Schweiz
Was ich wirklich denke

Schwarzer Schweizer sagt, was er vom Mohrenkopf-Entscheid der Migros hält

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Was ich wirklich denke

Ein dunkelhäutiger Schweizer erzählt, was er vom «Mohrenkopf»-Entscheid der Migros hält

10.06.2020, 20:4112.06.2020, 05:59
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Was ist «Was ich wirklich denke»?
Was ist «Was ich wirklich denke»? Wir gestehen: Bei der Idee für «Was ich wirklich denke» haben wir uns schamlos beim Guardian-Blog «What I'm really thinking» bedient. Wir mussten fast, denn die Idee dahinter passt wie die Faust aufs Auge auf unseren alten Claim «news unfucked». Es geht darum, Menschen, Experten, Betroffene anonym zu einem Thema zu Wort kommen zu lassen, ohne dass diese dabei Repressalien befürchten müssen. Roh und ungefiltert. Und wenn du dich selber als Betroffener zu einem bestimmten Thema äussern willst, dann melde dich bitte unter wasichdenke@watson.ch.

Die Namen unserer Gesprächspartner sind frei erfunden.
  • Lukas ist halb Schweizer, halb Nigerianer und dunkelhäutig.
  • Lukas lebt bereits sein ganzes Leben in der Schweiz.
  • Dass die Migros die Dubler-«Mohrenköpfe» aus dem Regal nimmt, begrüsst Lukas.
  • Lukas ist watson-User und hat sich nach dem Entscheid bei uns gemeldet, worauf wir Kontakt mit ihm aufgenommen haben.

Ich finde es schon erstaunlich, wie viele Reaktionen der Entscheid der Migros ausgelöst hat. Alle wollen mitdiskutieren. Dabei können die meisten doch gar nicht nachvollziehen, wie es aus Sicht eines Betroffenen ist.

Als Kind hat mir das Wort «Mohrenkopf» immer einen Stich versetzt. Nicht nur, weil mich die Kinder auf dem Pausenhof immer wieder so nannten oder weil auf den Verpackungen so ein übertrieben dargestelltes Gesicht eines Schwarzen zu sehen war. Mit viel zu grossen Lippen und einem Ring in der Nase.

Es ist nämlich nicht so, als ob es nur das wäre. Es ist die Summe an Diskriminierungen, die einem permanent das Gefühl geben, weniger wert zu sein. Etwa das Spiel «Wer hat Angst vor dem schwarzen Mann?», das Lied «Zehn kleine Negerlein» und so weiter und so fort.

Das ist alles nicht unbedingt böse gemeint, aber wenn man das immer wieder mitbekommt als Dunkelhäutiger, dann hat man irgendwann einfach die Schnauze voll. Ich glaube, das ist mit ein Grund, weshalb so viele Leute jetzt auf die Strasse gehen.

Ich werfe den Leuten nicht vor, dass sie rassistisch sind, wenn sie «Mohrenkopf» sagen. Viele wissen vielleicht gar nicht, dass das Wort «Mohr» von den Kolonialisten benutzt wurde, die dunkelhäutige Menschen versklavten.

Wenn jetzt aber weisse Personen sagen, das Wort «Mohrenkopf» habe nichts mit Rassismus zu tun, dann ist das falsch. Das ist genau das «white privilege», von dem jetzt immer wieder die Rede ist.

Einer weissen Person versetzt es ja nie einen Stich ins Herz, wenn sie das Wort «Mohrenkopf» hört. Es kann doch nicht sein, dass sie uns sagen, wie wir uns fühlen sollen.

Es gibt sehr viele Leute, welche die «Black-Lives-Matter»-Bewegung, jetzt nach dem Tod von George Floyd, gut finden. Aber wenn es dann darum geht, «Mohrenköpfe» zu entfernen, dann regen sich alle auf. Dabei ist das doch gut so. Die Zeiten ändern sich, wir sagen ja auch nicht mehr «Neger».

Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, wenn sich gewisse Leute jetzt darüber Sorgen machen, dass Schweizer Traditionen verloren gehen. Aber bitte: Der Mohrenkopf ist jetzt nicht wirklich eine so grosse Schweizer Tradition. Da gibt es andere Traditionen, auf die wir wirklich stolz sein können.

Den Entscheid der Migros finde ich gut. Allerdings ist der Zeitpunkt nicht unbedingt super. Jetzt sieht es so aus, als ob die Migros auch noch auf den «Black-Lives-Matter»-Zug aufspringen will. Mir wäre es ehrlich gesagt lieber gewesen, sie hätten die «Mohrenköpfe» bereits früher stillschweigend aus dem Regal entfernt. Oder halt einfach umbenannt. Ich habe ja nichts gegen das Produkt an sich.

Aber immerhin scheinen die Proteste jetzt eine gewisse Wirkung zu entfalten. Ich hoffe einfach, dass die Leute so langsam ein Bewusstsein dafür entwickeln, was so Worte wie «Mohrenkopf» für die Betroffenen bedeuten.

(Aufgezeichnet von watson.ch)

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Was struktureller Rassismus ist und warum es ihn auch in der Schweiz gibt
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411 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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koalabear
10.06.2020 20:58registriert April 2016
Bei Angst vor em schwarzä Maa habe ich als Kind immer an den bösen weissen Mann gedacht, der total schwarz gekleidet war, so wie man sich als Kind einen Kidnapper vorgestellt hat. Ganz ehrlich, ich habs erst vor wenigen Jahren gecheckt, dass damit die Hautfarbe gemeint war.
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Lotus_
10.06.2020 21:04registriert Mai 2016
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Wahrlich eine ehrliche und nachempfindbare Meinung, danke! Spannend finde ich, wie sehr mich diese Meinung überrascht hat.

Ich bin selbst schwarz, habe nach meiner Ankunft in der Schweiz auch schon Rassismus erlebt - aber nur während mein Deutsch noch nicht die akzentfreie Zürischnurre war, die ich heute pflege ("Was, du bisch nöd i de Schwiiz gebore?"). Sogar in der Kaserne konnte ich mit bekennenden Neonazis bei einem (zwei, drei...) Träsch über die SS sorgenfrei diskutieren. Nie im Leben würde ich aber den Begriff "Mohrenkopf" mit der traurigen Herkunft des Wortes "Mohr" verbinden.
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Smeyers
10.06.2020 20:57registriert August 2017
Danke für den Bericht. Ob Mohrenkopf oder Negerküsse in Deutschland, wenn eine Umbenennung hilft, dann bin ich dafür. Was mir aber fehlt bzw. stört ist die fehlende Selbstkritik die sich in diesem Satz zeigt:

“...das Wort «Mohr» von den Kolonialisten benutzt wurde, die dunkelhäutige Menschen versklavten.”

Eins muss klargestellt werden, in Afrika haben sich die Stämme gegenseitig versklavt und einige konnten Ihre Sklaven gewinnbringend an den weißen Mann verkaufen. Auch dies ist Teil der Geschichte, auch wenn es nicht in das Bild von BLM passt.
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