Am 1. Mai 2020 titelte die Zeitung «Finanz und Wirtschaft»: «Lonza soll Covid-Impfstoff produzieren.» Der mRNA-Impfstoff des US-Biotechunternehmens Moderna war damals noch in keinem Land zugelassen, doch die Entwicklerinnen waren optimistisch. So auch der Basler Pharmazulieferer Lonza. Er ging mit Moderna eine 10-jährige Zusammenarbeit ein.
Im Rahmen dieser Vereinbarung ging es um die Einrichtung von Produktionsanlagen zur Herstellung des Moderna-Impfstoffes an den Lonza-Standorten in den USA und an den beiden Standorten in der Schweiz in Visp und Basel. In einer Mitteilung schrieb Lonza damals, man wolle pro Jahr eine Milliarde Impfdosen herstellen.
Am 11. Mai äusserte sich Renzo Cicillini, Standortleiter von Lonza Visp, ausführlich zu den Plänen der Impfstoffherstellung in seinem Werk. Gegenüber dem «Walliser Bote» plauderte er aus dem Nähkästchen. Er habe über 40 Anfragen für eine Partnerschaft im Bereich der Impfstoffproduktion. Diejenige mit Moderna habe sich als die vielversprechendste gezeigt und sich deshalb aufgedrängt.
Er sei überzeugt, dass sich der Moderna-Impfstoff als vielversprechend erweise, so Cicillini. Bewähre sich der Impfstoff, könne man diesen auch im Wallis produzieren. Und konkret: «Wir gehen davon aus, dass ein grosser Teil der Impfdosen hier in Visp produziert wird.»
Einige Tage später berichtete die «Sonntags Zeitung», die USA arbeite an einem exklusiven Zugang zu einem Corona-Impfstoff – dies zusammen mit der Schweizer Firma Lonza. Moderna habe von der US-Regierung eine halbe Milliarde Dollar für die Impfstoffentwicklung erhalten. Der Beitrag sei aber an Bedingungen geknüpft: Lonza soll mit seinem grössten Produktionsstandort Visp seine Kapazitäten zur Impfstoffherstellung ausschliesslich für die US-Amerikaner frei halten.
«America first», titelte daraufhin die «Aargauer Zeitung». Es sei das Wettrennen des Jahrhunderts und US-Präsident Donald Trump wolle seine eigene Bevölkerung am schnellsten mit dem Impfstoff bedienen. Zum «Tages-Anzeiger» sagte damals Lonza-Chef Albert Baehny: «Es ist alleinige Verantwortung von Moderna, zu entscheiden, an wen die Impfstoffe verkauft werden.» Angesichts der finanzstarken Unterstützung durch die US-Regierung liege es auf der Hand, dass die ersten Lieferungen in die USA gingen.
Bundesrat Alain Berset soll von Beginn weg über das Impfstoff-Projekt von Moderna und Lonza informiert worden sein. So schrieb es die Zeitung «Bilanz». In einer Pressekonferenz sagte Berset, alle Länder sollten einen fairen Zugang zu einem Impfstoff erhalten. Die Schweiz werde mit verschiedenen Impfstoffhersteller sprechen. «Lonza ist nicht der einzige Impfstoffhersteller, mit dem wir in Kontakt stehen. Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um der Schweizer Bevölkerung einen wirksamen Impfstoff zur Verfügung stellen zu können», so Berset.
Im Sommer 2020 befand sich der Moderna-Impfstoff noch in der Testphase und suchte Probanden, um diese abschliessen zu können. Laut SRF wären sechs Universitätskliniken in der Schweiz bereit gewesen, bei der Studie mitzuhelfen. Doch der Bund wollte die dafür nötigen Gelder nicht übernehmen.
Die Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel ärgerte sich darüber, denn: «Es ist wichtig für den Standort Schweiz an den klinischen Studien mitzuwirken. Das vergrössert die Chance den Zugang zu Impfstoffen für die Versorgung der Bevölkerung zu bekommen.»
Der Lonza-Chef Albert Baehny sei beim Abschluss des Deals mit Moderna umsichtig genug gewesen, um zu wissen, dass die Schweiz nicht leer ausgehen dürfe. So schrieb es der «Tages-Anzeiger» im August. Deshalb habe er zwischen dem Bundesrat und dem Moderna-Management vermittelt und dafür gesorgt, dass ein Teil der in Visp produzierten Impfstoffen für die Schweiz zur Verfügung gestellt werden.
Am 7. August kommunizierte dann das Bundesamt für Gesundheit, das Abkommen mit Moderna sei unter Dach und Fach. Die Schweiz sichere sich bei dem US-Unternehmen 4,5 Millionen Corona-Impfdosen. «Der frühe Zugang zum Impfstoff von Moderna ist uns wichtig», hiess es in einer Mitteilung. Wie viel Geld dafür in die Kassen von Moderna floss, ist unklar. Die Details des Vertrages seien vertraulich. Es sollen aber rund 150 Millionen Franken sein.
Weitaus mehr sprach die USA. Für 1,5 Milliarden Dollar sicherte sich das Land 100 Millionen Moderna-Impfdosen.
Noch bevor der Moderna-Impfstoff die Marktzulassung erhielt, begannen im Wallis die Maschinen zu laufen. In Visp wurde im Herbst eine riesige Produktionsanlage installiert, die Ibex-Halle. Tag und Nacht seien Leute im Einsatz, sagte Standortleiter Renzo Cicillini gegenüber SRF. Die Lonza wolle bereit sein, wenn klar ist, dass der Impfstoff produziert werden dürfe. «In einigen Monaten beginnen wir mit der Produktion», ist sich Cicillini sicher.
