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Wirtschaft

Corona: Gewerkschafterin und Swiss Flight Attendant über die Krise

Sie ist Flight Attendant und Gewerkschafterin mit einem Doktortitel der Philosophie: Sandrine Nikolic-Fuss kämpft mitten in einer schweren Luftfahrtskrise für die Swiss-Angestellten.
Sie ist Flight Attendant und Gewerkschafterin mit einem Doktortitel der Philosophie: Sandrine Nikolic-Fuss kämpft mitten in einer schweren Luftfahrtskrise für die Swiss-Angestellten. bild: Severin Bigler
Interview

«Die Swiss-Manager haben damit in der Bevölkerung leider viel Goodwill verspielt»

Sandrine Nikolic-Fuss präsidiert die Kabinenpersonal-Gewerkschaft Kapers, die sich in harten Sparverhandlungen mit der Lufthansa-Tochter befindet. Im Interview spricht sie über Boni der Swiss-Chefs und Job-Ängste, aber auch über sexuelle Belästigung an Bord.
14.11.2020, 19:2114.11.2020, 20:13
Benjamin Weinmann / ch media
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Es ist einer der wenigen freien Nachmittage, die Sandrine Nikolic-Fuss (51) in den vergangenen Monaten hatte, an dem sie sich Zeit für ein Interview nimmt.

Die Corona-Pandemie schleuderte ihre Arbeitgeberin, die Swiss, in die grösste Krise, welche die Luftfahrt je erlebt hat. Die französisch-schweizerische Doppelbürgerin kämpft seither um die Zukunft ihres Personals. Sitzung reiht sich an Sitzung. Denn die Swiss plant bis zu 1000 Stellen abzubauen und die Aussichten auf eine Markterholung haben sich zuletzt verdüstert. Es drohen Entlassungen.

Kein Wunder kommen Erinnerungen an das Swissair-Grounding hoch, das Nikolic-Fuss 2001 als junge Flight Attendant miterlebt hatte. Doch die heutige Krise sei schlimmer, sagt die Gewerkschafterin mit einem Doktortitel der Philosophie.

Das Interview

Frau Nikolic, wie oft fliegen Sie selbst zurzeit?
Sandrine Nikolic-Fuss:
Ich fliege alle sechs Monate auf einem Flugzeugtyp, damit ich meine Lizenz dafür nicht verliere. Das ist das erforderliche Minimum. Zum letzten Mal flog ich im Juni nach Hong Kong, als man noch in der Stadt spazieren konnte. Heute werden die Crews im Hotel eingesperrt.

Wie ist die Stimmung beim Kabinenpersonal?
Die Stimmung ist gut, wenn man einen Flug zugeteilt erhält, was zurzeit selten der Fall ist. Allerdings tritt man nicht alle Destinationen gleich unbeschwert an. Manche Flight Attendants haben Angst, dass sie bei einem positiven Test im Ausland in die Quarantäne müssten.

Verweigern viele Flight Attendants ihre Arbeit?
Wir haben eine so genannte Angstklausel, die es erlaubt, einen Flug abzulehnen, wenn man sich davor fürchtet. Es gibt einige Flugbegleiter, die davon Gebrauch machen, auch zum Beispiel, weil ein Familienmitglied zur Risikogruppe gehört.

Sie waren schon bei der Swissair als Flight Attendant tätig, haben das Grounding miterlebt. War dieses Erlebnis schlimmer als die jetzige Corona-Krise?
Beim Grounding war klar: Das ist das Ende. Das ist bei der Corona-Krise nicht der Fall. Man weiss nicht, wie es weitergeht. Insofern ist diese Krise beängstigender als das Grounding.

Gewerkschafterin, Musikerin, Philosophin
Die französisch-schweizerische Doppelbürgerin Sandrine Nikolic-Fuss (51) ist seit 2018 Präsidentin der Gewerkschaft Kapers. Diese vertritt das Kabinenpersonal der Lufthansa- Tochter Swiss. Sie zählt über 3000 Mitglieder.
Nikolic-Fuss begann ihre Karriere als Flight Attendant 2000 bei der Swissair und erlebte deren Grounding mit. Seither arbeitet sie für die Swiss, seit 2011 als «Maître de Cabine». In dieser Zeit erlangte die ehemalige Bratschistin des St.Galler Philharmonie-Orchesters und des Zürcher Opernhauses zudem einen Doktortitel in Philosophie. Nikolic-Fuss ist verheiratet, Mutter einer 18-jährigen Tochter und lebt im Thurgau.

