Heute lacht Ninayara Luginbühl aus Waltenschwil im Kanton Aargau wieder. Sie arbeitet in dem vor bald zwei Jahren eröffneten Friseursalon MAD in Dietikon und trainiert wieder täglich. Das Ausdauertraining am Morgen und ein Krafttraining am Abend gehören zu ihrem Fitnessprogramm. «Ich weiss, dass ich eine Sucht habe», sagt sie und schildert, wie sie in ihren jungen 26 Jahren noch vor wenigen Wochen mit einer Streifung, gefolgt von einem Herzstillstand im Spital Limmattal in der Notfallabteilung lag: «Ich spürte während der Arbeit meine Hände nicht mehr, aber man denkt doch in dem Alter nicht an so was, und deshalb habe ich einfach weitergearbeitet». Als dann auch plötzlich noch jegliche Koordinationsfähigkeit zu fehlen begann und sie nicht mehr habe reden können, sei sie in die Notfallaufnahme gebracht worden, wo ihr Herz aufhörte zu schlagen.
Ihr Limit bekam sie nach der Teilnahme am Swiss Cup International Bodybuilding-Wettkampf zu spüren, welcher vom Schweizer Bodybuilding und Fitnessverband (SBFV) organisiert wird. Der Verband ist der internationalen Federation of Bodybuilding & Fitness (IFBB) zugehörig, der rund um den Globus zahlreiche Bodybuilding-Anlässe organisiert.
Es sei alles zu viel geworden, erzählt sie rückblickend. Um am Ende in der Kategorie Women Bikini-Fitness ein zweites Mal zu brillieren, nahm sie zusätzlich einen eisernen Sport- und Diätplan auf sich. Ihr Körper sei sich gewohnt, mit wenig Energie viel zu leisten. Von den anfänglichen 3000 Kalorien ging es Schritt für Schritt bis zur Diätphase und den noch täglich erlaubten 1200 Kalorien.
Ergänzt wurde diese Prozedur mit einer Salzkur zur Entwässerung des Körpers: «Nach 24 Stunden ohne Flüssigkeitsaufnahme noch kurz vor dem Wettkampf mit Reiswaffeln und Gummibärchen den Rest Wasser aus den Muskeln zu zerren, ist nicht gerade angenehm», sagt sie. Der natürliche Weg zum Ziel sei ihr wichtig und in der heutigen Bodybuilding-Szene dank der Möglichkeit allerlei chemischer Zusatzstoffe, welche die Muskeln noch definierter hervorheben lassen, eher die Ausnahme.
Bodybuilding kann dem Mechanismus von Magersucht sehr ähnlich werden, obwohl man essen muss, um den vielen Sport zu treiben: «Du willst immer noch mehr und bist nie zufrieden, egal wie dünn du bist und egal wie definiert die Muskeln sind», führt die Extremsportlerin aus. Selbst bei der kleinsten Kleidergrösse beginne man sich einzureden, dass diese einfach gross geschnitten sei.
Bodybuilder seien ein Volk für sich und die Tatsache, dass man immer Jüngere vorführen lässt, verfolge sie mit Sorgen: «Irgendwo hört es doch einfach auf», fasst Luginbühl zusammen. Der Zusammenbruch sei ein Schock für sie gewesen. Weiterhin seien in ihrem Sportprogramm «High Intensity»-Übungen ein Tabu.
Angefangen habe bei ihr alles aus dem normalen Wunsch, wegen Übergewicht abzunehmen, dann aber kamen die ersten sichtbaren Veränderungen. Mittlerweile gehe sie zwar entspannter mit ihrem Körper um und nehme die Signale wahr, aber ein gewisser Respekt und die Chance, zurück in dieselben Muster zu fallen, spüre sie. Und auch der Hang zum Extremen bleibt: «Es ist der Reiz, herauszufinden, wo das höchste der Gefühle liegt und wie weit ich es schaffen würde. Sport ist mein Leben, ich kann mein aktives Leben nicht von heute auf morgen verändern.»
Noch immer folge sie manchmal der Defizitberechnung und der Abwägung, ob die Kalorien noch drinlägen und was für das Verbrauchen wieder benötigt werde. «Es braucht mentale Stärke, um aus der Sucht herauszukommen, und ein Umfeld, das ehrlich ist und das Beste für dich will.» Man solle Hilfe annehmen, sagt Luginbühl, und man müsse unterscheiden können und nach den ganzen Vorbereitungen zum Wettkampf auch ins normale Leben zurückfinden. Wenn diese Unterscheidung nicht mehr möglich sei, werde es gefährlich. Die Spirale nimmt ihren Lauf und der Kopf vergisst schnell, was war – auch die Spuren einer Herzmaschine, sagt sie.