Am 27. September rieb man sich international verwundert die Augen. Das Genfer Stimmvolk hatte Ja zu einem neuen Mindestlohn im Kanton gesagt - dem höchsten weltweit. 23 Franken pro Stunde dürfen künftig nicht mehr unterschritten werden. Von «CNN» bis zur «BBC» - alle berichteten über dieses Novum. Doch nicht alle haben applaudiert - insbesondere jene Firmen nicht, die nun stärker zur Kasse gebeten werden. Denn insgesamt profitieren 30'000 Personen vom neuen Gesetz. Das entspricht sechs Prozent aller Angestellten im Kanton. Anfang November trat es in Kraft.
Betroffen ist auch die Swiss. Damit wird das Gesetz zum Problem für ihren neuen Chef Dieter Vranckx, der ab 2021 die Geschicke der Lufthansa-Tochter leitet. Er wurde diese Woche als Nachfolger von Thomas Klühr gewählt. Auf den Schweiz-Belgier warten schwierige Gespräche mit der Kapers, der Gewerkschaft des Swiss-Kabinenpersonals.
Die Swiss habe rund 200 Flugbegleiter in Genf angestellt, sagt Kapers-Präsidentin Sandrine Nikolic-Fuss. Wie in Zürich betrage auch in der Rhone-Stadt der heutige Einstiegslohn rund 3400 Franken. «Mit dem neuen Gesetz müsste die Swiss rund 4000 Franken bezahlen, wovon etwa 80 Prozent der Angestellten profitieren würden», sagt Nikolic-Fuss. Das mache die Swiss derzeit noch nicht. «Wir werden nun Gespräche dazu führen und auch fordern, dass die Lohnerhöhung rückwirkend bezahlt wird.»
An sich hat die Swiss wenig Spielraum - das Gesetz in Genf ist klar. Doch wenn sie künftig dem Westschweizer Kabinenpersonal plötzlich deutlich höhere Löhne zahlt, steht sie vor einem viel grösseren Problem: Was ist mit Zürich, wo der Grossteil der insgesamt rund 4000 Flight Attendants arbeiten? Wird Vranckx ihre Löhne auch anheben, während er gleichzeitig wie von seinem Vorgänger Thomas Klühr angekündigt 1000 Stellen abbauen muss? Oder nimmt er eine Zweiklassengesellschaft in der Firma in Kauf?
Noch hat die Swiss keine Antwort auf diese Fragen. «Wir prüfen aktuell den Sachverhalt und können im Moment leider noch keine weitere Auskunft dazu geben», sagt eine Sprecherin. Dies zeigt, dass die Swiss vom Ausgang der Abstimmung in Genf wie viele andere Leute und Firmen überrascht wurden. Kommt hinzu, dass die Lufthansa-Tochter derzeit mit den Gewerkschaften über Corona-Sparmassnahmen am Verhandeln ist.
Und wie sieht es die Kapers? «Zuerst müssen die Genfer zu ihrem Recht kommen», sagt Nikolic-Fuss. «Die weiteren Schritte werden wir dann prüfen.» Möglicherweise braucht es aber gar keine Verknüpfung zum Genfer Gesetz. Denn in den vergangenen Monaten hat die Kapers zusammen mit anderen Gewerkschaften in den Städten Zürich, Winterthur und Kloten Unterschriften gesammelt. Das Ziel: ein Mindestlohn von 23 Franken pro Stunde.
Vergangene Woche wurden die nötigen Unterschriften für drei kommunale Volksinitiativen in den drei Städten eingereicht. Offen ist einzig, ob kommunale Mindestlohnvorschriften überhaupt möglich sind. Dies wird Zürich nun prüfen.
Die Billigairline Easyjet Switzerland - mit je 300 Flight Attendants in Basel und Genf - wird sich dieselben Lohn-Fragen wie Vranckx stellen müssen, sagt Jamshid Pouranpir, Sekretär der Gewerkschaft VPOD, welche das Easyjet-Kabinenpersonal am Flughafen Genf vertritt: «Wir haben bereits erste Gespräche mit der Firma geführt.»
Diese stellt sich auf Anfrage allerdings auf den Standpunkt, dass niemand im Konzern weniger als 23 Franken pro Stunde verdient. «Ich bin aber nicht überzeugt, dass das stimmt.» Denn ein bedeutender Teil der Löhne in der Kabine sei variabel. «Es kommt auf die Berechnungsart an.» Als Nächstes wolle er sich mit der Kapers bezüglich einer gemeinsamen Strategie absprechen.