Wem gebührt welcher Teil des Kuchens? Auf die Frage nach der gerechten Verteilung der Früchte der Arbeit gibt es keine absolut gültige Antwort. Deshalb sind auch hehre Anliegen wie die Festlegung eines nationalen Mindestlohns oder die Bestimmung einer maximalen innerbetrieblichen Lohndivergenz keine politischen Selbstläufer. Beide Initiativen waren vor sieben beziehungsweise acht Jahren an der Urne klar gescheitert.
Erfolgreich blieb dagegen der Schaffhauser Ständerat Thomas Minder mit seiner «Abzocker-Initiative» für eine Stärkung der Aktionärsrechte in börsenkotierten Gesellschaften. Mehr als zwei Drittel aller Stimmbürgerinnen und Stimmbürger hatten das Anliegen 2013 gutgeheissen. Die staatliche Rettung der UBS und die exorbitanten Gehaltsforderungen des früheren Novartis-Chefs Daniel Vasella hatten die Kontroverse um überzogene Managerboni maximal angeheizt und dem politischen Einzelkämpfer aus der Munotstadt einen spektakulären Sieg beschert.
Über die Frage, was die Minder-Initiative bewirkt hat, wird bis heute gestritten. Fakt ist aber, dass die Aktionäre in den vergangenen zehn Jahren im Vergleich zu den Managern kein bisschen zu kurz gekommen sind. Ein Vergleich zwischen der Entwicklung der CEO-Löhne und der Dividenden von 2011 bis 2020 zeigt im Gegenteil: Die Eigentümer haben in zurückliegenden Dekaden deutlich mehr abgeschöpft als die Firmenchefs.
Während die CEO über den gesamten Beobachtungszeitraum eine nominelle Gehaltserhöhung von zehn Prozent auf 186 Millionen Franken oder durchschnittlich 6,2 Millionen Franken pro Kopf erhalten haben, stiegen die Dividendenerträge der Aktionäre um 35 Prozent auf insgesamt 39 Milliarden Franken.
Hauptverantwortlich für dieses klare Ergebnis zu Gunsten der Eigentümer sind Nestlé, Roche und Novartis. Die drei mit Abstand grössten Unternehmen an der Schweizer Börse verantworten allein fast 60 Prozent aller Dividendenzahlungen. In diesen drei Unternehmen sind die Ausschüttungen im Zehnjahresvergleich zwischen 26 Prozent (Nestlé) und 38 Prozent (Novartis) gestiegen, während die CEO-Löhne nur um vier Prozent (Nestlé) zugenommen beziehungsweise sogar um 18 Prozent (Novartis) respektive um 11 Prozent (Roche) abgenommen haben.
Doch auch in vielen kleineren Firmen war das relative Dividendenwachstum der Aktionäre weit höher als die Lohnsteigerung der Chefs. So verdiente Swiss-Life-Chef Patrick Frost 2020 mit 3,9 Millionen Franken gleich viel wie sein Vorgänger Bruno Pfister vor zehn Jahren. In der gleichen Zeit haben sich die Dividendenausschüttungen von 144 Millionen auf 672 Millionen Franken vervierfacht.
Ein ähnlich spektakuläres Beispiel gibt auch der Rolltreppen- und Aufzugshersteller Schindler ab: Während der Chef des Zentralschweizer Familienunternehmens sein Gehalt im Zehnjahresvergleich um 15 Prozent auf 4,1 Millionen Franken zu steigern wusste, stiegen die Gewinnabführungen an die Aktionäre um 80 Prozent auf 431 Millionen Franken.
Gegenbeispiele sind selten. Ein solches stellt ausgerechnet die staatlich kontrollierte Swisscom dar, die seit zehn Jahren eine unveränderte Dividende zahlt, dem CEO aber eine Lohnaufbesserung um knapp 30 Prozent ermöglichte. Auch bei der Credit Suisse fällt der Vergleich zwischen Aktionären und Managern nach der jüngsten krisenbedingten Dividenden- und Bonuskürzung knapp zu Gunsten des CEO (–47 Prozent seit 2011) beziehungsweise zu Ungunsten der Eigentümer (–74 Prozent) aus.
Unberücksichtigt bleiben in dem Vergleich die Aktienrückkäufe, die vor dem Hintergrund der Ultratiefzinspolitik der Notenbanken in den vergangenen Jahren bei zahlreichen Firmen Schule gemacht haben. Wenn Firmen aus ihrem Gewinn eigene Aktien zurückkaufen, um diese von der Generalversammlung vernichten zu lassen, dann stellt dies eine Art von Gewinnausschüttung dar. Rechnet man diese Ausschüttungen zu den Dividenden hinzu, ergibt sich ein noch viel deutlicheres Bild zu Gunsten der Eigentümer.
Und schliesslich profitieren die Eigentümer im Zehnjahresvergleich auch von einem starken Anstieg der Aktienkurse. Die Aktien der 30 wertvollsten Schweizer Firmen im Swiss-Leader-Index haben in dem Zeitraum im Schnitt 64 Prozent an Wert gewonnen.
Eine andere Frage ist, wie nachhaltig die Aktionärsverwöhnungskur ist. Die Gewinne sind im Beobachtungszeitraum weniger stark gestiegen (20 Prozent) als die Dividenden. Das kann ein Zeichen dafür sein, dass die Firmen zu wenig investieren und die Aktionäre ergo zu wenig Risiko nehmen. Auf längere Sicht kann dies nicht ohne Folgen bleiben. Der Markt sorgt früher oder später auch in dieser Hinsicht für einen Ausgleich.
Aktien werden überproportional von Reichen gehalten. Sie brauchen das Geld nicht und können auch einen Crash aussitzen. Im Schnitt wird damit einfach noch mehr Geld von unten nach oben verteilt.
Gerecht wäre, wenn man seiner Pensionskasse sagen dürfte, wie hoch der Aktienanteil in den Investitionen sein soll. Denn wenn man erst in 30 Jahren pensioniert wird, kann man auch einen Aktiencrash aussitzen.