Die Realwirtschaft und die Aktienmärkte folgen einem zeitlich versetzten Zyklus. Die Aktienmärkte nehmen die realwirtschaftlichen Entwicklungen typischerweise um ein bis zwei Jahre voraus. Der frühzeitige Kauf einer stark gefallenen Aktie kann sich zum Beispiel lohnen, wenn das Unternehmen nach einer kurzen Delle wieder auf ein solides Gewinnniveau zurückfinden und die Ausschüttungen an seine Aktionäre wieder erhöhen kann. Im Jahr 2009, als die Schweizer Wirtschaft im Zug der Finanzkrise um 3.1 Prozent schrumpfte, stiegen die Aktienkurse im Mittel um 23 Prozent. Im Jahr davor, als die Rezession statistisch noch nicht sichtbar war, sanken die Aktienkurse um 34 Prozent. Dasselbe Muster war auch bei der grossen Immobilienkrise zu Beginn der 1990er-Jahre zu sehen. Während die Schweizer Wirtschaft 1990 noch um spektakuläre 8.2 Prozent wuchs, stürzten die Aktienkurse um 19 Prozent ab. In den zwei nachfolgenden Jahren verlangsamte sich das Wirtschaftswachstum massiv, aber die Aktienmärkte schossen steil in die Höhe.
Der Swiss Market Index steht im Moment etwa 10 Prozent unter dem Stand von Ende Jahr. Unterstellt man, dass die durchschnittliche Aktienperformance von 7.8 Prozent pro Jahr, wie sie zwischen 1999 und 2019 gegolten hatte auch für die Zukunft gilt, haben die Unternehmen im Mittel also zwischen einem und zwei Jahre verloren. Verloren heisst in diesem Fall, dass sie im Durchschnitt bis zu zwei Jahre brauchen werden, um den heuer eintretenden Gewinneinbruch wieder wettmachen zu können.
Ja, es ist gut möglich, dass der Aktienmarkt seine derzeit eher optimistische Einschätzung noch gegen unten korrigieren muss. Das wäre zum Beispiel dann der Fall, wenn die derzeit vorherrschende Meinung einer Rückkehr zum Normalbetrieb ab Mitte Mai aufgrund einer erneuten Zunahme von Covid19-Infektionen verschoben werden müsste. Abzuwarten bleibt zudem, inwieweit die massiven Liquiditätshilfen von Regierungen und Notenbanken die gewünschte Wirkung tatsächlich entfalten werden. Eine starke Zunahme von Firmenpleiten oder ein kräftiger Anstieg der Arbeitslosigkeit, könnte die derzeitige Zuversicht der Aktieninvestoren untergraben. Nächste Woche beginnt für börsenkotierte Unternehmen in den USA die Saison der Quartalsberichte. Diese News könnten dem Markt eine neue Richtung oder mehr Sicherheit geben.
Nein, die Aktienmärkte reagieren typischerweise früher und weit heftiger als beispielsweise die Obligationenmärkte. Das hat mit dem Umstand zu tun, dass die Renditeerwartungen der Investoren im Aktienbereich weit höher sind als im Obligationensegment. Grund dafür sind die unterschiedlichen Risikoprofile. Das lässt sich vereinfacht etwa so aufzeigen: Geht ein Unternehmen in Konkurs, verliert ein Aktionär in der Regel sein ganzes Investment. Ein Kreditgeber oder ein Besitzer ein Obligation steht bei der Aufteilung der Konkursmasse besser da und kann in der Schweiz im Mittel auf die Rückzahlung von etwa 60 Prozent seines Investments hoffen. Das ist mithin ein Grund dafür, dass die Obligationenmärkte in der Coronakrise etwas weniger tief gefallen sind als die Aktienmärkte und nun auch weniger stark steigen. Doch Kreditanalysten haben auch eine weniger optimistische Sicht auf die Zukunft als die jetzt aktiven Aktieninvestoren. Kreditanalysten rechnen mit einer deutlichen Zunahme von Konkursen und sie fokussieren mehr als Aktienanleger auf die schlagartig gewachsenen Verschuldungsprobleme viele Firmen und Staaten. Diese Risiken werden übrigens auch durch den stark gestiegenen Goldpreis abgebildet. Das gelbe Metall wird derzeit auf dem zum höchsten Preis seit 2012 gehandelt.
Beides birgt Risiken. In der Regel dauert eine Korrektur viel länger als das, was wir soeben erlebt haben. Doch so einmalig wie das Coronavirus, so beispiellos gigantisch ist auch die globale Reaktion zahlreicher Staaten auf die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie. Es kann also gut sein, dass die Aktienmärkte ihre Tiefststände bereits definitiv hinter sich gelassen haben. Ebenso gut vorstellbar ist aber ein neuerlicher Rückschlag. In diesem Umfeld muss ein Investor behutsam vorgehen. Firmen mit hohe Schulden oder schütteren Geschäftsmodellen (etwa Billig-Airlines) sind unbedingt zu meiden. Zudem sollte man jetzt nur stufenweise Aktien kaufen. So lassen sich die stark schwankenden Marktbewegungen einigermassen ausgleichen.