Durchsichtige Abfällsäcke säumen frühmorgens die Strassen der Gemeinde. Bald wird der Kehricht-Lastwagen vorbeifahren und die Säcke voll gebrauchter Shampoo-Flaschen, Joghurtbecher und Klarsichtfolien mitnehmen. Doch statt in die Kehrichtsverbrennungsanlage geht der reine Plastikabfall in eine Sortieranlage. Mehr als die Hälfte davon wird daraufhin recycelt und kommt als neues Kunststoffprodukt zurück in die Haushalte.
Was nach einem Zukunftsszenario klingt, ist in der Thurgauer Gemeinde Amlikon-Bissegg schon seit Jahren Realität. Jeden zweiten Mittwoch können die Einwohner ihren Plastikabfall in einem speziellen Sammelsack vor die Haustüre stellen, wo er dann abgeholt wird. So wie es viele von uns vom Altpapier, Karton oder Grünabfall kennen.
Hinter dem Projekt in Amlikon-Bissegg steht die InnoRecycling AG. Das Thurgauer Unternehmen hat sich zum Ziel gesetzt, dass Kunststoffrecycling in der Schweiz bereits in zehn Jahren zum Standard gehört. Dazu wurde 2012 der Sammelsack lanciert, der bereits in vielen Regionen in der Schweiz angeboten wird. Nun folgt die nächste Grossoffensive des Recyclingunternehmens.
Ab dem 31. August können die Bewohner von 36 weiteren Gemeinden aus den Kantonen Aargau, Luzern und Solothurn ihre Plastikabfälle separat entsorgen. Anders als in Amlikon-Bissegg müssen sie ihren durchsichtigen Sammelsack aber an einer Sammelstelle in der Region abgeben.
InnoRecycling ist das grösste Unternehmen in der Schweiz, das Plastikabfälle sammelt und sie dem Recycling zuführt. Recycling von Kunststoff ist eine gute Sache, ist Buchmann von InnoRecycling überzeugt. Ein Kilo Recyclingkunststoff spare bis zu drei Liter Rohöl. Darum müsse es doch jedem einleuchten: «Kunststoffe aus Haushalten wiederverwenden ist immer besser als wegschmeissen und verbrennen.»
Das Bedürfnis der Bevölkerung, möglichst viele Kunststoffabfälle separat zu sammeln, sei zwar nachvollziehbar, sagt Marco Buletti, vom Bundesamt für Umwelt (BAFU) auf Anfrage. Doch: «Eine Sammlung für das Recycling ist nur sinnvoll, wenn Kosten und Nutzen in einem angemessenen Verhältnis stehen.» Dies ist gemäss Buletti bei der Sammlung von PET-Getränkeflaschen und Kunststoffflaschen der Fall.
Kritisch gegenüber steht das BAFU der Sammlung von gemischten Kunststoffen aus den Haushalten, so wie es InnoRecycling betreibt. Wegen der fehlenden Sortenreinheit und dem höheren Verschmutzungsgrad stehe hier ein grosser Aufwand einem vergleichsweise geringen ökologischen Vorteil gegenüber.
Das BAFU stützt sich dabei auf eine Untersuchung, bei der Abfallexperte Rainer Bunge von der Hochschule Rapperswil mitgearbeitet hat. Bunge spricht beim Kunststoff-Recycling von einem «Ritual zur Entlastung des schlechten Ökogewissens», da der Effekt sehr klein sei.
«Statt seinen Plastikabfall ein Jahr lang zu recyceln, könnte man auch im Jahr 30 Kilometer weniger weit mit dem Auto fahren oder ein Grillsteak weniger essen. Das würde bereits reichen, um denselben ökologischen Nutzen zu erzielen.» Dennoch findet Bunge Recycling begrüssenwert.
Was der Wissenschaftler kritisiert, ist die bei manchen Sammelsystemen fehlende Transparenz. Häufig sei den Konsumenten nicht bewusst, dass nur ein Bruchteil des Kunststoffs, den man zum Recyceln abgebe, tatsächlich wiederverwendet werde. Bei gemischten Kunststoffen seien es zum Teil nur 30 Prozent. Der Rest werde meist in Zementfabriken verbrannt und damit Energie gewonnen. «Das ist aber auch nicht unbedingt schlecht, da damit Kohle eingespart werden kann», betont er.
«60 Prozent der gesammelten Kunststoffabfälle recyceln wir», sagt Buchmann von InnoRecycling. Diese werden zuerst im nahen Ausland sortiert und daraufhin im eigenen Werk im Thurgau recycelt. Zukünftig plant das Unternehmen die Kunststoffe auch in der Schweiz zu sortieren. Das Projekt für die erste Schweizer Kunststoff-Sortieranlage liegt in der Schublade bereit und soll in anderthalb Jahren umgesetzt werden. Buchmann geht davon aus, dass es in der Schweiz das Potenzial für bis zu sieben solche Anlagen gebe und dadurch die ein oder andere Kehrichtverbrennungsanlage hinfällig werde.
Ob dies viel ökologischer wäre, ist allerdings umstritten. Denn auch in der Kehrichtverbrennungsanlage wird Kunststoff auf eine Art und Weise wiederverwendet, wie der Geschäftsführer des Verband Swiss Plastics, Kurt Röschli, in einem Interview mit watson betonte. Durch das thermische Recycling in der Kehrichtverbrennungsanlage werde Energie gewonnen und somit könne Heizöl eingespart werden. Am Beispiel eines Joghurtbechers beschrieb er, wie herkömmliches Recycling unökologisch sein kann. Röschli: «Nur schon das Reinigen des Bechers braucht viel Energie. Und sprechen wir gar nicht erst davon, wenn das dann noch mit einem potenten Sportwagen zur nächsten Plastik-Abgabestelle gekarrt wird!»
Trotz den Bremsmanövern aus der Plastik-Branche, dem Bund und der Wissenschaft – die Politik drängt in Richtung Recycling. So fordert die Junge Grüne der Stadt Zürich mit einer Petition ein flächendeckendes Sammel- und Verwertungssystem von sämtlichen Kunststoffabfällen.
Der Walliser CVP-Nationalrat Benjamin Roduit will die Detailhändler mehr in die Pflicht nehmen. In einem Vorstoss fordert er, dass der Detailhandel verpflichtet wird, Sammelstellen für Verpackungen einzurichten, und dass dies nicht wie bislang auf Freiwilligkeit beruht. Auf diese Weise würden sich diese vermehrt für «vernünftige» Verpackungen entscheiden, ist Roduit überzeugt. Im Vorstoss schreibt er: «Wenn man gleichzeitig auf das Bewusstsein der Verursacher und auf die Verkaufsstellen einwirken würde, könnte dem Irrwitz der übermässigen Verpackung mit der Zeit ein Ende gesetzt werden.»