1857: Bis zu diesem Jahr muss man in den Geschichtsbüchern zurückblättern, um in einem Wallis ohne konservative Regierungsmehrheit zu landen. Zehn Jahre nach ihrer Niederlage im Sonderbundskrieg verdrängten die Konservativen die Radikalen, die Vorläufer der heutigen FDP, in den damaligen Wahlen wieder von der Macht – und verteidigten sie seither mit Erfolg. Mochte sich die weite Welt noch so sehr verändert haben: Das Wallis blieb konservativ regiert.
Am Sonntag könnte diese historische Mehrheit verloren gehen. Die Ausgangslage vor dem zweiten Wahlgang für den fünfköpfigen Staatsrat ist kompliziert für die C-Parteien. So nennt man im Rhonekanton die politische Familie aus der CVP – im Wallis hat sich die Partei gegen die Umbenennung in «Die Mitte» ausgesprochen – und der Christlichsozialen Volkspartei Oberwallis (CSPO).
Die C-Parteien wollen ihre absolute Mehrheit mit einem Dreierticket verteidigen. Unbestritten ist die Wiederwahl ihrer bisherigen Staatsräte Roberto Schmidt (CSP) und Christophe Darbellay (CVP). Sie landeten bereits im ersten Wahlgang am 7. März mit deutlichem Vorsprung auf den Rest des Feldes auf den ersten beiden Plätzen. Hinter ihnen folgte SP-Kandidat Mathias Reynard auf dem dritten und der bisherige FDP-Staatsrat Frédéric Favre auf dem vierten Platz.
Eine Zitterpartie hingegen erwartet den neu antretenden und politisch bisher kaum in Erscheinung getretenen Serge Gaudin (CVP). Dieser landete zwar im ersten Wahlgang unter den ersten Fünf. Doch sein Vorsprung auf den sechstplatzierten SVP-Kandidaten Franz Ruppen betrug lediglich 718 Stimmen.
«Meine Wahlchancen sind intakt», sagt Franz Ruppen, Gemeindepräsident von Naters und SVP-Nationalrat. Im zweiten Wahlgang würden die Karten neu gemischt. Ruppen hofft, dank der massiven Unterstützung der deutschsprachigen Bevölkerung den zweiten Oberwalliser Sitz verteidigen zu können. Und spricht damit eine der Knacknüsse der C-Parteien an: Ihr Dreierticket könnte der deutschsprachigen Minderheit den traditionellen zweiten Staatsratssitz kosten.
Eine delikate Ausgangslage für die Konservativen, deren Wählerschaft zu etwa 40 Prozent aus dem Oberwallis kommt: «Die Oberwalliser Bevölkerung, auch die Basis der C-Parteien, wird sich stark für den zweiten Oberwalliser Sitz einsetzen», glaubt Ruppen.
Die Oberwalliser Sektionen der C-Parteien rufen neben dem eigenen Dreierticket denn auch zur Wahl Ruppens auf. Geht ihr Kalkül auf, so verpassen entweder FDP-Mann Favre oder Sozialdemokrat Reynard die Wahl.
Mit ihrem Festhalten an der absoluten Mehrheit versuche die CVP, Kräfte mit einem legitimen Anspruch von der Regierung auszuschliessen, kritisiert SP-Kandidat Mathias Reynard. Die C-Parteien haben bei den Grossratswahlen Anfang März erneut deutlich verloren. Sie halten noch 48 der 130 Sitze im Parlament, ihr Wähleranteil beträgt noch rund 35 Prozent. Eine Mehrheit im Staatsrat lasse sich damit längst nicht mehr rechtfertigen: «Völlerei ist Sünde», kommentiert Reynard den Machtanspruch der C-Parteien.
Parlaments- und Regierungswahlen seien zwei Paar Schuhe, erwidert CVP-Staatsrat Christophe Darbellay. «Staatsratswahlen sind Persönlichkeitswahlen, da werden keine Parteisoldaten gewählt», meint Darbellay. Die C-Parteien präsentierten eine starke Liste mit starken Persönlichkeiten. Nun liege es an den Wählern, die Zusammensetzung der Regierung zu bestimmen. Allen verschiedenen Ansprüchen gerecht zu werden – nach Sprachen, Regionen, Parteien – komme einer «Quadratur des Kreises» gleich.
Darbellay rechnet damit, dass die Oberwalliser Bevölkerung wie üblich «stark mobilisiert und diszipliniert» für zwei deutschsprachige Staatsräte an die Urne gehen werde. Für den Zusammenhalt des Kantons wären zwei Oberwalliser Staatsräte von Vorteil. Darbellay sagt:
Diese Analyse teilt SVP-Kandidat Franz Ruppen. Doch klar sei auch: «Wer gewählt wird, muss ein Staatsrat für den ganzen Kanton sein.» In den vergangenen Jahren habe sich das Oberwallis stärker nach Bern, das Unterwallis stärker nach der Genferseeregion hin orientiert: «Der Zusammenhalt zwischen den Sprachregionen ist herausgefordert», stellt Ruppen fest.
Sein Konkurrent Mathias Reynard von der SP pflichtet ihm bei. «Der Kanton war noch nie so gespalten wie heute», beobachtet er mit Sorge. Ober- und Unterwallis würden immer häufiger wie zwei verschiedene Halbkantone auftreten. Etwa bei Urnengängen, bei denen das Oberwallis immer konservativer, das Unterwallis immer progressiver abstimme. Für Ruppen wie für Reynard braucht es mehr Austausch zwischen den Sprachregionen und eine Förderung der Zweisprachigkeit in den Schulen.
Auch am 28. März 1857 war das Wallis ein gespaltener Kanton, als die konservativen Kräfte die Mehrheit in der Regierung eroberten. Sollte diese am Sonntag, exakt 164 Jahre später, verloren gehen, wäre das für Christophe Darbellay «sehr schmerzhaft». Doch das Wählerverdikt wäre zu akzeptieren: «Wir sind schliesslich immer noch Demokraten».
Ja, ja, als gebürtiger Aargauer sollte ich bei dem Thema die Schnauze halten, ich weiss. Aber uns ist das mindestens peinlich!
(Also, so ein paar von uns jedenfalls...)