Der Abstimmungskampf ist hitzig und emotional, mitunter auch schmutzig. Doch zumindest in einem Punkt sind sich fast alle einig: Die Konzernverantwortungsinitiative ist aus juristischer Sicht äusserst komplex. Es geht um Haftungsfragen, Sorgfaltsprüfungspflichten und Beweislastverteilung; um rechtliche Feinheiten, deren Folgen zuweilen schwer abschätzbar sind. Das macht die Abstimmungsvorlage zu einer der kompliziertesten der vergangenen Jahre.
Zu kompliziert sogar? Die Frage ist eine grundsätzliche, und wer diese stellt, sollte zuerst einen Blick nach Deutschland werfen. Dort vertrat eine prominente Rechtsgelehrte nämlich schon vor geraumer Zeit die Ansicht, dass die Konzerninitiative für das Stimmvolk schlicht eine Überforderung darstellt: Professorin Regina Ogorek von der Universität Frankfurt.
Im Bundestag in Berlin war sie im Frühjahr 2019 zu einer Expertenanhörung geladen. Das Thema: Die direkte Demokratie, und ob diese in der Bundesrepublik gestärkt werden soll. Doch ausgerechnet sie, die jahrelang in Zürich gelehrt hat, mit dem bekannten Schweizer Wirtschaftsjuristen Peter Forstmoser verheiratet ist und das hiesige System bestens kennt, trat als mahnende Stimme auf. Laut einschlägigen Umfragen wüsste in der Regel nur die Hälfte der Schweizer Abstimmenden überhaupt, worum es genau gehe, erklärte Ogorek.
Die Professorin legte den deutschen Parlamentariern auch einen Aufsatz zum Thema vor. Darin dient ihr die Schweizer Konzerninitiative quasi als abschreckendes Fallbeispiel. Ogorek schreibt von einem «ungewöhnlich schwierigen, juristisch-technischen Initiativtext». Es sei kaum möglich, dessen «Implikationen auch nur annähernd zu verstehen und die Folgen seiner Überführung in rechtsverbindliche Normen abzuschätzen».
Deshalb bestehe die Gefahr, «dass das jeweilige Bauchgefühl entscheidet, ohne dass der Bürger weiss, was er anrichtet». Überhaupt wisse ein Normalbürger ja gar nicht, was einen Konzern ausmacht; «wie übrigens die meisten Juristen auch», betont Ogorek. Aus diesem Grund treffe er bei der Abstimmung eben jenen Entscheid, den ihm Gewährsleute empfehlen: Meinungsmacher wie Parteien, Verbände oder auch Kirchenvertreter.
Bei komplizierten Materien basierten Abstimmungen kaum je auf belastbarem Wissen der Stimmbürger, schlussfolgert Ogorek. «So werden keine Fronten durch Dialog aufgebrochen, sondern die unterschiedlichen Sichtweisen in Lagern verfestigt.»
Im Abstimmungskampf jedenfalls setzen die beiden Lager in ihren Kampagnen auf das bewährte Mittel der Vereinfachung. Die einen rufen nach Moral, die anderen warnen vor dem wirtschaftlichen Ruin: So fasste Ogorek die vorherrschende Konfliktlinie schon 2019 zusammen. Als Stimmbürger blickt man auf einen Wulst von Argumenten und muss entscheiden, welche man plausibler findet. Ob ein Ja oder ein Nein den eigenen Willen besser zum Ausdruck bringt.
Die Meinungsbildung zur Konzerninitiative ist gemäss Trendumfragen weit fortgeschritten. Angesichts eines jahrelangen, kampagnenähnlichen Vorgeplänkels konnten Sympathien oder Abneigungen geradezu heranreifen.
Gleichzeitig scheinen jene Stimmbürger, die nach einem umfassenden Bild streben, ihre liebe Mühe zu haben, den Inhalt der Vorlage zu durchdringen. Das legen zumindest Diskussionen in Foren und sozialen Medien nahe.
Aber ist es überhaupt wichtig, jedes Detail zu kennen? Nicht unbedingt, sagen die einschlägigen Erhebungen dazu. Vom Ideal des allwissenden Stimmbürgers haben sich Schweizer Abstimmungsforscher längst verabschiedet. Sie haben sich hinlänglich mit der Frage befasst, wie Abstimmende mit komplexen Vorlagen umgehen.
Die wichtigsten Erkenntnisse lauten vereinfacht erklärt: Es ist gar nicht notwendig, dass ein Stimmbürger alles über eine Vorlage weiss. Vielmehr kann er sich bei komplexen Themen auf Empfehlungen abstützen. Fachleute sprechen von sogenannten Heuristiken. Viele Bürger nähmen solche Abkürzungen, wie es Lukas Golder vom Forschungsinstitut GFS Bern einmal zusammengefasst hat. Sie orientieren sich allen voran an Parteien und Verbänden, am Bundesrat und Medien, aber auch an Familienmitgliedern und Freunden. «Indem sie das tun, folgen sie indirekt meist auch ihren Präferenzen», so Golder. «Das ist ein sehr effizienter Weg, von seinem Stimmrecht Gebrauch zu machen.»
Wichtig sei, dass die Stimmbürger die Argumente einordnen und daraus die für sie richtigen Schlüssen ziehen könnten. In einer breiten Untersuchung konnte der Politologe Hanspeter Kriesi schon 2005 aufzeigen, dass die Abstimmenden fähig sind, solche Entscheidungshilfen anzuwenden. Dabei könnten sie unterscheiden zwischen Botschaften, die ihnen vertrauenswürdig scheinen, und solchen, die dies weniger tun. Bei Vorlagen mit komplexen Materien stützen sich die Stimmbürger eher auf Empfehlungen, das belegen die Voto-Abstimmungsanalysen regelmässig.
Der Berner Politikwissenschafter Wolf Linder schliesslich attestiert den Stimmbürgern «in hohem Masse die Fähigkeit, die unterschiedliche Glaubwürdigkeit der verschiedenen Informationsquellen einzuschätzen». In einem Standpunktpapier für die deutsche Heinrich-Böll-Stiftung spricht er von einem «generellen Mechanismus», fehlendes Wissen durch Vertrauen in bewährte Quellen zu ersetzen.
Ein solches Vorgehen ist freilich nicht nur bei Abstimmungen zu beobachten. Auch ein Parlamentarier sei jeweils bloss in einigen Dossiers sattelfest, erinnert Linder. Bei vielen anderen Fragen vertraue er dagegen dem Sachverstand anderer. «Wenn es darin zu einer Abstimmung kommt, verlässt er sich auf seine Banknachbarin oder die Fraktionskollegen, mit denen er gute Erfahrungen gemacht hat.» (aargauerzeitung.ch)
Ok, wie das Leben halt. Schon mal geheiratet? Manchmal kommt‘s gut, manchmal nicht. In jedem Fall braucht es Mut, etwas zu verändern. Und bei Veränderungen weiss man im Vornherein nie genau wie es kommt. Aber ist Stillstand die bessere Alternative?
Noch nicht klar ist, wie das Parlament sie umsetzen würde. Auch ist noch nicht klar, ob die betroffenen Firmen die höheren Kosten akzeptieren werden oder die Initiative umgehen würden. Leider lässt die Initiative extreme Schlupflöcher offen und ein Konzern kann bereits mit einer Verlegung des juristischen Hauptsitzes ins Ausland die Initiative umgehen. Für Konzerne wie Glencore, die sowieso schon in 50 Länder tätig sind, eine Kleinigkeit.