Die hauchdünne Mehrheit von SVP und FDP dürfte nach den eidgenössischen Wahlen Geschichte sein. Das liegt in erster Linie an der schwächelnden SVP, die unter der Klimadebatte leidet. Die wählerstärkste Partei würde gerne über das ungeliebte Rahmenabkommen mit der EU streiten.
Doch die Konkurrenten zeigen derzeit kein grosses Interesse an einer Europadebatte. Auch die Migration ist anders als vor vier Jahren kein dominierendes Thema.
Die jüngsten kantonalen Wahlen sind ein Indikator, wie sich diese Grosswetterlage auswirken könnte: Die SVP muss mit Sitzverlusten rechnen, die Grünen und die Grünliberalen dürften dazugewinnen. Die FDP, lange auf Erfolgskurs, hat an Schwung verloren. Der Niedergang der CVP scheint sich fortzusetzen, die BDP muss gar um ihre Fraktionsstärke bangen.
Die SP stagniert zwar derzeit bei den Umfragen (siehe Infobox unten). Trotzdem können die Sozialdemokraten im Idealfall mit Sitzgewinnen rechnen. Dies zeigt eine Auswertung von CH Media. Kantonsredaktionen, Korrespondenten sowie die Bundeshausredaktion haben für jeden Kanton die potenziellen Verluste und Gewinne pro Partei zusammengetragen.
Bei der Interpretation der Resultate ist Vorsicht geboten: Haben beispielsweise in einem Kanton sowohl die Grünen wie auch die SP Aussicht auf einen zusätzlichen Sitz, dann lassen sich daraus nicht zwei Sitzgewinne für das linke Lager herauslesen. Denn der Sitz dürfte entweder an die eine oder an die andere Partei gehen. Die Resultate in Kurzform:
65 Sitze hält die SVP heute im Nationalrat – noch nie seit der Einführung des Proporzwahlrechts besetzte eine Partei einen derart grossen Teil des Ratssaals. Doch Stand heute wird die Deputation wieder schrumpfen: Gleich 13 SVP-Sitze wackeln.
Unter Druck steht die Partei beispielsweise im Aargau, wo es sieben Mandate zu verteidigen gilt – und die SVP gleich vier langjährige Nationalräte ersetzen muss, wobei Luzi Stamm und Maximilian Reimann auf anderen Listen noch einmal antreten.
Zittern muss die SVP des Kantons Bern, dem ein Sitz weggenommen wird, oder auch die Sektionen in Graubünden, Luzern und St. Gallen. In der Romandie muss die SVP insbesondere um ihren Sitz in Neuenburg bangen. In Zürich könnte die Sünneli-Partei im äussersten Fall gleich zwei Sitze einbüssen. Dafür winkt der Gewinn des einzigen Obwaldner Sitzes. In Appenzell-Innerrhoden könnte die SVP von der Uneinigkeit innerhalb der CVP profitieren.
Ein minimales Plus beim Wähleranteil, aber drei Sitzverluste: Das war die Bilanz der SP bei den Wahlen vor vier Jahren. Die Chancen sind intakt, dass die Sozialdemokraten die verlorenen Mandate im Herbst zurückholen können. Möglich scheint etwa ein Sitzgewinn im Wallis auf Kosten der C-Parteien. Allerdings haben dort auch die Grünen gute Chancen.
Aussichten auf einen zusätzlichen Nationalrat hat die SP auch im Kanton Waadt, wo im Vergleich zu 2015 ein Sitz mehr zu vergeben ist und wo Gewerkschaftsbund-Präsident Pierre-Yves Maillard ein Comeback in Bundesbern anstrebt.
Im Aargau könnte der Versuch, den vor vier Jahren verlorenen dritten Sitz zurückzugewinnen, erfolgreich sein. Auf der Kippe steht der Sitz in Solothurn.
2015 konnte der Freisinn seinen jahrelangen Niedergang stoppen und erstmals seit 1979 wieder Wähleranteile gewinnen. Zusammen mit der SVP verfügt die FDP derzeit über eine theoretische Mehrheit von 101 Sitzen im Nationalrat. Die Klimadebatte zeigte aber zuletzt besonders deutlich den tiefen Graben zwischen den beiden Parteien auf.
Und sie bremste den guten Lauf der FDP, die sich erst spät zu einer handfesten Klimapolitik bekannte. In Umfragen liegt die Partei in etwa auf dem Niveau von 2015, grosse Verschiebungen sind nicht zu erwarten. Chancen auf einen Sitzgewinn bestehen im Kanton Uri, wo der einzige Nationalratssitz neu vergeben wird und das Rennen deshalb offen ist.