Beim Grounding war die Wut gross. Was ist Ihnen speziell in Erinnerung geblieben?
Ich kam im Jahr 2000 zur Swissair, also ein Jahr vor dem Grounding. Beim Personal war die Wut in der Tat gross, auch gegenüber dem Bund. Ich nahm damals teil an einer grossen Demonstration vor dem Bundeshaus. Und ich erinnere mich an einen Vorfall kurz nach dem Grounding, als Ex-Swissair-Chef Philippe Bruggisser nach New York fliegen wollte. Als unser Captain seinen Namen auf der Passagierliste sah, entschied er: Wenn Herr Bruggisser ins Flugzeug steigt, steigen wir alle aus. Er musste dann einen anderen Flug nehmen.

Bruggisser und die anderen Swiss-Manager und -Verwaltungsräte waren damals das Feindbild. Das fehlt heute.
Absolut. Der Feind ist unsichtbar. Man kann nicht sagen, das Management ist schuld, oder die Banken oder die Politik. Es ist schwierig, jemanden für diese Krise zu beschuldigen.

Was war für Sie der schwierigste Moment in den letzten Monaten?
Das war im Februar, am vorletzten Tag unserer Verhandlungen für einen neuen Gesamtarbeitsvertrag. Dann kam die Meldung: Die USA machen zu. Das war ein Schock. Bis dahin dachten die meisten, die Krise sei auf einige Länder beschränkt. Aber als unser Kerngeschäft Amerika wegfiel, war allen der Ernst der Lage klar. Seither gilt der Krisenmodus.

Die Swiss kämpft ums Überleben, verbrennt täglich bis zu 2 Millionen Franken. Sie haben sich kürzlich über Sparmassnahmen geeinigt, die noch von Ihren Mitgliedern abgesegnet werden müssen. Was sind die Hauptpunkte davon?
Wichtig war für uns vor allem, dass wir die Sparmassnahmen zeitlich zu begrenzen. Zudem sind wir nur zu Konzessionen bereit, weil die Swiss den aktuellen GAV bis 2024 weiterlaufen lässt. Zudem wollten wir den Lohn so unangetastet wie möglich behalten?

«Rund 40 Prozent unserer Crew verdient heute weniger als 4000 Franken.»

Was heisst das konkret?
Wir müssen bei allen Lohnstufen Abstriche machen. Kommendes Jahr haben wir immer noch Kurzarbeitsentschädigung. Jene, die unter 4000 Franken verdienen, erhielten bisher 100 Prozent des Lohnes, ab März sind es noch 95 Prozent. 2022 entfällt für alle der 13. Monatslohn. Und 2023 werden die Löhne nicht erhöht. Dafür gibt es 2024 dann zwei Lohnschritte.

Wie viel spart die Swiss damit?
Die Swiss spart dank unserem Entgegenkommen insgesamt zehn Prozent der Kosten beim Kabinenpersonal, das sind rund 75 Millionen Franken über die nächsten drei Jahre hinweg. Zwei bis drei Prozent entfallen auf den Lohn. Hinzu kommen weitere Massnahmen. So werden wir auf allen Flügen mit einer Flight Attendant weniger fliegen, also zum Beispiel nach San Francisco mit 13 statt 14. Und wir werden an allen Langstreckenzielen wie Hong Kong, Los Angeles oder Bangkok nur noch ein- statt wie bisher zweimal im Hotel übernachten.

Dann besteht die Gefahr der Übermüdung, das ist ein Sicherheitsrisiko!
Bei Vollbetrieb sicher. Aber seien wir ehrlich: Nächstes und übernächstes Jahr werden wir kaum sieben Mal pro Woche diese Ziele anfliegen. Wenn die Erholung eintrifft, werden wir mit der Swiss das Thema nochmals anschauen müssen. Und ich möchte betonen: Das sind harte Massnahmen. Rund 40 Prozent unserer Crew verdient heute weniger als 4000 Franken. Das sind Tieflöhne, diese Leute sind auf jeden Franken angewiesen.

Inwiefern kommt es zu Frühpensionierungen oder Pensumsreduktionen?
Es wird attraktive Angebote für Frühpensionierungen geben für Crew-Mitglieder die in den nächsten zwei Jahren 58 werden. Es gibt Angebote für Pensumsreduktionen und es wird möglich sein, gewisse Tage im Dienstplan zu blockieren, damit man einfacher einer anderen Arbeit oder dem Studium nachgehen kann.

