Beim Fliegen brechen die Schweizer Rekorde. Jährlich legt hierzulande jede Person 9000 Kilometer mit dem Flugzeug zurück. Das entspricht ungefähr der Luftlinie nach Thailand. Verglichen mit unseren Nachbarländern Deutschland, Österreich, Frankreich und Italien fliegen die Schweizer doppelt so häufig – und belasten dabei das Klima entsprechend mehr.
Die Folgen: Immer mehr Treibhausgas gerät in die
Atmosphäre, es wird wärmer, die Pole schmelzen, Küsten versinken
im Meer. Wer
nun trotzdem ins Flugzeug steigen und der Umwelt etwas Gutes tun
will, kann den CO2-Ausstoss mittels einer Spende kompensieren. Dafür
gibt es inzwischen diverse Kompensationsagenturen, die den
CO2-Verbrauch des Fluges errechnen und einen zu bezahlenden Betrag
festlegen, der in ein nachhaltiges Projekt investiert werden
kann.
Doch wie wirkungsvoll sind diese Reduktionsbeiträge wirklich?
Einer der grössten Schweizer Anbieter von solchen Kompensationsmassnahmen ist die Stiftung «Myclimate». Über deren Webseite lässt sich errechnen, dass beispielsweise bei einem Flug von Zürich nach Mallorca und wieder zurück pro Person 452 Kilogramm CO2 ausgestossen werden.
Mit einer Spende von 13 Franken kann dieser Ausstoss kompensiert werden, indem dieselbe Menge an CO2 auf einem anderen Teil der Welt reduziert wird.
Laut Kai Landwehr, Mediensprecher von «Myclimate», steigt die Nachfrage nach Kompensationsmöglichkeiten kontinuierlich. Im Jahr 2017 hätten mehr Privatpersonen den Umrechner auf der Webseite genutzt als noch im Vorjahr. Insgesamt konnten so 19'000 Tonnen CO2-Emissionen kompensiert werden. Im Jahr 2016 waren es noch 14'000 Tonnen und im Jahr 2015 11'000 Tonnen.
Auch finanziell verzeichnet «Myclimate» ein Wachstum. Landwehr sagt, 2017 seien über den Webrechner gut eine Million Franken Spendengelder zusammengekommen. Im Vorjahr seien es etwas mehr als 800'000 Franken gewesen und 2015 noch 600'000 Franken.
Trotzdem: Die allerwenigsten Schweizer investieren in solche Kompensationsmassnahmen. Die SRF-Sendung 10vor10 berechnete kürzlich, dass gerade einmal ein Prozent aller Schweizer Flugpassagiere ihre CO2-Emissionen über Spendengelder ausgleichen.
Laut Landwehr fliessen mindestens 80 Prozent der Spenden in Projekte, welche vor Ort die CO2-Emissionen reduzieren. Unter anderem wird in die Herstellung und Verbreitung von klimafreundlichen Solarkocher auf Madagaskar investiert oder in Aufforstungsprojekte in Nicaragua.
Konkret heisst das: Mit dem verbreiteten Einsatz von Solarkochern wird der Abholzung entgegengewirkt. Denn diese benötigen kein Feuerholz, um eingeheizt zu werden. Die lokale Bevölkerung profitiert doppelt, da sie das Geld für Feuerholz einsparen können und nicht mehr dem schädlichen Rauch von der Kochstelle ausgesetzt sind. Ausserdem werden pro verkauftem Kocher zwei Baumsetzlinge gepflanzt. Jährlich werden laut «Myclimate» mit dem Projekt 269'621 Tonnen CO2 eingespart.
Um beim Beispiel mit dem Hin- und Rückflug nach Mallorca zu bleiben: 452 Kilogramm CO2 gelangen dabei pro Person in die Luft. Mit einer 13-Franken-Spende werden in Madagaskar dann so viele Solarkocher finanziert, die es braucht, um genau diese 452 Kilogramm CO2-Emissionen wieder einzusparen.
Hier gehen die Meinungen auseinander. Christoph Meili, Projektleiter bei ESU-Services, ein auf Ökobilanzen spezialisiertes Unternehmen, findet: «Es ist ein Tropfen auf den heissen Stein.» Viel besser seien Ferien in der Schweiz oder, ohne Flugreise, im nahen Ausland. So müsste der CO2-Ausstoss nicht kompensiert werden, sondern würde gleich ganz eingespart.
Probleme würden mit solchen Kompensations-Abgaben nicht gelöst, so Meili. Im Gegenteil. Es könne sogar zu einem Rebound-Effekt führen. «Wer denkt, die CO2-Emissionen lassen sich einfach kompensieren, der fliegt vielleicht umso mehr», sagt er. Ein Stück weit empfinde er solche Kompensations-Abgaben als eine Art Ablasshandel, um das schlechte Gewissen zu erleichtern.
Auch dass mit den Reduktionsbeiträgen günstige, einfach umsetzbare Projekte in der dritten Welt unterstützt werden, empfindet er als etwas zynisch. Meili sagt: «Anstatt dass dort kompensiert wird, wo die Emissionen verursacht werden, nämlich in der Schweiz, wird das in jene Länder ausgelagert, die ausgerechnet am meisten unter unserem hohen Konsum leiden.» Dass diese Länder finanziell unterstützt würden, sei zwar nichts als gerecht. «Aber dass sich unsere Politik, Wirtschaft und Bevölkerung mittels solcher Kompensationsmöglichkeiten aus der Verantwortung stehlen möchte, führt nur zu einer Problemverlagerung und verzögertem Handeln.»
«Myclimate»-Sprecher Landwehr kennt diese Zweifel. Allerdings werde ja gerade hier in der Schweiz viel geflogen. Die Kompensation sei darum aktuell das einzige Instrument, um den entstehenden Umweltschaden aufzufangen. «Wer aus beruflichen oder privaten Gründen nicht aufs Fliegen verzichten will, kann mit Hilfe einer Kompensation Verantwortung für diesen Entscheid übernehmen».
Darüber diskutiert die Schweizer Politik immer wieder. In den meisten anderen europäischen Ländern ist dies längst die Praxis. Beim Kauf eines Flugtickets wird eine staatliche Steuer auf den Preis gepackt.
In der Schweiz ist aktuell eine Motion von GLP-Präsident Jürg Grossen im Parlament hängig. Er will Lenkungsabgaben oder Gebühren auf die Flugtickets erheben, welche dann für Massnahmen zur Verbesserung des Umweltschutzes verwendet würden.
Auch Meili von ESU-Services findet die Freiwilligkeit bei Projekten wie «Myclimate» schwierig: «Mit 50 Franken an den Kauf eines Solarkochers auf Madagaskar zu spenden, liegt noch drin. Für den dreifachen Betrag in die Förderung von Wasserkraft investieren, wollen die wenigsten freiwillig.» Darum befürwortet auch er die Einführung einer fixen Lenkungsabgabe, die der gesamten Bevölkerung in Form von einer Steuererleichterung zurückbezahlt wird oder in konkrete Anpassungsmassnahmen an den Klimawandel, in der Schweiz investiert wird.