Es gebe nichts zu beschönigen, schreibt das Schulamt der Stadt St.Gallen auf erneutes Nachhaken zu einem umstrittenen Arbeitsblatt. Die Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule Blumenau sollten mit dem Papier zum Thema Abtreibung aufgeklärt werden. Stattdessen wird ihnen der Schwangerschaftsabbruch als Verbrechen grösser noch als das Morden der Nazis präsentiert. Ein fiktiver Fötus bettelt in einem Brief ums Überleben.
Derlei Lehrmittel seien an einer öffentlichen Schule weder erwünscht noch mit dem Lehrplan vereinbar, sagte das städtische Schulamt in einer ersten Reaktion. Sie liess offen, wie das Material in den Unterricht einer 3. Sekundarklasse an der Oberstufe Blumenau gelangte.
Nun ist klar: Die Unterlagen stammten von einer jungen Lehrerin. Sie hatte die Arbeitsblätter kurz zuvor auf der einer Austauschplattform des Lehrerkollegiums abgelegt und mit dem Kennzeichen der Schule versehen. Gemäss Titelkopf geht es um Unterrichtsmaterial im Fach Biologie. Das städtische Schulamt nimmt die junge Lehrerin aus der Verantwortung:
Das schreibt Marlis Angehrn, Leiterin der städtischen Dienststelle für Schule und Musik in einer Stellungnahme.
Das Lehrmaterial stammt demnach noch aus der Studienzeit der Lehrerin. Sie hat es ihrerseits während eines Praktikums erhalten. «Dass ein Praktikumsleiter Studierenden solches Material als geeignet anpreist, erfordert unsere Kontaktaufnahme mit den entsprechenden Stellen», heisst es weiter. Um welche Schule es sich handelt, will Marlis Angehrn allerdings nicht preisgeben. Nur so viel: Es handle sich um eine Schule im Kanton.
Auch an der pädagogischen Hochschule St.Gallen gibt man die Verantwortung weiter: Die Schule pflege die Zusammenarbeit mit über 600 externen Praktikumslehrpersonen, die diese Aufgabe zusätzlich zu ihrer Haupttätigkeit wahrnehmen, sagt Prorektor Martin Annen, der vom aktuellen Fall keine Kenntnis hat. Mit diesen Lehrpersonen pflegt die PHSG kein Anstellungsverhältnis, vielmehr sind sie den Schulgemeinden unterstellt. «Das Qualitätsmanagement unterliegt der jeweiligen Schulleitung», sagt er. Und:
Man gehe allerdings davon aus, dass die Lehrkräfte der Verantwortung ihres Berufs nachkommen. Wenn immer möglich sollten zudem offizielle Lehrmittel verwendet werden. Solche fehlen im Sexualkundeunterricht. «Die Lehrerinnen und Lehrer thematisieren die sensiblen Inhalte mit der nötigen Sorgfalt und Professionalität», schreibt das kantonale Amt für Volksschule dazu einzig.
Lehrpersonen, die Studentinnen und Studenten der PHSG betreuen, absolvieren eine obligatorische Aus- und Weiterbildung. Ein fünftägiger Kurs geht der Aufgabe voraus, pro Praktikum steht zudem ein Tag Weiterbildung an. Mit dieser Ausbildung sei die PHSG schweizweit führend, sagt Annen. Nebst der externen Lehrperson steht den Praktikanten ein interner Mentor zur Seite. In einem Vor- und Nachgespräch hätten die angehenden Lehrerinnen und Lehrer die Möglichkeit, sich zu melden, falls sie mit unangemessenem Unterrichtsstoff konfrontiert werden. Zudem besucht sie der Mentor während des Praktikums vor Ort.
Dem Thema Sexualpädagogik widmet die Hochschule überdies eine obligatorische Vertiefungswoche unter der Leitung von Prisca Walliser, Dozentin für Sexualpädagogik. «Das Thema Sexualität und Aufklärung bleibt ein Thema von Werten und Normen», sagt sie gegenüber dieser Zeitung. «Es ist wichtig, dass künftige Lehrpersonen sich bewusst sind, wo sie selber stehen.» Sensibilisierung und Selbstreflexion stehen laut Walliser im Zentrum des obligatorischen Unterrichts.
Im vorliegenden Fall hat diese Selbstreflexion offenbar versagt. Stattdessen fand eine erzkonservative Grundhaltung Eingang in den Biologieunterricht. Der abgedruckte «Brief vom Himmel», in dem das ungeborene Kind auf «Jesu Schoss» sitzt, ist in einschlägigen Netzwerken kein Novum. Auch die Pro-Life-Bewegung bedient sich einer ähnlichen Rhetorik, wobei das aktuelle Beispiel selbst Abtreibungsgegner abschreckt.
«Persönliche Glaubenshaltungen gehören nicht ins Schulzimmer», stellt Schulamtsleiterin Marlis Angehrn klar. Und ergänzt:
Die Konsequenzen bleiben mild. Die Lehrerin sei auf den Fehler aufmerksam gemacht und das Material von der Austauschplattform entfernt worden. Auf die Kritik einer Mutter habe die Lehrperson reagiert, die Unterlagen im Unterricht kritisch diskutiert und die Klasse auf die «nicht beabsichtigte Wirkung» angesprochen. Ein internes Kontrollorgan gebe es nicht: Die wirksamste Kontrolle finde unter Kollegen statt.
Welche Folgen der Fall für die Lehrperson hat, die das Material in Umlauf brachte, ist offen. Da Prorektor Martin Annen den aktuellen Fall nicht kennt, will er sich zu den möglichen Konsequenzen nicht äussern. Genüge eine Praktikumslehrperson den Anforderungen nicht mehr, sei es möglich, dass sie von dieser Aufgabe ausgeschlossen werde. «Einer solchen Massnahme gehen jedoch immer Gespräche mit den verantwortlichen Beteiligten voraus.»
es ist mittlerweile kein geheimnis mehr, dass sich anhänger von freikirchen für den lehrberuf ausbilden lassen um danach ungehindert indoktrinieren zu können. wir leben in einer säkularen gesellschaft und dürfen nicht zulassen, dass diese von fundamentalisten unterwandert wird.