Wenn sie arbeitet, kontrolliert Philomena Maier Schokolade, die auf dem Fliessband an ihr vorbeizieht. Sie packt sie ein und macht sie versandbereit. Manchmal ist sie an der Anlage, an der die exquisiteren Hasen angemalt werden. Seit 15 Jahren macht sie das, so lange arbeitet sie schon in der Fabrik bei Chocolat Frey AG in Buchs. Als sie zu arbeiten begann, war sie 18 Jahre alt, und Jana, ihr erstes Kind, war zur Welt gekommen. Vor einem Jahr kam das zweite, Jason. Ihren viereinhalbmonatigen Mutterschaftsurlaub verlängerte sie auf sieben Monate. Dann ging sie zurück in die Fabrik, 100 Prozent wie vorher.
Damit gehört Maier zu einer deutlichen Minderheit in der Schweiz: Laut dem Bundesamt für Statistik arbeiten nur knapp 20 Prozent aller Mütter mit Kindern unter 15 Jahren Vollzeit oder mindestens 90 Prozent. Jene, die ganz zu Hause bleiben, gar nicht einberechnet.
Ist das nun gut oder schlecht? Für die Wirtschaft und die Pensionskasse der Frauen ist es schlecht. Die Schweiz bemüht sich, dass bald mehr Mütter erwerbstätig sind, gerne 80 Prozent und mehr, am besten in Kaderpositionen. Andererseits wollen viele Mütter ihre Kinder nicht vollständig outsourcen.
Wie viel Prozent darf's denn also idealerweise als Mutter sein? 20 Prozent, damit man nicht ganz vergisst, dass es noch eine bezahlte Arbeitswelt gibt? 40 Prozent, damit man an zwei Tagen noch machen kann, wofür man ausgebildet wurde? 60 Prozent, damit man zur Hauptsache in der Firma ist und doch mit vier Tagen in der Woche auch zur Hauptsache zu Hause? 80 Prozent, damit man die Chance hat, weiter Karriere zu machen? Oder 100 Prozent, weil die meisten Männer das ja auch können?
Die Sache ist unentschieden: Gemäss den Zahlen des Bundesamtes für Statistik entscheidet sich jeweils rund die Hälfte der Mütter für ein Pensum zwischen 50 und 89 Prozent, die andere für eines unter 50 Prozent. Und eben: Vollzeit arbeiten nur wenige.
Eine Umfrage zeigte Mitte August, dass billigere Krippenplätze die Eltern nicht unbedingt dazu bringen, mehr zu arbeiten. Für ihre Masterarbeit befragte Monika Stampfli, ehemalige Geschäftsleiterin einer Kita-Institution, fast 500 Eltern. Zwei Drittel waren Mütter, ein Drittel Väter und meistens waren es Gutverdienende mit einem Einkommen von mehr als 150'000 Franken im Jahr. 83 Prozent hatten einen Hochschulabschluss. Das Ergebnis: Die Mehrheit wäre nicht bereit, mehr zu arbeiten, selbst wenn es genug Kita-Plätze gäbe und diese deutlich günstiger wären. Auch steuerliche Anreize könnten die Eltern nicht von zu Hause weglocken.
Die gut verdienenden Mütter können sich das leisten. Von den anderen Müttern redet selten jemand. Sie sind weniger interessant für die Wirtschaft, und sie sind keine Vorzeigebeispiele der modernen Frau oder der gelungenen Gleichstellung. Diese Mütter arbeiten 100 Prozent, weil sie das Geld brauchen. Wie Philomena Maier.
Ihr Mann ist Logistiker, sein Lohn würde nicht reichen. «Dann gäbe es jedenfalls keine Ferien», sagt Maier. An vier Tagen die Woche geht der kleine Jason deshalb zur Tagesmutter. Die ist flexibler als eine Kita. An einem Tag hütet seine Grossmutter. Schon diese hat Vollzeit als Bankangestellte gearbeitet, als Philomena Maier klein war. Gern gesehen war es damals noch nicht, aber nötig.
