Im Gemeindezentrum Pöschen in Schwarzenburg BE nimmt 2007 alles seinen Anfang: Der damalige Bundesrat Christoph Blocher wettert in seiner 1.-August-Rede gegen die «Vögte», welche «die Macht an sich reissen wollen» – und lanciert damit die Debatte über das Völkerrecht.
In den darauffolgenden Jahren bespielt die Volkspartei polemisch den Pathos um die «fremden Vögte» und lanciert schliesslich die Selbstbestimmungs-Initiative (SBI). Diese verlangt, dass die Bundesverfassung über dem internationalen Völkerrecht steht – ausser bei zwingenden Bestimmungen wie dem Folterverbot.
Elf Jahre nach Blochers Rede steht nun die Abstimmung vor der Tür. Und die SVP zeigt sich plötzlich lammfromm. Statt schwarzen Schafen oder schwarzen Händen, die nach Schweizer Pässen greifen, geht die SVP mit einer braven Kampagne auf Stimmenfang – und das erst noch im CVP-Orange. Auf banalen Sujets hält eine Frau ein Ja-Schild, daneben stehen die Slogans «Zur direkten Demokratie. Zur Selbstbestimmung.» Nicht einmal das SVP-Sünneli ist zu sehen.
Die visuelle Neuorientierung der SVP ist für Lukas Golder, Kampagnenexperte und Co-Leiter von GFS Bern, eine «echte Überraschung». Für ihn ist die neue Kampagne kein Versuchsballon, sondern vielmehr ein «Relaunch» der SVP-Strategie. Und ein eindeutiger Fingerzeig einer strategischen Neuausrichtung im Hinblick auf die eidgenössischen Wahlen 2019.
«Der alte SVP-Stil war zu giftig, zu durchschaubar», so Golder. Mit der neuen Bildsprache ziele die Partei insbesondere auf Mitte-Wähler. Denn ohne die ist ein Ja bei der SBI-Initiative undenkbar.
Nach den Wahlniederlagen in Bern und Zürich sowie der Schlappe bei der Durchsetzungsinitiative sei Bewegung in die Partei gekommen. Sie müsse sich neu orientieren. «Die Emotionalisierung der Wähler funktioniert nicht mehr so einfach wie früher», so Golder. Ganz ohne Risiko sei der Spagat mit der neuen Strategie aber nicht. «Es besteht die Gefahr, die rechte Flanke der Partei zu vernachlässigen».
Für den neuen Auftritt ist neben Parteipräsident Albert Rösti SVP-Nationalrat Thomas Matter verantwortlich. Warum kommt die Volkspartei plötzlich so zahm daher? «Wir wollen einen sachlichen Abstimmungskampf führen. Es ist keine aggressive Kampagne nötig wie bei anderen Abstimmungen», so Matter.
Denn es gehe nicht um eine Frage von links oder rechts, sondern um eine staatspolitsche Grundsatzfrage. «Wer hat in der Schweiz das Sagen: Die Schweizer Bürger oder internationale Richter und Organisationen». Darum gelte es auch, mit der sachlichen Herangehensweise den «Anti-SVP-Reflex» zu vermeiden.
Wie kommt der neue Stil bei der SVP-Basis an? Man habe mehrheitlich positive Reaktionen erhalten, so Matter weiter. «Es gab aber auch Rückmeldungen, dass die Kampagne zu anständig sei.»
Kann die SVP mit der moderaten Kampagne die SBI-Abstimmung gewinnen? Der Politologe Louis Perron ist skeptisch. «Die SVP ist zwar Schweizermeister im Mobilisieren des eigenen Potentials. Aber das Thema Völkerrecht ist nicht besonders knackig und brennt den Wählern weniger unter den Nägeln als Ausländerthemen.» Wenn die SVP auch nur in die Nähe eines Abstimmungssieges kommen wolle, sei die gemässigte Tonalität in der Kampagne wohl unumgänglich.
Lukas Golder ist da schon optimistischer. «Mit dieser Kampagne hat die SVP intakte Chancen, die SBI durchzubringen.»
Mit Christoph Blocher hat die SVP sowieso noch ein Ass im Ärmel. Der Übervater ist Ende September aus seinen Italien-Ferien zurückgekehrt und bereitet sich auf den Abstimmungskampf vor. Im Interview mit der Sonntagszeitung erklärte er in gewohnter Blocher-Manier: «Für Gefechte im Interesse der Selbstbestimmung der Schweiz gibt es keine Ruhezeit.»