Zu kämpfen haben wird die FDP in Genf, wo die Partei unter der Affäre rund um ihren ehemaligen Bundesratskandidaten und Regierungsrat Pierre Maudet leidet. Delikat ist die Lage zudem im Kanton Zug, wo die FDP keinen klingenden Namen für die Nachfolge von Bruno Pezzatti präsentieren kann.
Anders als die FDP konnte die CVP die Abwärtsspirale bislang nicht aufhalten, sie droht beim Wähleranteil hinter die Grünen zurückzufallen. Mehr als ein Drittel der heute 27 Sitze sind gefährdet. In Luzern mussten die Christlichdemokraten bei den kantonalen Wahlen Ende März empfindliche Verluste hinnehmen, der dritte Nationalratssitz ist bedroht – zumal im Kanton ein Mandat weniger zu vergeben ist.
Die Nordkorea-Reise des Waadtländer Nationalrats Claude Béglé hat nicht dazu beigetragen, den dortigen Wackelsitz zu festigen. In der C-Hochburg Wallis droht der Partei ebenfalls ein Sitzverlust. Die heutigen Amtsinhaber sind noch nicht lange in Bundesbern und mit Viola Amherd sitzt die bekannteste Vertreterin inzwischen im Bundesrat.
In Freiburg muss die CVP um den Sitz von Dominique de Buman zittern, der sich nach 16 Jahren aus dem Nationalrat verabschiedet. Intakte Chancen auf einen zusätzlichen Sitz hat die CVP in Uri.
Die Grünen sind im Hoch. Ein Ergebnis wie 2007, als die Partei 20 Sitze ergatterte, liegt in der Luft. Das wäre nahezu eine Verdoppelung gegenüber den 11 Sitzen von heute. In Zürich, wo die Partei bei den kantonalen Wahlen im Frühling stark zulegen konnte, ist ein Sitzgewinn wahrscheinlich.
Gute Aussichten hat die derzeit fünftgrösste Partei zudem in Genf und St. Gallen, wo die vor vier Jahren abgewählte Yvonne Gilli wieder antritt. Möglich sind grüne Sitzgewinne zudem unter anderem in den Kantonen Solothurn, Thurgau und Waadt. Um ihre Wiederwahl bangen muss dafür die Basler Nationalrätin Sibel Arslan, die 2015 den Sprung nach Bern nur mit einem hauchdünnen Vorsprung schaffte.
Von der Hochkonjunktur grüner Themen profitiert derzeit auch die zweite Partei, die grün im Namen trägt. Die Grünliberalen können mit bis zu sechs zusätzlichen Sitzen rechnen, womit sie etwa auf dem Stand von 2011 wären. Damals gewann die GLP die Hälfte der Sitze dank Listenverbindungen.
Genau diese Verbindungen sind es auch, die Wahlprognosen zusätzlich erschweren. Sagen lässt sich aber, dass die GLP unter anderem in den Kantonen St. Gallen, Thurgau und Luzern reelle Chancen auf einen Nationalratssitz hat. In diesen Kantonen wurde vor vier Jahren der GLP-Vertreter abgewählt. Auf einen Sitzgewinn hoffen können die Grünliberalen zudem in ihrer Hochburg Zürich.
In die andere Richtung zeigt die Tendenz bei der anderen kleinen Mittepartei. Zugewinne liegen für die BDP ausser Reichweite. Die Partei kann ihren Wahlkampf deshalb auf jene fünf Kantone konzentrieren, in denen sie einen Sitz zu verteidigen hat.
Am schwierigsten dürfte dieses Unterfangen in den Kantonen Aargau, Graubünden und Zürich werden. Im Fall von drei Sitzverlusten hätte die BDP neu nur noch vier Sitze und würde damit keine Fraktionsstärke mehr aufweisen. Immerhin: Parteipräsident Martin Landolt sollte in Glarus die Wiederwahl schaffen.
Holt euch den Sitz den ihr bei eurem Aussetzer in den Wahlen 2015 an einen Tsüri-Expat verscherbelt habt bitte wieder zurück ins schöne Bündnerland.
Wählt eure Steinböcke Gian und Giachen, falls ihr bei euch keine fähigen Köpfe findet, denn alles ist besser als dies jetzt und dann wir auch alles wird wieder gut.
Die Schweiz vertraut euch.
Die Schweiz liebt euch.