Die Tochter findet, sie sehe ihre beiden Kinder dennoch genug. Das ist so, weil sie Schicht arbeitet. Wenn Philomena Maier um 5 Uhr in der Fabrik zu arbeiten beginnt, ist sie um 14.15 Uhr wieder bei Jason. Die Frühschicht ist ihre zweitliebste Schicht. Am liebsten hat sie die Nachtschicht. «Dann verpasse ich nicht viel, weil ich den ganzen Tag zu Hause sein kann.» Sie sei froh, könne sie Schicht arbeiten, sagt sie. Zum Glück braucht sie nur wenig Schlaf. «Fünf Stunden pro Tag reichen mir. Wenn ich mehr schlafe, werde ich bloss müde.»
Karriere will Maier nicht machen. Ein Stück weit ist sie dennoch ein Beispiel für die Gleichstellung von Mann und Frau. Nicht wegen irgendeiner Ideologie oder dem Druck aus der Gesellschaft, sondern aus einem Bedürfnis nach Sicherheit: Sie will finanziell unabhängig sein. Denn bis sie vor drei Jahren ihren zweiten Mann kennengelernt hat, war sie alleinerziehend. Auf die Frage, ob sie ihr Pensum reduzieren würde, wenn ihr Mann genug Geld für beide verdienen würde, sagt sie deshalb: «Nein. Ich will mein eigenes Geld verdienen.» Sie führen zwei eigene Konten und ein gemeinsames Haushaltskonto, auf das sie beide einzahlen.
Auch Alleinerziehende können meist nicht wählen, ob sie arbeiten gehen möchten. Christine Schnapp zum Beispiel. Die Mutter schaut alleine für zwei Kinder und ist 80 Prozent als Redaktorin bei einer reformierten Wochenzeitung angestellt. Schlimm findet sie das nicht, im Gegenteil: «Ich würde kein Prozent weniger arbeiten wollen», sagt sie. Sie arbeitet gerne. Diese Arbeit gebe ihr viel mehr als die Arbeit zu Hause.
Wie viel besser ihr dieser Job als jener der Fast-Vollzeit-Hausfrau gefällt, hat sie vor drei Jahren gemerkt. Als die Kinder kleiner waren und sie noch nicht alleinerziehend war, blieb sie zu Hause oder arbeitete teilweise in der Gastronomie oder freischaffend als Autorin. Heute sind die Kinder 9 und 14 Jahre alt, der Kleinere besucht den Hort. Und sie hat eine spannende Stelle gefunden.
Ein schlechtes Gewissen habe sie dennoch, sagt sie, vor allem wegen des Jüngeren, der wohl seine Mutter mehr brauchen würde. Aber dafür sei sie ausgeglichener, wenn sie zu Hause sei. Und eben: Sie braucht das Geld.
«Ich wünschte, arbeitende Mütter wären kein Thema mehr», sagt Christine Schnapp, «für viele Männer ist hochprozentig arbeiten gehen ja auch kein Müssen. Mütter sind keine Spezialgruppe.» Doch gerade andere Frauen äusserten sich nicht immer unterstützend. Im Kommentar «was, du gehst so viel arbeiten?», hat Christine Schnapp oft mehr Kritik herausgehört als Bewunderung.
Philomena Maier und Christine Schnapp müssen arbeiten. Hochprozentig. Für sie gibt es kein Arbeitspensum nach Wunsch. Es ist ihr Glück, dass sie auch arbeiten wollen. Die eine, weil sie unabhängig bleiben will, die andere, weil es sie mehr fordert. Doch der Zwiespalt zwischen genug Geld verdienen und genug für die Kinder da sein bleibt.
Obwohl Christine Schnapp sagt, sie wolle kein Prozent weniger arbeiten, findet sie die Tage lang, wenn sie erst um 19 Uhr heimkommt. «Wenn es für Eltern möglich wäre, nur sechs Stunden pro Tag zu arbeiten», gesteht sie, «wäre das schon cool.» Dann könnte sie nachmittags heimgehen und hätte mehr Zeit für die Kinder. Wie Philomena Maier, die Schicht arbeitet. Und pro Tag nur fünf Stunden Schlaf braucht. (aargauerzeitung.ch)
Die Wirtschaft ist für den Menschen und ihre Wohlfahrt da micht der Mensch für die Wirtschaft, sprich für den Reichtum einiger weniger.