaum ausräumen. Dabei legte er in seinem Statement den Finger auf den wunden Punkt: Freihandelsverträge ohne Zugeständnisse bei der Landwirtschaft wird es für die Schweiz nicht mehr geben. 2006 hatte der Bundesrat Gespräche mit den USA auf Druck der Bauern noch in einem frühen Stadium gestoppt.
Ein solches Abkommen stehe derzeit nicht zur Debatte, betonte Schneider-Amman am Dienstag. Dafür ist die Schweiz mit anderen Ländern im Gespräch, und die geben den Tarif durch. Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch, die Staatssekretärin für Wirtschaft, erwähnte als Beispiel Vietnam. Dort habe man ihr zu verstehen gegeben, dass man von der Schweiz ein Entgegenkommen im Agrarbereich erwarte.