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Wirtschaft

Guy Parmelin: «Geht es hart auf hart, schaut jedes Land zuerst für sich»

Interview

Impfstoffe aus der Schweiz?: «Geht es hart auf hart, schaut jedes Land zuerst für sich»

SVP-Bundesrat Guy Parmelin spielt als Wirtschaftsminister in der Coronarezession eine Schlüsselrolle. Im grossen Interview sagt er, wie er als Tourist die Gastro- und Hotelbranche erlebt, warum der Bund nicht einfach Betriebe retten soll - und wieso er sich bei Impfstoffen mehr Unabhängigkeit wünscht.
17.08.2020, 06:38
Patrik Müller, Lucien Fluri / ch media
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Der Wirtschaftsminister empfängt uns im Bundeshaus Ost, wo er sein Büro hat. Abstandhalten reicht hier, eine Maskenpflicht gibt es auch in den Gängen nicht. Den Balkon seines Büros teilt Parmelin mit Verteidigungsministerin Viola Amherd.

Wo haben Sie ihre Sommerferien verbracht?
Guy Parmelin:
Hauptsächlich in Villars in den Waadtländer Voralpen. Es ist eine wunderbare Gegend zum Wandern, gerade wenn es im Flachland heiss ist. Meine Frau und ich waren auch noch kurz im Tessin und in Graubünden. Allerdings waren es zwei spezielle Wochen, die von vielen Telefonaten geprägt waren – und von zwei Arbeitstagen in Bern unterbrochen wurden.

Bundesrat Guy Parmelin an seinem Arbeitsort im Bundeshaus West, am Donnerstag, 2. April 2020 in Bern. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)
Bundesrat Guy Parmelin: «Wir müssen uns überlegen, ob es nicht besser wäre, wenn gewisse Medikamente wieder in der Schweiz oder in Europa hergestellt würden.»Bild: KEYSTONE

Haben Sie die Corona-Akten mit in die Ferien genommen?
Ich habe viel gelesen. Aber nicht nur Corona-Papiere, sondern auch Krimis und Comics. Ich mag Comics. Auch und gerade in diesen Zeiten.

Welchen Eindruck haben Sie in den Tourismusgebieten gewonnen?
Im Waadtland traf ich viele Deutschschweizer. Umgekehrt höre ich, dass es in der Ost- und Zentralschweiz viele Romands gab. Dieser Sommer war gut für den Zusammenhalt! Es ist aber offensichtlich, dass die Hotel- und Gastrobranche enorm leidet, die Schweizer Gäste können den Wegfall der ausländischen Touristen nicht kompensieren.

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Es heisst, jedem vierten Hotel drohe der Konkurs. Soll der Staat diesen Strukturwandel zulassen, oder muss er eingreifen?
In den Städten ist es schlimm. In den Bergen sieht es zumindest im Sommer besser aus. Schon vor der Krise kannten Gastro- und Hotelbranche vielerorts Probleme. Der Bund hat mit der Kurzarbeit und den Notkrediten in der extremen Coronasituation schnell reagiert. Auch wurden die Förderinstrumente für den Tourismus gestärkt. Darüber hinaus kann und soll er nicht um jeden Preis Strukturen erhalten.

Der Hotellerieverband fordert, dass notleidenden Betrieben die Kreditschulden erlassen werden. Kommen Sie ihnen entgegen?
Das wäre falsch. Der Bundesrat war und ist gegen einen Schuldenerlass. Hätten wir A-fonds-perdu-Kredite angekündigt, wären enorm hohe Summen bezogen worden. Das wären schnell 40 Milliarden Franken gewesen, und der Bund hätte wohl bald einen Zusatzkredit von 10 Milliarden sprechen müssen. Stattdessen sehen wir jetzt, dass viele Betriebe die Kredite zwar beantragt, aber nicht genutzt oder ausgeschöpft haben. Die Covid-Kredite geben ihnen Sicherheit – umso besser, wenn sie sie gar nicht brauchen.

«Es ist für den Bundesrat nicht möglich, alle Betriebe zu retten.»

Stellenabbau und Konkurse überall. Schauen Sie einfach zu?
Ich erlebe viele Unternehmen, die in der Krise sehr innovativ sind und unternehmerisch, eigenverantwortlich handeln. Auch in der Gastrobranche. Umgekehrt gibt es Betriebe, die sich als nicht überlebensfähig erweisen. Sie dauerhaft zu stützen wäre falsch. Wir haben die Wirtschaft jetzt geöffnet. Aber es ist für den Bundesrat nicht möglich, alle Betriebe zu retten. Mir bereitet die Lage der Binnenwirtschaft ohnehin weniger Sorgen als jene im Export.

