Es ist kompliziert. So lässt sich der Beziehungsstatus zwischen der Schweiz und der EU ziemlich treffend beschreiben. Oder, wie es Lukas Wegmüller, Generalsekretär der Neuen Europäischen Bewegung Schweiz (Nebs), in der jüngsten «Arena» sagt: «Die Beziehung zwischen der Schweiz und der EU ist wie ein zehnjähriges Auto. Es fährt nicht mehr so gut und die Bremsen sind etwas defekt. Mit einem Rahmenabkommen könnte man mit dem Auto in die Garage.»
Doch in die Garage wollen nicht alle. Sträuben tun sich allen voran die SVP. Das weiss auch Wegmüller: «Die SVP will das Auto lieber verkaufen und sich eine Kutsche zulegen.»
Auf die Analogie von Wegmüller reagiert Lukas Reimann, Präsident der Auns und SVP-Nationalrat, nur mit einem müden Lächeln: «Manchmal ist ein solider Oldtimer immer noch besser als ein topmodernes, selbstfahrendes Auto, das bei der nächsten Verzweigung einen Unfall baut.» Reimann und mit ihm die SVP, halten also nicht viel von Tesla und Co. – und ebensowenig vom institutionellen Rahmenabkommen.
Als «Marketingtrick» beschimpft Reimann die Idee eines Schiedsgericht, das bei der Beilegung von Rechtsstreitigkeiten zwischen der Schweiz und der EU helfen soll. «Da wird das Schweizer Volk hinters Licht geführt und seiner Souveränität beraubt», so der Nationalrat. Die SVP möchte der Autogarage am liebsten den Stecker ziehen. Denn im Dunkeln lässt es sich kaum verhandeln.
Einer, der ebenfalls erstaunlich wenig Kompromissbereitschaft zeigt, ist Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes SGB. Bei Verhandlungen über die flankierenden Massnahmen, die die Lohn- und Arbeitsbedingungen in der Schweiz regeln, stösst man bei Lampart auf Granit. «Wenn wir den Lohnschutz preisgeben, dann schadet das uns nur. Sollen sie doch über das institutionelle Rahmenabkommen verhandeln, das ist doch mir egal. Wir müssen einfach schauen, dass es unseren Leuten nützt und nicht schadet.»
Für einen kurzen Moment könnte man fast meinen, Lampart und Reimann, SVP und Gewerkschaftsbund, hätten sich verbrüdert. Das fällt auch Arena-Moderator Projer auf, der an Lampart gewandt meint: «Jetzt wissen Sie, warum Sie neben Herrn Reimann stehen. Sie wollen auch nicht verhandeln.»
Das lässt der Chefökonom natürlich nicht auf sich sitzen und witzelt mit dem Zeigefinger auf Reimann gerichtet: «Ich habe nichts mit ihm zu tun. Die sind für Lohndumping.»
Vielleicht war es Projers spitze Bemerkung, vielleicht trügte der Schein der Brüderlichtkeit tatsächlich: Aber die Harmonie zwischen den beiden verpuffte so schnell, wie sie gekommen war. Nach zwanzig Minuten befinden sich Lampart und Reimann bereits wieder im offenen Schlagabtausch.
Während Lampart keinen Zentimeter von den flankierenden Massnahmen abweichen würde, sind diese für Reimann nur die Konsequenz der Personenfreizügigkeit und der «unbegrenzten Einwanderung» in die Schweiz. Und Erstere ist der SVP sowieso schon lange ein Dorn im Auge. Darum sammelt sie seit Anfang dieses Jahres Unterschriften für die Begrenzungsinitiative, die zum Ziel hat, das Abkommen über die Personenfreizügigkeit mit der EU zu kippen.
Doch die Konsequenzen, die eine solche Kündigung nach sich ziehen würde, wären enorm. Dem sind sich alle anderen Arena-Gäste einig. Denn würde die Personenfreizügigkeit gekündigt, wären alle anderen mit der EU abgeschlossenen Verträge im Paket der Bilateralen I auch ausser Kraft gesetzt. Schuld daran ist die Guillotine-Klausel.
Aber weder Lampart noch die beiden anderen Gäste, BDP-Präsident Martin Landolt und Heinz Karrer, Präsident der Economiesuisse, können den SVP-Nationalrat umstimmen. «Das Rahmenabkommen wäre ein riesiger Mehrwert zur heutigen Situation, Herr Reimann», versucht es Karrer. Denn die Schweiz wäre, so der Economiesuisse-Präsident, mit einem Rahmenabkommen in einer viel besseren Verhandlungssituation und könnte gewisse Verträge auch ablehnen, ohne die Gefahr, dass alle anderen auch gleich bachab gingen.
Aber Reimann winkt ab: «Das ist einfach ein fieser Trick, um die Schweizer Bürger auf die EU-Schiene zu locken.» Er ist sich sicher: Eine Kündigung der bilateralen Verträge mit der EU würde der Schweiz nur gut tun. Und er lässt sich auch nicht von Studiogast und EU-Befürworter Wegmüller verunsichern, der ihm garantiert: «Wenn das Volk die Personenfreizügigkeit tatsächlich kündigen will und die Initiative angenommen wird, dann werden die EU-Befürworter explodieren.» Denn erst dann, ist sich Wegmüller sicher, realisieren die Schweizer, wie wichtig eine gute Beziehung zu der EU tatsächlich ist.
Auch wenn es am Schluss gar drei gegen Lukas Reimann waren: So wirklich überzeugen konnten Lampart, Karrer, Landolt und Co. nicht. Das liegt vor allem an der Materie. Denn die Beziehung zwischen der EU und der Schweiz ist nicht nur kompliziert, sondern auch sehr, sehr komplex. Und sie bringt nicht nur Laien ins Schwitzen. Auch die Politiker der «Arena»-Runde waren immer wieder froh, konnten sie auf die Unterstützung einer Expertin zählen. Christa Tobler, Professorin für Europarecht an der Universität Basel, klärte und erklärte souverän jegliche Wissenslücke der illustren Gäste.
Wäre die Beziehung zwischen der Schweiz und der EU tatsächlich ein zehnjähriges Auto und das Rahmenabkommen die Reparatur in der Autogarage, dann wäre Christa Tobler ganz sicher die Automechanikerin, die genau wüsste, wo die richtigen Schrauben wieder angezogen werden müssten, um den Motor wieder auf Vordermann zu bringen.