Am kräftigsten zulegen kann weniger als zwei Monate vor den nationalen Wahlen 2019 die Grüne Partei. Gemäss dem jüngsten SRG-Wahlbarometer kommt sie auf einen Wähleranteil von 10.6 Prozent. Dies entspricht einem Plus von 3.4 Prozentpunkten. Damit legen die Grünen im Vergleich zum Wahlbarometer von Anfang Juni nochmals 0.2 Prozentpunkte zu. Sollte sich der Wert aus dem SRG-Wahlbarometer bei den Wahlen vom 20. Oktober bewahrheiten, wäre es das beste Wahlresultat, das die Grünen je in der Schweiz erzielt haben. Den bisherigen Bestwert erreichte die Partei bei den Wahlen 2007 mit 9.6 Prozent.
Auf Anfrage von watson sagt Grünen-Präsidentin Regula Rytz, dass die Umfrage den erfreulichen Trend aus den kantonalen Wahlen in Baselland, Luzern und Zürich im Frühjahr bestätige. Überall dort habe die Bevölkerung die grüne Klimapolitik gestärkt. «Aber wir wissen auch: Das ist nur eine Umfrage. Wir können uns jetzt nicht zurücklehnen deswegen. Die einzige Umfrage, die zählt, findet am 20. Oktober an den Wahlurnen statt», so Rytz.
Im Windschatten der Grünen gewinnen auch die Grünliberalen an Fahrt. Sie liegen derzeit bei 6.9 Prozent. und verbessern sich im Vergleich zum Juni um 0.5 Prozentpunkte. Auch die GLP würde damit ihr bestes Ergebnis der Geschichte erzielen. Dieses erreichten sie 2011 mit 5.4 Prozent. Sie steigern sich im Vergleich zum SRG-Wahlbarometer vom Juni um 0.5 Prozentpunkte.
Zusammen erreichen die beiden Parteien mit dem grün im Namen laut der Umfrage einen Wähleranteil von 17.5 Prozent. Das sind kombiniert mehr Wählende, als derzeit die FDP mit einem Wähleranteil von 16.7 Prozent erreicht.
In absoluten Zahlen am meisten Wähleranteil im Vergleich zu den letzten Wahlen von 2015 würde gemäss dem jüngsten SRG-Wahlbarometer die SVP verlieren. Mit einem Minus von aktuell 2.6 Punkten würde sie einen Wähleranteil von 26.8 Prozent erreichen.
Die SVP befindet sich gegenwärtig nicht in Bestform. Trotz erwarteter Verluste bleibt die Partei die mit Abstand stärkste Kraft und verliert gegenwärtig weniger als ein Zehntel ihrer Wählerschaft. Der Wähleranteil gemäss Umfrage ist vergleichbar mit ihren Ergebnissen von 2003 und 2011. Nur bei den Wahlen von 2007 und 2015 war sie noch besser.
Wenig Freude am SRG-Wahlbarometer dürfte die CVP haben. Laut der Umfrage würde sie hinter den Grünen landen und wäre nur noch fünftstärkste Partei. Die CVP weist aktuell ein Minus von 1.4 Prozentpunkten aus. Mit einem Wähleranteil von 10.2 Prozent würde sie zwar die symbolisch wichtige Zehn-Prozent-Hürde schaffen und wäre dennoch hinter den Grünen platziert.
Allerdings beziehen sich die hier abgebildeten Wähleranteile natürlich nur auf den Nationalrat. Mit ihren starken regionalen Hochburgen bleibt die CVP in der zweiten Kammer, dem Ständerat, auch nach den Wahlen voraussichtlich eine Macht, während die Grünen dort weiterhin nur eine marginale Rolle spielen dürften.
Ebenfalls im Minus landet gemäss dem SRG-Wahlbaromter die einstige Bundesratspartei BDP. Sie verliert in absoluten Zahlen zwar «nur» 1.5 Prozentpunkte. Diese Zahl entspricht jedoch mehr als einem Drittel ihrer Wählerschaft. Der Negativtrend hat sich letzthin verstärkt, im Vergleich zum Wahlbarometer vom Juni verliert sie nochmals 0.3 Prozentpunkte. Womöglich hat das schlechte Abschneiden der Mittepartei in den kantonalen Wahlen im Frühjahr das Vertrauen in deren Zukunftsfähigkeit bei einem Teil der Wählenden in Frage gestellt.
Insgesamt zeigt das Wahlbarometer zwei Parteien (GP, GLP) mit einem positiven Trend, der sich weiter verstärkt. Bei zwei Parteien (CVP, BDP) wird der Negativtrend stärker. Dazu kommen zwei Parteien (SP, FDP), die seitwärts tendieren und zugleich als vergleichsweise volatil erscheinen. Die SVP schliesslich hat sich im Minus stabilisiert.
Wenig Veränderung gibt es gemäss dem Wahlbarometer bei den beiden Bundesratsparteien SP und FDP. Die Sozialdemokraten kommen in der Umfrage auf einen Wähleranteil von 18.7 Prozent und liegen damit fast exakt auf dem Wert von 2015 (18.8 Prozent). Im Vergleich zum Juni-Wahlbarometer verliert die SP 0.4 Prozentpunkte.