Dauert dort die Rezession länger?
Im Inland haben wir vieles selber in der Hand. Darum die Öffnungsschritte. Sie wirken sich sofort positiv auf die Konjunktur aus. Aber die Schweiz ist exportorientiert, und wenn wichtige Märkte – namentlich die USA, aber auch weite Teile Europas – gesundheitlich und ökonomisch in der Krise stecken, spüren wir das.

Ist der Bundesrat ohnmächtig?
Wir können die Lage in den USA nicht verbessern. Trotzdem lässt sich im Austausch mit den Firmen einiges erreichen. Der Bund nutzt seine Anker im Ausland – die Botschaften, Swissnex, Swiss Global Enterprise, Präsenz Schweiz und so weiter – um den Unternehmen den Zugang zu schwierigen Märkten zu erleichtern. Wir konnten schon manche Blockade lösen und technische Hemmnisse eliminieren.

Ganz konkret: Wie unterstützt der Bund die Firmen?
Mit Entlastungen, etwa mit gezielten Vereinfachungen zur Nutzung der Exportrisikoversicherung oder mit dem Abbau der Industriezölle. Ich hoffe, das Parlament stimmt dieser Vorlage zu. Auch die Kampfjets, über die wir abstimmen, bringen Jobs in die Schweiz, diese Beschaffung wirkt wie ein Konjunkturprogramm.

Wir stimmen am 27. September auch über die Begrenzungsinitiative der SVP ab. Nützt oder schadet sie der Wirtschaft?
Der Bundesrat setzt sich für ein Nein ein.

Und der Wirtschaftsminister?
Der gehört auch zum Bundesrat!

Ihre Partei sagt, die Initiative schütze – gerade in einer Rezession – die Arbeitsplätze der inländischen Arbeitnehmer.
Unsere Wirtschaft ist sehr exportorientiert. Für die Arbeitsplätze im Inland ist der Austausch mit unseren Handelspartnern zentral – nicht nur mit der EU, auch mit Asien und Amerika. Er verbessert die Sicherheit. Dessen sollten wir uns bewusst sein.

Reicht das, um den Arbeitnehmern die Job-Ängste zu nehmen?
Der Bundesrat nimmt die Sorgen ernst. Darum haben wir die Kurzarbeit ausgedehnt, darum planen wir die Überbrückungsrente für Arbeitslose ab 60.

«Auch die EU und die USA sind bei den Antibiotikamitteln fast total von China oder Indien abhängig.»

Die Schweiz hat eine starke Pharmaindustrie, aber keine Impfstoffentwickler mehr. Ist es ein Fehler, dass wir ausgerechnet hier vom Ausland abhängig sind?
Impfstoffentwickler haben wir noch, produziert wird momentan aber hauptsächlich in Asien. Dieses Problem betrifft aber nicht nur die Schweiz. Auch die EU und die USA sind bei den Antibiotikamitteln fast total von China oder Indien abhängig. Wir müssen uns sehr grundsätzlich überlegen, ob es nicht besser wäre, wenn gewisse Medikamente wieder in der Schweiz oder in Europa hergestellt würden. Ich hatte ein interessantes Gespräch mit meinem deutschen Amtskollegen Peter Altmaier in Berlin. Wir müssen Diskussionen mit anderen Ländern in Europa und mit der Pharmabranche führen.

Mit Roche und Novartis verfügt die Schweiz über zwei global führende Pharmafirmen. Trotzdem sind Impfstoffe kein Thema.
Warum ist dies so? Wegen der Kosten! Die Rentabilität fehlt, um solche Produkte hier zu produzieren. Innovative Krebsmedikamente versprechen eine höhere Rendite. Es gibt nur zwei Lösungen: Entweder ändert sich der Markt von selbst. Oder der Staat engagiert sich aus strategischen Gründen. Dann müssten wir investieren.

Sind Sie der Meinung, die Schweiz müsse das tun?
Wir müssen das sehr ernsthaft prüfen. Die Coronakrise hat gezeigt, dass – wenn es hart auf hart geht – jedes Land zuerst für sich schaut. Wir sahen das auch bei den Masken, wo Lieferungen in die Schweiz kurze Zeit an der Grenze blockiert waren.

Sollte die Schweiz generell wieder mehr auf die Selbstversorgung setzen?
Wir müssen Reserven und Notvorräte haben, auch hier hat die Krise Defizite aufgezeigt. Ebenso wichtig sind gute Beziehungen mit den Nachbarländern, damit die Handelswege offen bleiben. Dies ist zum grössten Teil gelungen. Wir konnten immer genug Lebensmittel oder Öl importieren.

