Als die Genossinnen und Genossen im März 2008 den damals 38-jährigen Christian Levrat zum neuen SP-Präsidenten wählten, hiess der US-Präsident George W. Bush, der Schweizer Bundespräsident war ein gewisser Pascal Couchepin, und das iPhone gab es hierzulande noch gar nicht zu kaufen.
Im April 2020 dürfte die Ära Levrat an der Spitze der SP Schweiz nach zwölf Jahren enden. Gut informierte Kreise erwarten die Rücktrittsankündigung bis spätestens am 30. November bei der Delegiertenversammlung in Bern. Levrat bestätigt dies indirekt: «Dort werden wir Bilanz ziehen über die Wahlen. Und auch personelle Fragen stehen zur Diskussion», sagt der am Sonntag als Ständerat wiedergewählte Freiburger in der «NZZ am Sonntag».
Levrats Rücktritt mag noch nicht offiziell sein, doch schon seit Wochen drängen Vertreter der verschiedenen Parteiströmungen in das sich abzeichnende Machtvakuum. Ungeduld macht sich breit.
Die Genossen wollen ihre Partei neu ausrichten, nachdem diese bei den Wahlen im Oktober mit 16.8 Prozent Wähleranteil das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte erzielte und am Sonntag im Kanton Waadt einen Ständeratssitz an die Grünen abgeben musste. Allen ist klar: Es muss sich etwas ändern.
In einem Interview mit dem «Sonntags-Blick» kritisiert die Zürcher Panaschierkönigin und SP-Nationalrätin Jacqueline Badran, die Schweizer Sozialdemokratie verliere sich in Nebenschauplätzen: Debatten darüber zu führen, ob man noch «Mohrenkopf» sagen dürfe oder ob ein Handwerker mit einem Pin-up-Girl im Spind ein «sexistisches Arschloch» sei, brächten nichts.
Politisch verteidige die SP derzeit hauptsächlich die Errungenschaften des vergangenen Jahrhunderts. «Wir haben uns darin verstrickt, die Brösmeli, die das System noch abgibt, grösser machen zu wollen.» Währenddessen profitierten die Grünliberalen und die Grünen davon, dass sie die Sehnsucht nach einem Umbruch als «vermeintlich neue Kräfte» bedienen könnten.
Badrans Aussagen zeigen: Die Erwartungen an Levrats Nachfolge sind immens. Einig ist man sich, dass eine Frau aus der Deutschschweiz das Parteipräsidium übernehmen soll. Als mögliche Nachfolgerinnen gelten die Berner Nationalrätinnen Flavia Wasserfallen und Nadine Masshardt, aber auch deren Zürcher Kolleginnen Mattea Meyer und Min Li Marti.
Als männliche Co-Präsidenten kommen allenfalls der Aargauer Nationalrat Cédric Wermuth oder sein neu gewählter Bündner Kollege Jon Pult in Frage. Wermuth signalisierte in den Tamedia-Zeitungen vor kurzem sein Interesse: «Jeder, der etwas bewegen will, muss sich das ernsthaft überlegen. Nach dieser Niederlage ist es zwar ein schwieriges Amt, aber auch ein extrem spannendes.»
Auch der reformorientierte Parteiflügel – vereinfacht ausgedrückt der rechte Parteiflügel – verlangt mehr Mitbestimmung. Der Zürcher Ständerat Daniel Jositsch resümierte diese Woche in einem Newsletter, die Verluste der SP an die Grünliberalen im Kanton Zürich seien eine Konsequenz daraus, dass die Menschen die Sozialdemokraten vor allem über den linksgewerkschaftlichen Parteiflügel wahrnähmen.
Um Wählerpotenzial dazu zu gewinnen, müsse die Partei die soziale Marktwirtschaft und die öffentliche Sicherheit wieder stärker betonen. «Eine Lösung wäre es, das in den Parteistatuten festzuschreiben.»
Strafrechtsprofessor Jositsch fordert auch eine stärkere personelle Einbindung des rechten Parteiflügels und schlägt Nationalrätin Yvonne Feri als Vize-Präsidentin vor.
Feri sagt auf Anfrage, es sei wichtig, dass «alle relevanten Kräfte in ihrer ganzen Breite» im Präsidium vertreten seien; die SP-Frauen und die reformorientierte Plattform hätten dasselbe Einsitzrecht wie die Juso.
Und sie schliesst das Amt der Vize-Präsidentin nicht per se aus. «Ich kann mir immer vorstellen, mehr Verantwortung zu übernehmen. Aktuell stellt sich diese Frage aber nicht.»
Tatsächlich gibt es einen Hindernisgrund. Die 53-Jährige will am 24. November im zweiten Wahlgang in den Aargauer Regierungsrat gewählt werden. Das Exekutivamt würde sich kaum mit jenem des Vize-Präsidiums vertragen. (aargauerzeitung.ch)