«Ein Boni-Verzicht wäre aber ein Zeichen dafür gewesen, dass alle am gleichen Strick ziehen.»

Dennoch besteht doch die Gefahr, dass Ihre Mitglieder diesen Deal ablehnen. Was dann?
Dann haben wir ein grosses Problem. Dann würde höchst wahrscheinlich die Swiss den GAV kündigen und sie kann alles Übervertragliche selbst bestimmen. Sie könnte die Besatzung noch stärker reduzieren, die Anzahl der Hotelübernachtungen im Ausland ohne Rücksprache mit uns bestimmen - und selbstverständlich würden dann Massenentlassungen drohen.

Bei welchen Forderungen der Swiss sagten Sie: Auf keinen Fall!
Sie wollten die Sparmassnahmen zeitlich nicht begrenzen. Und sie verlangten, dass die Überbestandskosten mit unseren Löhnen bezahlt werden sollten. Sie wollte also alle Löhne linear senken. Diese beiden Probleme konnten wir erst am Schluss mit Swiss-Chef Thomas Klühr und Finanzchef Markus Binkert aus dem Weg schaffen.

Die Swiss-Geschäftsleitung hält an ihren Boni für 2019 fest, mit Ausnahme von Thomas Klühr. Die Kritik ist gross. Was sagen Sie dazu?
Natürlich haben die Manager ein Anrecht auf ihren variablen Lohnanteil. Ein Boni-Verzicht wäre aber ein Zeichen dafür gewesen, dass alle am gleichen Strick ziehen. Insofern ist es für mich ein Zeichen von mangelnder Empathie. Der Entscheid ist taktlos, unüberlegt und arrogant. Die Swiss-Manager haben damit in der Bevölkerung und in der Politik leider viel Goodwill verspielt.

ARCHIV --- SWISS-CHEF THOMAS KLUER GIBT FUEHRUNG DER LUFTGESELLSCHAFT ENDE 2020 AB --- Thomas Kluehr, CEO Swiss orientiert an einer Medienkonferenz in Kloten am Donnerstag, 15. Maerz 2018 ueber das ve ...
Swiss-Chef Thomas Klühr tritt ab.archivBild: keystone

Die Aussichten der Aviatik haben sich deutlich verschlechtert. Die Swiss rechnet bloss noch mit einem Flugvolumen von 25 Prozent im Winter. Hand aufs Herz: Glauben Sie nach wie vor, dass es ohne Entlassungen geht?
Für das Kabinenpersonal ist es durchaus möglich, wenn sich die Lage signifikant verbessert, wenn sich die Grenzen öffnen und die Leute wieder reisen können. Oder wenn man vermehrt auf Tests bei Ankunft oder Abflug setzen würde. Je länger die Krise aber dauert, desto wahrscheinlicher werden Entlassungen. Im Frühling müsste eine klare Verbesserung ersichtlich sein für das Sommergeschäft. Ansonsten sind die Chancen klein, dass es ohne Entlassungen geht.

Hätten Sie es gut gefunden, der Bund hätte sich an der Swiss – so wie in Deutschland bei der Lufthansa – beteiligt, oder zumindest einen Verwaltungsratssitz übernommen?
Das möchte ich nicht beurteilen. Aber wir sind vom Bund enttäuscht, dass das Personal in der Schweizer Luftfahrtstiftung nicht vertreten ist. Diese soll bekanntlich dafür sorgen, dass die Swiss von der Lufthansa beim Wiederaufbau fair behandelt wird. Wir haben Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga einen Brief geschrieben, um auf dieses Manko hinzuweisen. Leider ohne Erfolg.

Nächste Woche sollte der Nachfolger von Thomas Klühr bekanntgegeben werden. Welche Erwartungen haben Sie an den neuen Chef?
Ich erwarte viel Empathie für die Belegschaft und dass die Werte der Sozialpartnerschaft weitergelebt und entwickelt werden

Als Kronfavorit gilt der Zürcher Markus Binkert. Sollte es ein Schweizer sein?
Das ist für mich nicht zwingend. Ich kenne Markus Binkert gut, er wäre jemand aus unseren Reihen, darüber würden wir uns freuen.

