Schweiz
Wirtschaft

Das gefährliche Geschäft von Jules Bloch

Jules Bloch in seinem Büro.
Jules Bloch in seinem Büro.Bild: Musée d’histoire de la Chaux-de-Fonds

Das gefährliche Geschäft von Jules Bloch

Der Schweizer Industrielle Jules Bloch exportierte während des Ersten Weltkriegs Munitionsbestandteile nach Frankreich. Deutschland versuchte mit Intrigen dem Geschäft ein Ende zu setzen.
14.09.2019, 16:4615.09.2019, 17:00
Christophe Vuilleumier / Schweizerisches Nationalmuseum
Mehr «Schweiz»

Von 1915 bis 1918 produzierten Schweizer Unternehmen im grossen Stil Munitionsbestandteile und verkauften sie an die kriegsführenden Nationen. Zu den wichtigsten Lieferanten Frankreichs gehörte der jüdische Industrielle Jules Bloch.

Der Unternehmer war vor dem Krieg in der Stahl- und Uhrenindustrie tätig gewesen, passte aber bei Kriegsausbruch die Produktion und seine Bestellungen bei den jurassischen und den Neuenburger Uhrenfabriken den neuen Umständen an und liess von da an Granatenzünder herstellen.

Hier bloggt das Schweizerische Nationalmuseum
Mehrmals wöchentlich spannende Storys zur Geschichte der Schweiz: Die Themenpalette reicht von den alten Römern über Auswandererfamilien bis hin zu den Anfängen des Frauenfussballs.
blog.nationalmuseum.ch

Jules Bloch fuhr in seinem eigenen Zug von Neuenburg nach Moutier, von Delsberg nach La-Chaux-de-Fonds oder von Biel nach Lausanne, wo er Verträge mit den Fabrikanten unterschrieb, die Fracht in die Güterwagen lud und die Eisenbahnkonvois organisierte, die die Munition nach Frankreich schafften. In vier Jahren verkaufte er der französischen Armee Waffen im Wert von fast 85 Millionen Schweizer Franken – ein Geldsegen, der während der ganzen Kriegszeit eine Vielzahl kleiner Industriebetriebe im Jurabogen über Wasser hielt.

Verpackung der Zünder von Jules Bloch in absichtlich falsch beschriftete Kisten, um einen diskreten Transport zu ermöglichen.
Verpackung der Zünder von Jules Bloch in absichtlich falsch beschriftete Kisten, um einen diskreten Transport zu ermöglichen.Bild: Musée d’histoire de la Chaux-de-Fonds

Es waren diese Geschäftsbeziehungen, die Bloch mit dem französischen Munitionsminister Albert Thomas in Kontakt brachten, der in der Folge mehrmals beim Neuenburger Industriellen zu Gast war. Diese Geschäftstätigkeit erregte unweigerlich die Aufmerksamkeit des deutschen Geheimdienstes.

Beladung von Güterwagen mit Munitionsbestandteilen.
Beladung von Güterwagen mit Munitionsbestandteilen.Bild: Musée d’histoire de la Chaux-de-Fonds

Der Einfluss Deutschlands in der Schweiz zeigte sich auf verschiedenste Weise. Zahlreiche Schweizer Unternehmen waren von privaten deutschen Firmen übernommen worden. In einer freien Marktwirtschaft sind Übernahmen zwar nichts Ungewöhnliches, angesichts des laufenden Krieges liegt aber doch der Verdacht nahe, dass diese Akquisitionen mit der Absicht geschahen, einen Handelskrieg anzuzetteln.

Hinter mehreren Schweizer Fabriken – darunter die Hersteller von Aluminium und Salpetersäure in Neuhausen, Rheinfelden und Chippis oder die Ferrosiliziumproduzenten in Olten, Aarburg, Gösgen und Augst-Wyhlen – stand die mächtige Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) unter der Leitung von Walther Rathenau. Der hohe Beamte des preussischen Kriegsministeriums stand bis April 1918 der Kriegsrohstoffabteilung vor.

