Da ist die Frau, die ihr Instrument verkauft hat. Die Familie, die beim Essen spart. Oder der Vater, der sich Ferien nicht mehr leisten kann. Dies alles ist im Kanton Luzern passiert, weil die Regierung die Ausgaben zur Verbilligung der Krankenkassenprämie kürzte. So stellte es David Roth, Präsident der Luzerner SP, gestern vor den Medien in Bern dar.
Solche Entbehrungen sollen der Vergangenheit angehören. Das Bundesgericht hat den Sparentscheid des Luzerner Regierungsrats gekippt, nachdem Personen aus dem SP-Umfeld geklagt hatten. Es war nicht rechtens, ab 2017 nur noch Familien mit einem Nettoeinkommen bis 54'000 Franken Prämienverbilligung für Kinder und junge Erwachsene zu gewähren. Vorher betrug die Schwelle 75'000 Franken. Roth geht davon aus, dass Luzern 15 Millionen Franken an vorenthaltenen Geldern an 8000 Familien überweisen muss.
Das Bundesgericht hielt fest, von der Prämienverbilligung sollten nicht nur die einkommensschwächsten, sondern auch Haushalte mit mittleren Einkommen profitieren. Auch der untere Mittelstand hat also Anrecht auf finanzielle Entlastung. Das Medianeinkommen liegt im Kanton Luzern bei 87'000 Franken. Der Median bedeutet, dass die eine Hälfte der Luzerner Haushalte mehr verdient als 87'000 Franken und die andere weniger. Auf eine konkrete Zahl zur Einkommensschwelle hat sich das Bundesgericht nicht festgelegt. Klar ist aber: Der Kanton Luzern war zu knausrig.
Die SP Schweiz nutzt das Verdikt nun für eine schweizweite Offensive für mehr Prämienverbilligung. Sie fordert alle Kantone auf, die Einkommensgrenze der Rechtsprechung des Bundesgerichts anzupassen. «Die SP Schweiz wird zusammen mit den Kantonalparteien den Versicherten zu ihrem Recht verhelfen», sagte SP-Vizepräsidentin Barbara Gysi vor den Medien.
Die SP zielt mit ihrem Angriff vor allem auf jene neun Kantone (BE, LU, VS, GL, AR, AI, AG, VS, NE), die gemäss einem Bericht des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) dem Mittelstand gar keine Prämienverbilligung entrichten – egal, ob es sich um alleinstehende Personen oder Familien handelt. Als Mittelstand gelten Haushalte mit einem Einkommen von mindestens 70 Prozent des Medians. Einzig der Kanton Graubünden überschreitet in allen Haushaltskonstellationen diese Schwelle.
Wenn die Kantone innerhalb eines Monats nichts unternehmen, um mehr Prämienverbilligung auszurichten, wird die SP diese verklagen. Die kurze Frist hält Roth für angemessen. Schliesslich habe der Kanton Luzern seine Sparmassnahme auch schnell umgesetzt.
Die SP geht davon aus, dass wegen des Bundesgerichtsurteils bis zu 300'000 Haushalte neu Anrecht auf Prämienverbilligung haben. Wenn die Kantone die Forderung der SP umsetzen, müssten sie Hunderte zusätzliche Millionen an die Versicherten entrichten. Muss dies der Mittelstand, der von den Verbilligungen profitieren soll, mit Steuererhöhungen berappen? Roth will das verhindern: «Dazu bieten wir nicht Hand.»
Seit das neue Krankenversicherungsgesetz (KVG) 1996 in Kraft getreten ist, haben sich die Ausgaben für die Prämienverbilligung auf rund 4,5 Milliarden Franken verdreifacht (siehe Grafik oben). Die Kantone steuerten dazu in den letzten Jahren tendenziell immer weniger Geld bei. Gemäss einem aktuellen Monitoring-Bericht des BAG haben in den letzten Jahren fünf Kantone – darunter Luzern und Solothurn – ihren Beitrag gesenkt. Nur die Kantone Waadt und Jura stockten auf. Der Beitrag des Bundes ist fix. Er beträgt 7,5 Prozent der Bruttokosten der obligatorischen Krankenversicherung.
Gemäss KVG kommen Personen in wirtschaftlich bescheidenen Verhältnissen in den Genuss staatlicher Zuwendungen. Bei der Berechnung derselben haben die Kantone Spielraum. In traditionell föderalistischer Manier manifestieren sich erhebliche Unterschiede. Im Kanton Luzern etwa erhielten 2017 nur 19,2 Prozent der Bevölkerung Prämienverbilligung, am höchsten fiel dieser Anteil im Kanton Schaffhausen (34,5 Prozent) aus. Die durchschnittlichen Beträge pro Haushalt variieren von 2020 Franken im Kanton Bern bis 5572 Franken im Kanton Basel-Stadt. Barbara Gysi nennt das einen «föderalistischen Flickenteppich». Die St. Galler Nationalrätin propagierte die angekündigte SP-Initiative als Lösung, wonach alle Haushalte maximal 10 Prozent ihres Einkommens für Krankenkassenprämien ausgeben sollen.
Die Aufwendungen für das Gesundheitswesen steigen derweil ungebremst. Im Abstimmungsbüchlein versprach der Bundesrat vom KVG eine kostendämpfende Wirkung. Gut 20 Jahre später haben sich die Ausgaben auf mehr 80 Milliarden Franken pro Jahr verdoppelt. (aargauerzeitung.ch)