Die Löhne in der Branche dürften durch die Krise noch stärker unter Druck geraten. Zuletzt machte die Schweizer Airline Chair Schlagzeilen, da die Flight Attendants zum Teil netto nur noch 2000 Franken verdienen?
Diese Airline ist eine Schande für unsere Branche. Die Firma hat Leute willkürlich entlassen, unabhängig von ihrer sozialen oder finanziellen Situation oder ihrem Alter. Chair hat kein Ohr für eine Sozialpartnerschaft. Für mich ist Chair der schlechteste Arbeitgeber der Schweizer Luftfahrtbranche, knapp vor Helvetic.

Das ist ein heftiger Vorwurf gegenüber der Fluggesellschaft von Milliardär Martin Ebner, die ja als einzige Airline im Lufthansa-Konzern weiterhin Flüge im Auftrag der Swiss ausführen darf. Was stört Sie konkret an Helvetic?
Die Löhne, die Helvetic bezahlt, sind schäbig, genauso wie das Arbeitsklima. Es herrscht eine Angstkultur. Und wie Chair weigert sich Helvetic, uns als Sozialpartner anzuerkennen. Herr Ebner ist kein Philanthrop, er liebt nicht das Personal, sondern die Zahlen. Deshalb interveniere ich regelmässig bei der Swiss. Die Swiss käme es aber offensichtlich teuer zu stehen, den laufenden Vertrag mit Helvetic zu kündigen.

«Die Passagiere verhalten sich heute anders. Es gibt vermehrt Zwischenfälle an Bord.»

Das wird Ihren Mitgliedern kaum gefallen: Während sie Lohneinbussen akzeptieren sollen, lagert die Swiss Arbeit an einen günstigeren Konkurrenten aus?
Das ist ein grosses Ärgernis. Martin Ebner macht es sich derzeit leicht: Er bezieht Geld vom Staat in Form von Kurzarbeit und die Angestellten erhalten nur 80 Prozent ihres Lohns, das sind bei Einstiegslöhnen rund 2500 Franken. Er gibt praktisch keinen Rappen für sie aus und das Geld der Swiss fliesst weiterhin in seine Tasche. Die Leidtragenden sind die Swiss-Angestellten.

Sie erheben Ansprüche für eine Sozialpartnerschaft. Fakt ist doch: Kapers ist nicht die Gewerkschaft von Helvetic. Herr Ebner muss nicht auf Sie hören.
Falsch. Über 50 Prozent des Helvetic-Kabinenpersonals ist Mitglied bei uns. Somit haben wir ein Anrecht darauf, als Sozialpartner anerkannt zu werden. Und wir haben ein Informations- und Zutrittsrecht. Wenn sich die Helvetic weiterhin wehrt, werden wir rechtliche Schritte prüfen.

Das Fliegen hat sich seit Corona stark verändert. Beobachten Sie auch eine Veränderung bei den Passagieren?
Die Passagiere verhalten sich heute anders. Es gibt vermehrt Zwischenfälle an Bord. Ich erhalte mehr Rapporte über so genannte «Unruly Passengers», also renitente Passagiere. Es geht immer um das Maskentragen. Wenn einer die Maske nicht trägt, intervenieren zehn andere Passagiere und dann gibt es heftige Diskussionen. Diese angespannte Stimmung ist für unsere Crew nicht angenehm.

In den vergangenen Jahren wurden vermehrt Fälle von renitenten Passagieren gemeldet, die alkoholisiert sind oder gar handgreiflich werden. Wie erklären Sie sich das?
Das Fliegen ist nun mal zur Massenware geworden mit den vielen Tiefpreis-Flügen. Heute ist es möglich, für 50 Franken übers Wochenende nach Barcelona oder Mailand zu fliegen, um Party zu machen. Das ist eine andere Klientel als früher, als man viel Geld für ein Ticket ausgeben musste. Ich erinnere mich an eine über 80-jährige Passagierin, die allein nach Los Angeles flog. Sie erzählte mir, wie sie zum ersten Mal mit ihrem Mann in die USA reiste und sie drei Monatslöhne dafür bezahlen mussten.

«Die Branche hat das Image der sexy Flight Attendant als untergebene Dienerin über Jahrzehnte hinweg hochstilisiert.»

