Patrick Lengwiler (41) ist seit 2012 CEO des EV Zug. Er machte den Klub zum Wirtschaftsunternehmen und gilt als wichtige Stimme im Eishockey.
Wie dramatisch ist die Situation der Eishockeyklubs?
Patrick Lengwiler: Die Sport-, Event- und Kulturbranche mit Veranstaltungen über 1000 Zuschauern kann mit der 1000er-Regel nicht überleben. Die Wirtschaftlichkeit ist nicht gegeben.
Was würde es für den EV Zug bedeuten, wenn bis Ende Jahr nur 1000 Zuschauer erlaubt wären?
Dann fragt sich, ob die Meisterschaft ab Januar beginnen kann. Zuschauer, Sponsoren und Gastronomie an den Heimspielen machen für uns heute 80 Prozent der Einnahmen aus. Jedes Spiel ohne Zuschauer kostet uns 600'000 Franken, jedes Spiel mit 1000 Zuschauern etwa 500'000 Franken.
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Gäbe es im Eishockey Konkurse?
Das ist sehr wohl möglich. Beim EVZ ist nicht die Liquidität das Problem. Saisonkartenbesitzer und Sponsoren blieben zum grossen Teil an Bord. Das Geld ist also auf dem Konto, möglicherweise können wir dafür aber keine Leistung erbringen. Dann müssen wird dies zurückzahlen und sind überschuldet.
Was ist, wenn die 1000er-Regel bis am 31. März besteht?
Dann gibt es gar keine Eishockeysaison. Kein Klub überlebt es, wenn er eine ganze Saison mit nur 1000 Zuschauern spielen muss.
Die Klubs gingen in Konkurs?
Entscheidend ist: Gäbe es dann Bundesgelder à fonds perdu, damit die Klubs nach der Krise wieder aufstarten könnten? Wenn nicht, wäre der Spitzensport tot.
Wie viel Bundesgeld à fonds perdu würde ein Klub benötigen?
Das dürften im Schnitt zwischen 10 bis 15 Millionen Franken sein.
Die Bossard-Arena hat 7200 Plätze, davon 4500 Sitzplätze. Wie sieht das Schutzkonzept des EVZ aus?
Die Eishockey-Liga gibt die Stossrichtung für die Schweiz vor: Jeder im Stadion muss eine Maske tragen, es gibt keine Stehplätze und keine Gästefans.
Was heisst das für den EVZ?
Wir würden unsere 2400 Stehplätze in etwa 850 Sitzplätze umfunktionieren und kämen damit auf eine Gesamtkapazität von 5700 Zuschauern.
Und wie viele wären in der Arena?
Unser Schutzkonzept besagt: Alle Sitzplätze sind besetzt. Wir hätten 5700 Zuschauer, alle mit Masken. Sie holen Würste und Bier an den Verpflegungsständen, essen aber auf ihren Sitzen. Dank unserem Ticketsystem wissen wir genau, wer auf welchem Platz sitzt. Da sind wir viel weiter, als man es etwa auf Bahnhöfen oder in Zügen ist.
Und wenn jemand infiziert ist?
Dann wissen wir, wen man in Quarantäne nehmen muss. Daniel Koch sagt, es betrifft nur Personen in der direkten Umgebung.
Geht es nicht zu weit, alle 5700 Sitzplätze zu besetzen?
Eine starre Zahl von 1000 Zuschauern macht keinen Sinn. Es kommt doch auf die Grösse einer Anlage an. Und warum nicht alle Plätze? Auch in einem Flieger sind alle Plätze belegt. Wenn man mit Maske in einer A-380 mit 600 Personen sechs Stunden reisen darf, ist auch ein Eishockeyspiel mit Maske möglich, das zweieinhalb Stunden dauert. Aber es geht noch um etwas anderes.
Um was?
Wir vertreten die Haltung, dass Panikmacherei fehl am Platz ist, wie sie heute in der Schweiz betrieben wird. Wir müssen noch lange mit dem Virus leben und lernen, mit ihm umzugehen. Es soll Normalität in den Alltag kommen. Wir können uns diese wirtschaftliche und gesellschaftliche Schockstarre nicht länger leisten. Das bedeutet nicht, dass wir fahrlässig sein sollen. Schutzkonzepte und Maskenpflicht sind richtig. Es braucht aber mehr Eigenverantwortung statt Bevormundung. Jeder kann selber entscheiden, ob er an eine Grossveranstaltung gehen will.
Sie kritisierten, dass Politiker die Situation des Sports verkennen.
Gesundheitsdirektoren sagten, es sei ja nicht so schlimm, wenn Sportklubs mit ihren überbezahlten Stars eine Zeit lang nicht spielen könnten. Das ist Stammtischgeplapper. Diese Politiker verkennen, was an einem Sportklub hängt. Wir haben beim EVZ 120 Festangestellte und 220 Teilzeitangestellte, betreiben eine Nachwuchsorganisation mit 300 Kindern und Jugendlichen. Das ist alles EVZ, alle sind betroffen.