Nun wollen Sie mit der Agrarpolitik 22 aber den Selbstversorgungsgrad der Landwirtschaft senken und ökologische Anreize stärker gewichten. Der Bauernverband wirft ihnen «schlechte Büez» vor. Weshalb hat der frühere Weinbauer Parmelin plötzlich so viel Mühe mit den Bauern?
(lacht). Ich habe keine Mühe mit den Bauern...

... aber die Bauern mit Ihnen!
Nein. Die Landwirtschaft ist vielfältig - und die Agrarpolitik hochkomplex: Wir haben Berg- und Biobauern, Getreidebauern, Fleischproduzenten – alle mit unterschiedlichen Interessen. Wir haben nun einen Kompromiss gefunden. Es ist eine Chance.

Es wirkt widersprüchlich, dass Sie nach Corona den Selbstversorgungsgrad senken wollen.
Schauen Sie: Die EU will bald ökologische Massnahmen umsetzen, die bei uns schon lange Standard sind. Wenn wir jetzt nichts tun, um an der Spitze zu bleiben, haben wir ein Problem. Wir müssen vorn bleiben. Wie können wir den Schweizer Konsumenten sonst erklären, dass sie für einheimische Lebensmittel mehr bezahlen müssen, obwohl die EU-Produkte bald die gleichen Standards erreichen? Hier setzt die neue Agrarpolitik an. Sie nützt den Bäuerinnen und Bauern.

«Die Bauern, die für unsere Ernährungssicherheit sorgen, können nicht einfach einen Hof an einem günstigen Standort im Ausland bauen.»

Im Lockdown kauften viele Leute in den Hofläden ein und kochten selber. Welche Lehren gibt es daraus für die Landwirtschaft?
Der Bevölkerung wurde vor Augen geführt, dass die Schweiz eine gut funktionierende Landwirtschaft hat – und eine solche unbedingt braucht! Aber wir sollten diese Erkenntnis nicht überschätzen: Sobald die Grenzen geöffnet waren, kauften die Leute rasch wieder in Deutschland oder Frankreich ein.

Hat Sie das enttäuscht?
Ich kann und will den Bürgern nicht vorschreiben, was sie essen und wo sie einkaufen sollen. Aber wir müssen schon sehen: Die Bauern, die für unsere Ernährungssicherheit sorgen, können nicht einfach einen Hof an einem günstigen Standort im Ausland bauen. Ihr Boden ist hier. Und hier müssen sie hohe Löhne bezahlen. Ich appelliere darum an die Bevölkerung, einheimische Produkte zu kaufen, unsere Landwirtschaft, aber auch den hiesigen Detailhandel zu unterstützen. Nicht nur, wenn die Grenzen zu sind. Alles hängt letztlich zusammen: Der Konsum, die Produktion, unser Lohnniveau insgesamt.

Ohne Corona wären Sie nach China gereist, auch um die Überarbeitung des Freihandelsabkommens voranzutreiben. Nun kündigt Aussenminister Cassis an, die Gangart gegenüber China aufgrund der Menschenrechtslage zu verschärfen. Stimmen Sie dem zu?
Das Aussendepartement bereitet derzeit eine Analyse zu den Beziehungen zwischen der Schweiz und China vor. Der Gesamtbundesrat wird noch darüber diskutieren.

Sie haben kein Interesse daran, dass sich die Beziehungen zu China verschlechtern.
China und die Schweiz haben beide ein grosses Interesse, die guten Beziehungen aufrecht zu erhalten. Die Investitionen Chinas in der Schweiz und die Investitionen von Schweizer Unternehmen in China sind hoch und unglaublich wichtig. Diese guten Beziehungen müssen wir pflegen. Wir führen mit China bereits einen Dialog über die Menschenrechte. Diesen müssen wir weiterführen.

Parmelin kam durch einen «Unfall» in die Politik
Der 60-jährige Guy Parmelin wurde Ende 2015 als Nachfolger für die abgetretene Eveline Widmer-Schlumpf (BDP, davor SVP) in den Bundesrat gewählt. Zuerst wurde Parmelin Verteidigungsminister, Anfang 2019 übernahm der Waadtländer SVPler das Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF). Parmelin wuchs als Bauernsohn in Bursins VD auf und absolvierte das Gymnasium in Lausanne mit Schwerpunkt Englisch und Latein. Später liess er sich zum Landwirt und Winzer ausbilden. Bis zu seiner Wahl in den Bundesrat führte er zusammen mit seinem Bruder den väterlichen Hof. Seinen Einstieg in die Politik bezeichnet Parmelin als «Unfall»: 1994 sprang er ein, weil sich eine Kandidatin zurückgezogen hatte, und wurde prompt in den Kantonsrat gewählt. Zehn Jahre später folgte die Wahl in den Nationalrat. (pmü)
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Guy Parmelin – Das ist der neue SVP-Bundesrat
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quelle: keystone / peter schneider
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