Mehr Rüpel-Passagiere, tiefere Löhne, und dennoch bewerben sich nach wie vor viele Leute für den Beruf – weshalb?
Ich weiss es auch nicht (lacht). Wahrscheinlich ist der Traum der Fliegerei nach wie vor stark genug. Die Idee, jeden Tag in einer anderen Stadt zu sein, ist verführerisch. Andererseits wurden die Anforderungen für den Beruf stark gesenkt. Man muss nicht mehr dreisprachig sein und aus den Bewerbungen wurden Castings. Es wurden massenweise Leute eingestellt zu tieferen Löhnen.

Da leidet dann auch die Qualität bei einer selbst ernannten Premium-Airline wie der Swiss.
Ja, ich denke schon. Unser Beruf wurde zu einem «Jöblein» degradiert, trotz der grossen Verantwortung, die man übernimmt.

Die Passagierzahlen am Flughafen Z�rich sind im Oktober im Zuge der zweiten Coronawelle weiter gesunken.(Symbolbild)
Die Passagierzahlen am Flughafen Zürich sind im Oktober im Zuge der zweiten Coronawelle weiter gesunken.Bild: sda

Hatten Sie selbst auch mal mit einem renitenten Passagier zu tun?
Das war länger her. Ich war eine junge Flight Attendant auf einem Flug nach Moskau. In der Business-Class sass ein sehr betrunkener Russe, der mich begrapscht hat.

Wie haben Sie reagiert?
Ich habe ihm eine Ohrfeige gegeben, und damit hatte es sich.

Kommen solche sexuellen Übergriffe noch immer vor, auch nach der Metoo-Debatte?
Nicht jede Woche, aber ja, das gibt es immer noch. Die Metoo-Debatte hat das Bewusstsein für solche Fälle geweckt. Viele Angestellte sind sich nun bewusst, dass nicht nur eine Berührung, sondern auch schon ein Kommentar eine sexuelle Belästigung sein kann, und melden dies nun vermehrt. Die Flugbegleiterinnen arbeiten in einem nach wie vor sehr sexualisierten Umfeld.

Inwiefern?
Wir müssen Lippenstift und Strümpfe tragen, die Frisur muss sitzen, und schliesslich hat die Branche das Image der sexy Flight Attendant als untergebene Dienerin über Jahrzehnte hinweg hochstilisiert. 75 Prozent der Crew sind weiblich. Für viele Passagiere sind wir ein Objekt.

Ihre Gewerkschaft forderte vor der Corona-Krise, dass die Lippenstift- und Strumpf-Pflicht bei der Swiss aufgehoben wird. Was wurde daraus?
Die Pflicht gilt nach wie vor. Und momentan haben wir natürlich andere Sorgen. Aber das Thema bleibt auf unserer Liste.

An welchen prominenten Passagier erinnern Sie sich gerne?
Roger Federer. Erstmals traf ich ihn auf einem Flug nach New York, wo er anschliessend das «US Open» gewann. Seine ganze Entourage war dabei, seine Familie, die Trainer, die Nannys. Sie besetzten die komplette First Class und Teile der Business Class. Roger Federer versuchte zu schlafen und seine Frau Mirka kümmerte sich liebevoll um die Kinder, sie war auch sehr unkompliziert.

Ist er Stammgast?
Das kann man sagen, ich hatte ihn seither mehrmals an Bord. Die Federers sind sehr beliebte, treue Gäste der Swiss. Die Baby-Wiegen in der First Class liess die Swiss übrigens erst installieren, nachdem die Federers erstmals Zwillinge hatten.

«Es braucht die Fliegerei für die Wirtschaft, aber auch für unsere Seele.»

Gab es auch weniger angenehmere Promi-Gäste?
Caroline von Monaco war mir gar nicht sympathisch. Sie weigerte sich, mit der Crew zu sprechen. Jede Frage musste ihrer Assistentin gestellt werden. Deshalb weigerte ich mich, sie zu bedienen. Kofi Annan, Sofia Loren und Kevin Costner waren dafür sehr freundlich. Selfies mit ihnen habe ich aber nie gemacht. Mir ist wichtig, dass wir unsere Gäste in Ruhe lassen.