Wie bereits erwähnt kommt die FDP in der Umfrage auf einen Wähleranteil von 16.7 Prozent. Damit liegt sie leicht über ihrem Wahlergebnis von 2015 (16.4 Prozent) und verbessert sich im Vergleich zur letzten Umfrage vom Juni um 0.5 Prozentpunkte.
Auch im neusten SRG Wahlbarometer zeigt sich insgesamt eine Verlagerung der Kräfteverhältnisse nach links. Weil die Grünen deutlich gewinnen und sich die Sozialdemokraten dennoch auf 18.7 Prozent halten können, legt das rotgrüne Lager aktuell 3.3 Punkte zu. SVP und FDP, die beiden Parteien rechts der Mitte, verlieren demgegenüber 2.3 Punkte.
Eine solche Verschiebung der Kräfteverhältnisse um wenige Prozentpunkte wäre in Parlamentswahlen im europäischen Umland Ausdruck von Stabilität. In der Schweiz kommen sie einem deutlichen Linksrutsch gleich. «Wir wollen wir die rechte Mehrheit im Parlament mit ihrer einseitigen Lobby- und Interessenspolitik kippen», sagt Regula Rytz, Parteichefin der Grünen, gegenüber watson. Das Ziel sei es, den Grünen im Parlament mehr Gewicht zu geben: «Dort werden in den nächsten Jahren die Entscheidungen über eine soziale Umwelt- und Klimapolitik gefällt. Und dafür sind wir Grünen der Motor.»
Die Mitte sortiert sich neu. Neben der BDP und der CVP, die deutlich verlieren, liegt auch die EVP leicht im Minus. In der Summe verlieren diese drei Parteien 3.2 Prozentpunkte. In der Mitte können einzig die Grünliberalen positive Umfragewerte (+2.3) vorweisen.
Dies zeigt, dass die Erosion der politischen Mitte im Schweizer Parteienspektrum, die sich im Jahr der «neuen Mitte» 2011 kurzzeitig ins Gegenteil verkehrte, offenbar weitergeht. Dazu passt, dass sich die gegenwärtig einzige Mittepartei im Trend, die GLP, an sich gar nicht als Mittepartei versteht, sondern sich am progressiv-liberalen Pol positioniert.
Stand heute treten sämtliche sieben Bundesräte im Dezember zur Wiederwahl an. Eine Abwahl von amtierenden Bundesräten ist in der Schweizer Geschichte eine absolute Ausnahme. Selbst wenn sich bei den Parteistärken deutliche Veränderungen ergeben sollten und die Grünen die CVP tatsächlich überholen sollten, wäre eine parteipolitische Veränderung im Bundesrat eine grosse Überraschung.
Schliesslich wird der Bundesrat von der 246-köpfigen Vereinigten Bundesversammlung aus National- und Ständerat gewählt und widerspiegelt in etwa die Fraktionsstärke in der Bundesversammlung. Und dort dürfte die CVP selbst bei deutlichen Zugewinnen von Grünen dank ihrer Stärke im Ständerat viertstärkste Kraft bleiben: «Ein Bundesratssitz ist für die Grünen weit entfernt», sagt der Politologe Michael Hermann gegenüber SRF.
Sollte bei einer Mehrheit der Parlamentarier dennoch die Überzeugung herrschen, dass die Grünen einen Anspruch auf einen Sitz im Bundesrat haben, würde dieser am ehesten auf Kosten der FDP gehen, sagt Hermann gegenüber SRF. Denn für ihren Einzug in die Landesregierung wären die Grünen auf die Stimmen aus der Mitte angewiesen. Und dort würde die CVP nicht für die Abwahl ihrer einzigen Bundesrätin Viola Amherd zur Verfügung stehen.
Auf die Auswirkungen eines Überholens der CVP durch die Grünen angesprochen gibt deren Parteichefin gegenüber watson zurückhaltend: «Welche Schlüsse wir aus dem Wahlergebnis für die Zusammensetzung des Bundesrats ziehen können, wird sich am Wahlabend zeigen», so Regula Rytz. Klar sei hingegen: «Wenn es zu grösseren Verschiebungen kommt, so sind alle Parteien dazu aufgerufen, die Zusammensetzung des Bundesrat entsprechend den Verhältnissen im Parlament zu diskutieren.»
Die Befragung für den jüngsten SRG-Wahlbarometer fand zwischen dem 19. und 25. August 2019 statt und erfolgte online. Die Rekrutierung der Befragten nach dem Opt-in-Prinzip fand über die Webportale der SRG SSR, und via das Online-Panel der Forschungsstelle Sotomo statt. Für die Auswertung wurden die Antworten von 17'128 Stimmberechtigten für die Auswertung verwendet. Die Verzerrungen in der Stichprobe wird mittels statistischer Gewichtungsverfahren nach räumlichen, soziodemografischen und politischen Faktoren entgegen gewirkt. Die Repräsentativität der Opt-In-Befragung dieser Befragung ist laut Sotomo vergleichbar mit einer Zufallsstichprobe mit einem Strichprobenfehler von +/-1.2 Prozentpunkten.
(cbe/fox/sda)