Anfang November dann die Good News aus den USA: Biontech/Pfister melden einen 90-Prozent-Erfolg bei ihrer Covid-19-Impfung. Der bekannte Virologe Florian Krammer schreibt auf Twitter: «Liebe Welt, wir haben einen Impfstoff.»
Einige Monate später, die Schweiz hatte sich inzwischen auch bei anderen Herstellern Impfdosen gesichert und bereits mit dem Impfen begonnen, berichtete der «Tages-Anzeiger» dies: «Der Bund hätte bei der Lonza in Visp eine eigene Produktionslinie für den Covid-Impfstoff aufbauen können, lehnte das Angebot aber ab.» Der Lonza-Präsident Baehny persönlich habe dem Bundesrat das Angebot dafür gemacht. Dies wisse die Zeitung von verschiedenen Quellen.
Nora Kronig, die Vizedirektorin des BAG begründete den Entscheid so: «Es müsste die Gesetzesgrundlage angepasst werden, um in eine staatliche Impfstoffproduktion zu investieren. Und auch eine staatliche Produktion könnte nicht sofort genügend Dosen für alle bereitstellen.»
Hätte der Bund das Angebot angenommen, so hätte mit einer Investition von 70 Millionen Schweizer Franken eine eigene Produktionsanlage mit einer Kapazität von 100 Millionen Dosen aufgebaut werden können, berechnete der «Tages-Anzeiger». So wäre der Bedarf für die Schweiz innerhalb weniger Wochen produziert gewesen.
Nach dieser Schlagzeile musste sich Bundesrat Alain Berset gegen Vorwürfe aus fast allen Parteien wehren. Hat der Bund eine Riesenchance versäumt? An einer Medienkonferenz beschwichtigte er: «Es war nie die Rede vom Kauf einer Produktionslinie.»
Lonza habe ihm damals einen Brief geschrieben, nachdem sie den Zuschlag für die Produktion des Moderna-Impfstoffes erhalten habe. Darin sei es um Investitionen in die Lonza gegangen. Doch weil bei diesem Deal nicht klar gewesen wäre, ob die Schweiz bevorzugt Zugang zum Impfstoff erhalten würde, habe Berset das Anliegen nicht weiterverfolgt. Das BAG habe dann mit Moderna und Lonza verhandelt, um Impfdosen zu erhalten, sagte Berset.
Die «NZZ am Sonntag» legte am vergangenen Wochenende beim Impf-Debakel des Bundes nochmals nach. Gegenüber der Zeitung sagte Lonza-Chef Albert Baehny: «Doch, es gab eine Option für den Bund im Wallis eine eigene Produktionsstrasse für Covid-19-Impfstoffe zu erwerben.»
Diese Idee unterbreitete er dem BAG an einer gemeinsamen Sitzung am 1. Mai 2020. Nachdem Lonza den Deal mit Moderna abgeschlossen habe, sei es darum gegangen die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit mit dem BAG zu skizzieren, sagte Baehny zur «NZZ am Sonntag». Er habe vorgeschlagen, dass der Bund für 60 Millionen Franken eine Produktionsstrasse im Wallis übernimmt. Sie würde 100 Millionen Dosen pro Jahr produzieren, davon könnte die Schweiz 20 Millionen für sich behalten und den Rest ärmeren Ländern weitergeben.
Baehny gab zwar zu, dass er nicht über den Kopf von Moderna Impfverträge beschliessen könne, dachte aber, dass ein solcher Deal gute Chancen hätte. «Ich wollte einen Dialog mit dem Bund. Natürlich hätte der Bund dies mit Moderna verhandeln müssen. Ich sage nicht, dass es sicher geklappt hätte. Mein Angebot war: Wollen wir dies ansehen?» Berset habe diese Option aber nicht weiterverfolgt. Stattdessen habe er direkt mit Moderna verhandelt und frühzeitig eine Kaufvereinbarung unterzeichnet.
Noch am Sonntag reagierte das Departement von Alain Berset auf die Aussagen von Lonza-Chef Baehny gegenüber der «NZZ am Sonntag». Es veröffentlichte den Brief, den der Lonza-Chef an den Bundesrat geschrieben hatte und ein Sitzungsprotokoll.
Wie verschiedene Medien berichteten, wurde im Brief eine eigene Produktionsstrasse nicht explizit erwähnt. Doch Baehny schrieb, dass die privilegierte Position von Lonza als Exklusiv-Partner von Moderna eine «bedeutende Chance und einen Vorteil für unser Land und unsere Bürger darstelle». In der Sitzung, die nach dem Brief arrangiert wurde, hatte man laut dem Protokoll über Investoren für zwei Produktionsstrassen für je 100 Millionen Impfdosen in Visp gesprochen.
«Hat der Bund beim Impfen gegen Corona die Chance auf eine schweizerische Impfproduktion verpasst?», fragte das SRF am Montag in einem Artikel. Auf der einen Seite steht der Lonza-Chef Baehny, der sagt, er habe dem BAG ein Angebot für eine eigene Produktionslinie in den Raum gestellt. Auf der anderen Seite Bundesrat Berset und sein Departement, die sagen, diese Option sei so nie auf dem Tisch gewesen.
Verschiedene Politikerinnen und Politiker fordern nun eine umfassende Aufklärung des Impf-Debakels.
Ich gehe hier mit der Politik einig: eine umfassende Aufklärung dieser Affäre ist notwendig. Das muss an die Öffentlichkeit. Sonst gibt's zu viele Gerüchte und böses Blut.
Es dürfen Wetten abgeschlossen werden, wer nicht ganz die Warheit sagt.
Herz für Berset, Blitze für Lonza
Dass man aber ein wahrscheinliches Angebot (aus welchen Gründen auch immer) ausgeschlagen hat, muss und will ich nicht verstehen!