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Streit zwischen FDP und SP über flankierende Massnahmen.

Die Parteipraesidentin der FDP, Petra Goessi, rechts, spricht anlaesslich einer Aktion gegen die Initiative Pro Service Public, im Hintergrund der Parteipraesident der CVP, Gerhard Pfister, links, und ...
Haben das Heu derzeit nicht auf der gleichen Bühne: Die Parteichefs von FDP und SP, Petra Gössi und Christian Levrat.Bild: KEYSTONE

Knatsch im Bundesrat über flankierende Massnahmen – jetzt gehen SP und FDP aufeinander los

Der Streit um die flankierenden Massnahmen führt zu Attacken zwischen FDP- und SP-Zentralen
01.07.2018, 13:3001.07.2018, 14:52
othmar von matt / schweiz am wochenende
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Ein Artikel von Schweiz am Wochenende
Schweiz am Wochenende

Eigentlich wäre die Ausgangslage erfolgsversprechend. Die Wirtschaft will das institutionelle Rahmenabkommen. Das zeigt eine Umfrage, die GfS Bern im Auftrag von Economiesuisse gemacht hat. 80 Prozent der befragten Geschäftsleitungsmitglieder von 975 Unternehmen sagen Ja zum Abkommen. Höher ist die Zustimmung nur noch für die Zusammenarbeit auf der Basis der bisherigen Bilateralen. Einen Alleingang der Schweiz können sich hingegen nur 10 Prozent vorstellen.

Trotzdem liegen die Nerven blank, seit Aussenminister Ignazio Cassis auf Radio SRF sagte, die Schweiz und die EU müssten bei den flankierenden Massnahmen «kreative Wege» finden, um das Rahmenabkommen abzuschliessen. Der parteipolitische Konflikt, der schon länger zwischen FDP und SP schwelt, ist vollends entfacht. Auch auf Bundesrats-Ebene.

Kritik und Konter

«Die SP wird nie einen Abbau des Lohnschutzes unterstützen», sagt SP-Fraktionschef Roger Nordmann. «Da gibt es keine Chance. Nur eine Lösung, mit der die Gewerkschaften einverstanden sind, kann vor dem Volk Erfolg haben.»

Nordmann bezeichnet Cassis nach dessen Aussagen zu den Flankierenden als «Faux-pas-Minister» und sagt: «Mit seinem Vorgehen ist er auf Grund gelaufen.» Er habe sich «selbst schachmatt gesetzt» und «einen riesigen Schaden angerichtet». Cassis sei «ein Austrickser», kritisiert Nordmann. «Zunächst wollte er die SP bei den Flankierenden austricksen, dann die SVP beim Grundsatz eines Rahmenabkommens. Nun ist er völlig blockiert.»

FDP-Präsidentin Petra Gössi bleibt in ihrem Konter nichts schuldig. Sie attackiert SP-Präsident Christian Levrat direkt. «Die Heftigkeit der Reaktionen von Gewerkschaften und SP erstaunt mich», sagt sie. «Ich frage mich, ob dahinter vielleicht persönliche Animositäten von Herrn Levrat gegen Herrn Cassis stecken und ob sie so taktieren, um langfristig den Boden für einen EU-Beitritt vorzubereiten.»

Viel FDP-Personal involviert

Im linken Lager vermutet man, der Angriff auf die Flankierenden sei in FDP-Kreisen gezielt vorbereitet worden. Dass das Umfeld der FDP-Bundesräte Cassis und Johann Schneider-Ammann aus prominenten FDP-Vertretern besteht wie EDA-Generalsekretär Markus Seiler (früher Chef des Nachrichtendienstes) und WBF-Generalsekretär Stefan Brupbacher (früher FDP-Generalsekretär) nährt solche Verschwörungstheorien.

Petra Goessi, Parteipraesidentin FDP, Bundesrat Ignazio Cassis und Bundesrat Johann N. Schneider-Ammann, von links, waehrend der Delegiertenversammlung der FDP am Samstag, 21. Oktober 2017, in Engelbe ...
FDP-Chefin Gössi mit ihren Bundesräten Cassis und Schneider-Ammann.Bild: KEYSTONE

Genauso wie die Tatsache, dass Schneider-Ammann seinen Parteikollegen Cassis bei der 8-Tage-Regelung (siehe Box) in der «Nordwestschweiz» mit dem Spruch stützte, das lasse sich heute «in acht Sekunden» erledigen. «Man hat um die Gewerkschaften herum gespielt», sagt Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB). «Wir wurden nie einbezogen in die Überlegungen des Departements Cassis.» Und SP-Nationalrat und Unia-Geschäftsleitungsmitglied Corrado Pardini betont: «Der Spielraum bei den Flankierenden ist null.»

Das ist die 8-Tage-Regel
Die sogenannte 8-Tage-Regel ist ein Zankapfel in den Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU. Wenn Firmen aus der EU in der Schweiz einen Auftrag ausführen, müssen sie diesen mindestens acht Tage zuvor den Schweizer Behörden melden. Sie müssen dabei nachweisen, dass sie die Lohn- und Arbeitsbedingungen in der Schweiz erfüllen. Der EU und vor allem den Nachbarstaaten ist diese Frist zu lang. BundesratIgnazio Cassis hat auf Radio SRF vorgeschlagen, die Frist auf vier Tage zu verkürzen und gleichzeitig eine App zur Voranmeldung einzuführen.