Walther Rathenau
Walther Rathenau. Wikimedia / Bundesarchiv, Bild 183-L40010

Die Gründung eines Ablegers der AEG, der Metallum AG mit Sitz in Bern, hatte das erklärte Ziel, die Industriegeschäfte zwischen der Schweiz und Deutschland zu vereinfachen. Mit der Metallum AG versuchte man auch wiederholt, dem Munitionsfabrikanten Bloch zu schaden. Geführt wurde die Metallum nicht nur von Walter Rathenau, sondern auch von den Direktoren der Metallgesellschaft, der Metallbank und der Metallurgischen Gesellschaft, und war so faktisch ein in der Schweiz aktiver deutscher Konzern. Das Unternehmen stand in direktem Kontakt mit der deutschen Gesandtschaft und dem Geheimdienst des Reichs, dessen Dienststelle in Lörrach, vor den Toren Basels, mit Sondermissionen in der Schweiz betraut war.

Ab 1917 verstärkte die Metallum ihre Umtriebe gegen Bloch, indem sie versuchte, einige seiner Zulieferer zu diskreditieren, um ihn bei seinen französischen Kunden in Verruf zu bringen. Diese Intrigen misslangen zwar, schufen aber ein besonders negatives Bild von Jules Bloch, den man als eine Art im Überfluss lebenden «Millionärskönig» darstellte.

History
AbonnierenAbonnieren

Die Tatsache, dass der Industrielle Nachsteuerforderungen der Eidgenössischen Steuerverwaltung mehrmals angefochten hatte, war seinem Ruf nicht förderlich. Er gab an, wegen der unsicheren Kriegslage und der laufenden Bestellungen nicht in der Lage gewesen zu sein, seine Einnahmen richtig zu berechnen.

Der Schweizer Fiskus, der nach dem militärischen Zusammenbruch Russlands zweifellos einen deutschen Sieg und damit Blochs Ruin befürchtete, veranlagte Bloch im Februar 1918 mit einem Steuerbetrag von zwei Millionen Franken. In den darauffolgenden Monaten stellte die Steuerverwaltung, beeinflusst vom Eindruck, die Metallum wolle Bloch schaden, und von der zunehmend angespannten Wirtschaftslage in der Schweiz jedoch die tatsächlichen Gewinne des Munitionsfabrikanten in Frage und leitete eine Untersuchung ein. Aus den Ergebnissen schloss man, dass der Neuenburger dem Fiskus die enorme Summe von zweiundzwanzig Millionen schuldete.

Während Jules Bloch verzweifelt versuchte, die Steuerforderung zu umgehen, wurde gegen ihn anonym Anzeige wegen Betrugs erstattet. Die Anschuldigung führte zu einer Durchsuchung von Blochs Büros, die Hinweise auf einen Bestechungsversuch zutage förderte. Die Tatsache, dass ein Angestellter der Eidgenössischen Steuerverwaltung direkt involviert war, machte die Sache noch heikler.

Fabrikation von Munitionsbestandteilen in der Firma Piccard, Pictet & Cie Genève. Die seit 1915 wachsende Kriegsmaterialproduktion führte in der Metall- und Maschinenindustrie rasch zu einem Arbei ...
Fabrikation von Munitionsbestandteilen in der Firma Piccard, Pictet & Cie Genève. Die seit 1915 wachsende Kriegsmaterialproduktion führte in der Metall- und Maschinenindustrie rasch zu einem Arbeitskräftemangel. Auch in dieser tradtionell von Männern dominierten Branche wurden vermehrt Frauen beschäftigt.Bild: Schweizerisches Nationalmuseum

Am 8. August 1918 wurde Bloch schliesslich verhaftet und kam im Gefängnis Bois-Mermet in Lausanne in Untersuchungshaft, bevor ihn das Bundesgericht im Januar 1919 schuldig sprach. Er wurde zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Ausserdem musste er 2,7 Millionen Franken Steuern und eine Busse von 10'000 Franken zahlen. Da es ihm nicht gelang, die ganze Summe in bar zusammenzubringen, war Bloch gezwungen, einen Teil seines Eigentums zu veräussern.