Was ist der höchste Lohn eines Spielers?
Wir haben ein paar wenige Spieler, die zwischen einer halben und dreiviertel Million Franken verdienen.
Wie beurteilen Sie die Arbeit von Sportministerin Viola Amherd?
Wenn man ein Hilfspaket macht, aber kein Klub trotz der misslichen Lage davon Gebrauch macht, dann ist vielleicht das Paket falsch. Die Konkurse würden einfach aufgeschoben.
Bundesrätin Amherd hat nicht verstanden, was passiert?
Meine Kritik geht weniger an Bundesrätin Amherd, als vielmehr an das Bundesamt für Sport. Es hat für mich auf der ganzen Linie versagt. Dieses Bundesamt sollte sich für den Sport und all die damit verbundenen Arbeitsplätze und auch dessen Stellenwert einsetzen.
Wie geht es nun weiter?
Der Entscheid vom Mittwoch wird die Situation nochmals akzentuieren. Sollte uns – nach über einem halben Jahr – weiterhin verboten werden, die notwendigen Erträge selber zu erwirtschaften, braucht es staatliche Hilfe in Form von Beiträgen à fonds perdu. Wir haben schon einen sehr grossen Schaden erlitten und tragen diesen selber. Wir haben einen Investitions- und Einstellungsstopp verhängt. Und ich habe beim EVZ alle Spieler und Angestellten sensibilisiert, dass der Tag X kommen wird, an dem wir festlegen, wem man den Lohn um wie viele Prozente kürzt. Schon heute stundet der Klub jenen Geld, die viel verdienen.
Wann kommt dieser Tag X?
Sobald wir wissen, ob und mit wie vielen Zuschauern wir spielen dürfen. Dann wissen wir, wie viele Millionen wir brauchen.
Auch die Hockeyklubs machten Fehler. Sie liessen die Transparenz zu den Schutzkonzepten vermissen.
Solange die 1000er-Regel besteht, braucht es kein Schutzkonzept, denn wir können gar nicht spielen. Zudem gibt es viele widersprüchliche Verordnungen, die es nicht einfacher machen. Wir haben ein Schutzkonzept entwickelt, in welchem wir die notwendigen Vorgaben sicherstellen. Die 1000er-Regel muss fallen. Wir haben die Situation rund um Corona viel besser im Griff als Ende März. Obwohl uns die Medien Tag für Tag nur eine einzige Zahl an den Kopf werfen: die Zahl der Infizierten.
Über welche Zahl würden Sie gerne lesen?
Ende März hatten wir 800 bis 1000 Leute mit schweren Erkrankungen auf Covid-19-Basis in den Spitälern. Seit Anfang Mai sind noch maximal 45 Leute pro Woche wegen Covid-19 im Spital. Das zeigen die Statistiken des Bundesamts für Gesundheit. Der Lockdown wurde verhängt, um ein Kollabieren des Gesundheitssystems zu vermeiden. Dieser war notwendig und richtig. Heute sind wir aber weit davon weg.
Hätte der Sport intensiver für sich lobbyieren müssen?
Der Sport hat definitiv viel zu wenig Lobbying-Power. Das hat man deutlich gesehen. Das müssen wir langfristig angehen. Arbeiten müssen wir auch am Standing des Sports. Was würde in Zug fehlen, gäbe es den EVZ nicht mehr? Enorm viel, gerade im gesellschaftlichen Leben. Aber ich will jetzt nicht schwarzmalen.
Der EVZ hat Glück, weil er mit Hans-Peter Strebel einen Mäzen als Präsident hat. Strebel würde wohl, wenn nötig, Gelder einschiessen.
Das ist eine Behauptung. Die lasse ich mal so stehen.
Der EVZ ist also gar nicht bessergestellt als andere Klubs?
Für mich ist es befremdend, dass man glaubt, jemand bezahle einfach, und alles gehe weiter wie bisher. Herr Strebel zahlt verdankenswerterweise in die Nachwuchsorganisation, aber nicht in den Spitzensport. Wir wollen unsere Ausgaben selber finanzieren können. Ausserdem sind wir im Spitzensport auch davon abhängig, dass 10-12 Klubs in der Liga verbleiben und überleben. Eine Meisterschaft mit nur 6 Teams wird es nicht geben.
Dazu könnte auch noch Temperaturmessung vor dem Stadioneingang gehören.
Und nur mit überprüft nachvollziehbaren personalisierten Tickets inkl. ID-Kontrolle beim Eingang.
Das Konzept passt sonst, das wird etwa der Weg zu sein, den man wird beschreiten müssen. Aus meiner Sicht aber in Etappen. ZB bis Ende Jahr Halbe Auslastung, wenns funktioniert dann mit voller Kapazität.