Es gab nichts schönzureden: Die SP erlitt bei den eidgenössischen Wahlen 2007 ein Debakel. Die Partei verlor fast vier Prozent ihrer Wähler. Präsident Hans-Jürg Fehr zog die Konsequenzen und räumte seinen Platz. Doch nur einer wollte die «Schnarch-Partei» (Blick) übernehmen. Der Freiburger Nationalrat Christian Levrat.
Damals 37-Jährig, Jurist, Vater von drei Kindern, Freund und Vertrauter eines gewissen Alain Berset, Chef der Gewerkschaft Kommunikation, wohnhaft zeitlebens im Greyerzer Dorf Vuadens. Sein Übername: «Bulldozer».
Levrat war Teil einer aufstrebenden Generation von Westschweizer Sozialdemokraten. Nebst dem heutigen Bundesrat Berset gehört dazu etwa auch Fraktionschef Roger Nordmann oder Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard. Letzterer soll Levrat dazu geraten haben, das Amt zu übernehmen, sonst drifte die Partei nach rechts.
Die Aussicht auf einen jungen, wilden Gewerkschafter aus der Romandie an der Parteispitze gefiel nicht allen Genossen. Simonetta Sommaruga, damals noch Berner Ständerätin, warnte bei seiner Wahl im Frühling 2008 in Basel: «Mit Klassenkampf-Rhetorik holt die Partei keine Wähler ab.» Sie warnte: «Wenn Levrat die Weichen jetzt nicht richtig stellt, wird die SP zur 15-Prozent-Partei.»
Wie die FDP. Levrat selbst sprach davon in seinen Antrittsinterviews. Er wolle verhindern, dass die SP zu einer zweiten FDP werde. Er trat an, um die Kampagnenfähigkeit seiner Partei zu verbessern, um die Streitkultur in der Partei zu fördern, um das Profil zu schärfen: klarer, emotionaler, kontroverser.
Das Paradoxe dabei: Der Wähleranteil der SP sank unter Levrat von 19,5 auf historisch Tiefe 16,8 Prozent. Die FDP fiel in dieser Zeit bloss von 15,8 auf 15,1 Prozent. Der Abstand zwischen SP und FDP schrumpfte unter Levrats Ägide also beachtlich und dennoch geht der Freiburger als erfolgreicher Präsident in die Geschichte ein.
Levrat gilt als einflussreichster Parlamentarier der Schweiz, als bester Parteistratege, die Weltwoche adelte ihn gar als «Gigant der Linken.» Wie erklärt sich dieses Paradox?
Nun, vergleicht man die SP mit ihren Schwesterparteien in Europa dann sind die Wählerverluste moderat. Der pointiert linke Kurs der SP Schweiz unter Levrat hat sich durchaus ausbezahlt. Nach seiner Wahl fokussierte er die Partei stärker auf klassische, sozialdemokratische Themen: Umverteilung des Reichtum, Förderung der sozialen Gerechtigkeit.
Seit 2011 wirbt die SP mit dem Slogan «Für alle statt für wenige». Er fasst das Wirken Levrats gut zusammen. Es ist das zweite Paradox von Levrats Amtszeit: Er hat die Partei nach links geführt und dennoch stärker geeint. Er, der die Streitlust in der Partei fördern wollte, hat den moderaten Flügel schachmatt gesetzt.
Vor allem aber bemisst sich der Einfluss in der Schweiz längst nicht nur an den Wähleranteilen im Nationalrat. Davon kann etwa die SVP ein Lied singen: Die grösste Partei des Landes hat Mühe, ihre Wählerstärke in sachpolitische Erfolge umzumünzen.
Bei der SP verhält es sich umgekehrt. Auch in Levrats Ära kassierte die SP an der Urne zwar viele Niederlagen. Zahlreiche Initiativen scheiterten – etwa zur Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer, eines Mindestlohnes oder zur Schaffung einer Einheitskrankenkassen.
Bei den Referenden legte die SP unter Levrat aber zu. 2016 bodigte die SP die Unternehmenssteuerreform III gegen Bundesrat, Kantone, Wirtschaftsverbände und Bürgerliche Parteien. Ein Sieg, der nachhalte. Die Partei diktierte später die Bedingungen für die Neuauflage der Reform und sicherte der AHV Zusatzeinnahmen ohne irgendwelche strukturellen Anpassungen. Zuletzt bodigte die SP auch die Erhöhung des Steuerabzugs für Kinder – im Alleingang. Das Referendum gegen die Beschaffung neuer Kampfjets scheiterte nur knapp und fühlte sich für die Sozialdemokraten ebenfalls ein wenig wie ein Sieg an. Die Sozialdemokraten haben gezeigt: Sie können mobilisieren.
Diese Referendumsfähigkeit sichert Einfluss im Parlament. Selbst in der letzten Legislatur, als SVP und FDP im Nationalrat eine Mehrheit hatten, agierten Levrats Sozialdemokraten erfolgreich. Damals etablierte sich der Ständerat als eigentliches Machtzentrum der Schweiz. Und mittendrin: Strippenzieher Levrat.
Wegen der Corona Pandemie blieb Levrat ein halbes Jahr länger im Amt als vorgesehen. Sein Vermächtnis prägt nicht so sehr die Wahlniederlage vom Herbst 2019. Sondern der letzte Abstimmungssonntag im September, als die SP bei vier von fünf Vorlagen auf der Siegerseite stand. Für Levrat war dies der Beweis, dass die Schweiz insgesamt progressiver geworden ist. Es ist dies die gute Nachricht für Levrat, auch wenn die Grünen die Sozialdemokraten arg bedrängen.
Am Samstag übernehmen Mattea Meyer und Cédric Wermuth gemeinsam die Leitung der SP. Eine Co-Leitung? Für Levrat selbst undenkbar. Nicht nur die Schweiz wandelt sich, auch die SP.
Hingegen würde der rechte Block mit vor allem SVP /teilen der FDP wachsen wie er es Jahrzente getahn hat, wäre dies tatsächlich ein Problem.
Daher darf sich Levrat ruhig selbst auf die Schulterklopfen.das ist zum Teil auch sein Verdienst.