Darunter befand sich insbesondere ein Haus auf einem Grundstück ausserhalb von Genf. Diese Parzelle bot der Bund kurze Zeit später der Internationalen Arbeitsorganisation an, die dort später ihren Sitz einrichtete. Erster Generaldirektor der IAO war kein anderer als Blochs alter Freund, der französische Munitionsminister Albert Thomas.

Über die Einzelheiten der Steuerverhandlungen, die geführt wurden, während der Industrielle hinter Gittern sass, ist natürlich wenig bekannt. Hingegen weiss man, dass Bloch während seiner Haft viele Vorzüge genoss. Er durfte seine Familie, seinen Sekretär sowie seine Notare und Anwälte, mit denen er weiterhin arbeitete, empfangen und für einen Besuch beim Schneider oder ein Essen im Restaurant in die Stadt fahren.

Als der Weltkrieg und der auf Blochs Rücken ausgetragene Propagandakrieg zu Ende waren, widmete er sich wieder einer konventionelleren Unternehmertätigkeit und wurde 1925 insbesondere Vizedirektor der Metallwerke AG in Dornach. 1945 verstarb Jules Bloch. Die Ermordung von Walther Rathenau, der 1922 zum Reichsaussenminister ernannt worden war und noch im selben Jahr von Mitgliedern der Organisation Consul – einer ultranationalistischen und antisemitischen Vereinigung aus dem völkischen Milieu – erschossen wurde, hatte Bloch noch erlebt.

Aktuell im Landesmuseum:

Indiennes. Stoff für tausend Geschichten
Landesmuseum Zürich
30.08.2019 – 19.01.2020

Die Ausstellung im Landesmuseum erzählt die Geschichte rund um die Textilproduktion, thematisiert das koloniale Erbe und wandelt auf den Handelswegen zwischen Indien, Europa und der Schweiz. Äusserst sehenswert sind die vielen prachtvollen Stoffe, darunter hochkarätige Leihgaben aus dem In- und Ausland.
>>> Weitere historische Artikel auf: blog.nationalmuseum.ch
watson übernimmt in loser Folge ausgesuchte Perlen aus dem Blog des Nationalmuseums. Der Beitrag «Das gefährliche Geschäft von Jules Bloch» erschien am 30. August.
blog.nationalmuseum.ch/2019/08/jules-bloch-affaere-das-gefaehrliche-geschaeft-mit-der-munition

Bundesrat bei den Waffenexporten entmachtet

Video: srf/SDA SRF
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Die Zahlen des Ersten Weltkriegs
1 / 20
Die Zahlen des Ersten Weltkriegs
1:4 war im Herbst 1914 bei Londoner Maklern die Quote für den Fall, dass der Krieg am 15. September 1915 noch andauern würde.
quelle: glasplatten-archiv / str
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Explosionsgefahr im ehemaligen Munitionslager Mitholz
Video: srf
Das könnte dich auch noch interessieren:
4 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
fools garden
14.09.2019 21:56registriert April 2019
Tolle Story danke!
552
Melden
Zum Kommentar
4
Nicht nur am Gotthard – wo es an Ostern im In- und Ausland sonst noch staut
Viele nutzen das verlängerte Osterwochenende für eine Reise ins Ausland. Ob Städtetrips oder an idyllische Orte – die Reiseziele sind vielseitig und die Vorfreude riesig. Aber Obacht! Damit du deine wertvolle Zeit nicht mit Warten verbringst, solltest du dich vorab über den Osterstau informieren.

Du fährst auf der Autobahn, hast (noch) gute Laune, hörst deine Lieblingsmusik und bist in Gedanken schon an deinem Reiseziel. Alles läuft prima, bis du plötzlich eine lange Schlange an Autos vor dir stehen hast. «Mist, Stau! Kann ja nicht so lange dauern», denkst du dir. Es vergehen 5 Minuten, 15 Minuten, 30 Minuten und je länger du stehst, desto ungeduldiger wirst du. Hättest du dich doch besser früher über die Verkehrslage informiert!

Zur Story