Wirtschaftsminister Schneider-Ammann spürt am meisten, wie seine Bedeutung in der Regierung wuchs, seit sie schleichend bürgerlicher wurde. Zu Beginn sah er sich mit Ueli Maurer (SVP) regelmässig in einer 2:5-Minderheit. Das änderte, als SVP-Mann Guy Parmelin BDP-Frau Eveline Widmer-Schlumpf ersetzte und sich die FDP mit Fraktionschef Ignazio Cassis in der Regierung neu positionierte.

SP-Bundesräte müssen härter kämpfen

Exemplarisch zeigte sich das beim Waffenexport. Die Regierung lockerte die Exporte in Bürgerkriegsländer mit 4:3 Stimmen. Ein Vorhaben, mit dem Schneider-Ammann jahrelang aufgelaufen war. Parteikollege Didier Burkhalter, stark humanitären Werten verpflichtet, hatte es als Aussenminister blockiert.

Die SP-Bundesräte Alain Berset und Simonetta Sommaruga haben einen zunehmend schweren Stand. Sie müssen härter für Mehrheiten kämpfen als zuvor. Ausser bei einem so dringlichen Geschäft wie der Steuervorlage 17. Dann gelingt es Berset, die AHV im Bandenspiel mit SP-Präsident Levrat, der CVP und Bundesrat Ueli Maurer mit der Steuervorlage zu verknüpfen.

Dringlich ist auch das Dossier um das Rahmenabkommen und die Flankierenden geworden. Die Regierung führte am Mittwoch eine erste Diskussion und wird diese Woche entscheiden müssen, ob sie Anpassungen zulässt bei den Flankierenden.

Gesprächsbereiter SP-Mann Nussbaumer

FDP-Präsidentin Petra Gössi warnt die Bundesräte, vor allem die eigenen, schon mal vor. «Sollte es dem Bundesrat in den Sinn kommen, das Niveau des Lohnschutzes bei den Flankierenden aufzuweichen, hat er im Parlament mit Sicherheit keine Mehrheit mehr», sagt sie. «Auch wir würden uns nicht hinter einen solchen Entscheid stellen.»

Auch in der SP sind Parlamentarier zu finden, die denken, man könne über die technischen Mittel diskutieren. Wie Nationalrat Eric Nussbaumer. «Registrieren, melden, kontrollieren und sanktionieren: Das ist der Kern der Flankierenden und des Lohnschutzes», sagt er. «Den wollen wir unbedingt behalten und eigenständig handhaben. Die Umsetzung hingegen muss man diskutieren können.»

Bundesrat Cassis jedenfalls wisse sehr genau, dass er die Gewerkschaften im Boot brauche, sagt Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter (CVP), Präsidentin der aussenpolitischen Kommission. Und sie glaubt: «Die Schweiz könnte mit den Flankierenden das Modell sein für die EU, in der sich eine ähnliche Entwicklung abzeichnet.»

25 Bilder zeigen unsere Classe Politique beim Schaffen in Bern

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Daniel Jositsch (SP/ZH).
quelle: keystone / lukas lehmann
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14 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Töfflifahrer
01.07.2018 13:52registriert August 2015
Dabei vergessen die in Bern offensichtlich, dass bei den meisten Vorlagen und Abkommen letztendlich das Volk Ja oder Nein sagt.
Es ist grundsätzlich egal was eine Gösse oder ein Levrat will oder welche Spielchen die Treiben oder wer "in Bern gewinnt". Die UST-2 hat gezeigt, dass das Volk auf Druck-versuche allergisch ist und im Zweifelsfall die Vorlage ablehnt.
Die Aufgabe des Parlaments und des BR ist etwas zu verhandeln und zu präsentieren was beim Volk Zustimmung findet und nicht bei deren Lobby.
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Ökonometriker
01.07.2018 18:05registriert Januar 2017
Als sonst sehr libertär eingestellter Mrnsch muss ich hier der SP Recht geben. Wenn die flankierenden Massnahmen fallen, öffnet sich die Lohnschere die durch die PFZ bereits zunimmt nur noch mehr. Dann radikalisieren dich die Leute - und es kommt zur extremen Auswüchsen wie dem Brexit.
Kreativ denken gern - aber bitte nicht vergessen, dass wir in einer Demokratie leben.
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einmalquer
01.07.2018 19:20registriert Oktober 2017
Es wäre alles viel einfacher, wenn die Kantone Mindestlöhne einführen würden - das dürfen sie.

Und es wäre einfach, Lohnkontrollen durch zu führen - das müssen sie.

Sie tun es - bis auf ganz wenige - einfach nicht, bzw. nicht genügend.

Kantone könnten auch GAVs verbindlich erklären, halten sich damit auch zurück.

Die Kantone machen lieber auf Steuerwettbewerb bei Reichen und Unternehmen, ArbeitnehmerInnen sind weitgehend egal.
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