Sie sind Doktor der Philosophie – wohl eine Seltenheit beim Kabinenpersonal. Weshalb entschlossen Sie sich für diesen Job in der Aviatik?
Ich habe meinen Doktortitel parallel zur Arbeit gemacht. Es gibt viele Leute, die sich wegen des Lifestyles für die Fliegerei entschliessen. Ehemalige Anwälte und Banker, die auf hohe Löhne verzichten, und es sich leisten können, Flight Attendant zu werden. Vor meiner Aviatik-Karriere war ich Musikerin im St. Galler Philharmonie-Orchester und im Zürcher Opernhaus, als Bratschistin. Bei mir war es eine impulsive Entscheidung und ich wollte eigentlich auch nicht lange in der Aviatik bleiben, aber ich habe immer einen neuen Ansporn gefunden und bin nun nach 20 Jahren noch immer voller Leidenschaft dabei.

Wie halten Sie es mit der Klimadebatte? Das dürfte politisch für Sie als linke Gewerkschaftsvertreterin ein Spagat sein.
Ich habe kein schlechtes Gewissen bei meiner Arbeit. Es braucht die Fliegerei für die Wirtschaft, aber auch für unsere Seele. Das sah man im Juli, als Portugal fast als einziges Land offen war und keine Quarantäne generierte bei einer Rückkehr in der Schweiz. Zum Teil mussten wir drei Flugzeuge am selben Tag dorthin schicken. Denn die Leute wollen fliegen, Neues entdecken oder Verwandte im Ausland besuchen. Aber die Klimadebatte ist berechtigt. Der Boom der Billigairlines war definitiv eine ungesunde Entwicklung.

Viele Leute haben Angst vor dem Fliegen, und leider geschehen immer wieder Unglücke wie Halifax oder Bassersdorf. Wie gehen Sie damit um?
Darüber mache ich mir nie Gedanken, da ich weiss, dass die Unfallgefahr mit einem Auto grösser ist als an Bord eines Flugzeuges. Ich hatte nur einmal Herzrasen, bei einem Flug mit einer MD-11 in die USA. Wir waren gerade über dem Atlantik und plötzlich ging ein Feueralarm in einer WC-Kabine los. Zum Glück war es nur ein Fehlalarm, der durch einen Parfumspray ausgelöst wurde.

Apropos WC-Kabine: Wie zutreffend ist der Mythos, dass sich ab und an Pärchen dort während eines Fluges vergnügen?
In der WC-Kabine habe ich das nie erlebt, aber ich habe mal ein Pärchen in der First Class in flagranti erwischt, als alle anderen Passagiere am Schlafen waren.

Und dann?
Ich ging zu einer Kollegin in die Business Class, trank einen Kaffee, liess ihnen etwas Zeit, und als ich zurückkehrte, war der Spuk vorbei. Ab und zu hört man von solchen Aktionen auch von Flight Attendants in der Crew-Kabine. Über den Wolken passiert alles! (lacht)

Wenn wir schon bei Klischees sind: Wie häufig gibt es Romanzen zwischen Piloten und Flight Attendants?
Die gab es früher häufiger. Eine ältere Flight Attendants erzählte mir davon, wie man mehrere Wochen mit der Crew unterwegs war, mit mehreren Hotelübernachtungen. Da hatte man deutlich mehr Zeit für solche Romanzen, oder um sich sogar zu verlieben.

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66 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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MartinZH
14.11.2020 20:27registriert Mai 2019
Der Klassiker: Gierige Manager, die den Hals nicht vollkriegen und nur kurzfristig denken können: Die Begründung, dass sich die Boni auf 2019 beziehen, ist ein Armutszeugnis.

Verfügten die Swiss-Manager über Zivilcourage, Anstand und nur ein wenig Weitsicht, würden sie von sich aus auf die Zahlungen (zumindest vorläufig) verzichten.

Hat die Swiss keinen Reputations-Verantwortlichen? Der Schaden ist perfekt, der Ruf ist total zerstörrt.

In ein paar Monaten wird die Swiss weitere Kredite benötigen, aber dann gibts nichts mehr und die Manager sind ihre Jobs los. War es das dann wirklich wert?
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rfel
14.11.2020 21:58registriert Januar 2017
Die so genannten „Manager“ haben null Ehrgefühl, wenn es um ihre Löhne geht. In keiner Realität ist es opportun, dass ein Manager das x-hundertfache seiner Angestellten verdient. Im besonderen, wenn sich das Unternehmen in einer solchen Krise befindet. Diesen Herren fehlt es eindeutig an Taktgefühl...
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Ferienpraktiker
14.11.2020 22:30registriert Juni 2017
Manager wollen immer alles was ihnen rechtlich zusteht. Ob Moral, Empathie, etc. dagegen sprechen ist egal, denn sie kennen diese Begriffe gar nicht.
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