Ob für eine internationale Karriere in China, eine bevorstehende Reise nach Brasilien oder eine Lebenspartnerin aus Frankreich. Es gibt viele gute Gründe, um eine neue Sprache zu lernen. E-Learning-Plattformen liegen im Trend. Jeder siebte Schweizer hat schon einmal auf dem Smartphone oder dem Laptop eine Fremdsprache studiert, wie die Nutzerzahlen von Duolingo verraten. Dank anderen bekannten Online-Portalen wie Babbel und Busuu dürften es gar noch mehr sein.
Wenn es nach diesen Anbietern geht, kann man online mit kleinem Aufwand schnelle Fortschritte erzielen. Bei Babbel sollen Nutzer laut einer unabhängigen Studie von Wissenschaftern der City University of New York den Inhalt eines ganzen Spanischsemesters in nur 15 Stunden lernen können. Auch Busuu will mit geringem Zeitaufwand punkten, wirbt mit dem Slogan: «Lerne eine Sprache in nur zehn Minuten pro Tag».
Die Sprachapplikationen treffen den Nerv der Zeit: Die Lerninhalte sind rund um die Uhr verfügbar, kurzweilig und günstig. Ein Jahresabonnement auf Babbel oder Busuu kostet mit etwa 80 Franken einen Bruchteil von dem, was klassische Sprachkurse verlangen. Auf Duolingo stehen den Nutzern sogar sämtliche Funktionen kostenlos zur Verfügung.
Je nach Anbieter dauert eine Sprachlektion zwischen zwei und zehn Minuten. Diese häppchenweise Portionierung ermöglicht es den Nutzern, leere Zeitfenster im Alltag sinnvoll zu füllen. So kann man im Zug, auf der Toilette oder während der Mittagspause Vokabeln pauken. Der Lernfortschritt wird dabei stets in der Cloud abgespeichert.
Nebst diesen Annehmlichkeiten bringen die Sprachapps auch einen didaktischen Vorteil mit sich: künstliche Intelligenz. Die Nutzer werden automatisch erinnert, wenn sie eine Vokabel repetieren müssen. «Das ist eine Funktion, die den Aufbau und Erhalt des Wortschatzes gezielt unterstützt», sagt Thomas Studer, Sprachwissenschafter von der Universität Fribourg.
Doch ist es wirklich möglich, nur mit der Hilfe einer App sich einer Fremdsprache zu bemächtigen? Sprachwissenschafter Studer verneint. «Für mittlere bis höhere Niveaus sind die Lerninhalte ungeeignet oder oft überhaupt nicht verfügbar», sagt er. Online kann man zwar das Hör- und Textverständnis fördern, nicht aber das Kommunizieren in der Fremdsprache sinnvoll trainieren. Die Spracherkennungssoftware, die manche Anbieter benutzen, ist qualitativ nicht gut genug.
Ein weiterer Nachteil: Beim Büffeln vor dem Bildschirm fehlt der kollektive und kreative Lernansatz. Studer: «Es ist für die Entwicklung hilfreich, wenn Lernende gemeinsam eine Problemstellung lösen müssen oder entdeckend vorgehen können.» Applikationen kennen hingegen nur den individuellen Lernansatz, und die Reaktionsmöglichkeiten sind gleichzeitig sehr beschränkt.
Die grösste Schwachstelle von Babbel und Co. ist das fehlende Feedback. Bei allen Sprachapps hat man nur zwei Möglichkeiten, wenn man einen Fehler begangen hat: Entweder der Nutzer versucht es erneut, oder er konsultiert die Lösungen. Wie die dazugehörige Grammatikregel lautet, wird nicht erläutert. «Für Lernerfolg ist ein differenzierter Umgang mit Fehlern besonders wichtig», sagt Studer. Bedeutet: Ein Kurs ist für die Perfektionierung der Sprachkenntnisse unumgänglich.
Die unabhängige Studie, die Babbel und Duolingo für Werbezwecke verwenden, hält somit nur teilweise ein, was sie verspricht. Studer kritisiert seine Berufskollegen für die Erhebungsmethodik: «Man hat einfach einen Anfangs- und einen Endpunkt bestimmt und dann den Lernfortschritt der Studienteilnehmer betrachtet, die allesamt Nullanfänger in der jeweiligen Fremdsprache waren.»
Für einen wissenschaftlich aussagekräftigen Vergleich hätte es aber zwingend mindestens eine Kontrollgruppe gebraucht, die in der gleichen Zeitspanne einen klassischen Sprachkurs besucht hätte, erklärt er. Der schnelle Lernfortschritt trifft demnach nur auf Nullanfänger zu. Also auf jene, die zuvor keine Kenntnisse der Fremdsprache hatten.
Ob man sich letztlich für einen Sprachkurs im Klassenzimmer oder für eine App entscheiden soll, hängt auch mit den persönlichen Zielen zusammen. Das Reisen wird gemäss einer aktuellen Nutzerbefragung von Babbel von den meisten Schweizern als Motivationsgrund angegeben. 61 Prozent wollen demnach eine Fremdsprache lernen, um sich später in den Ferien verständigen zu können. Dafür reicht eine App aus.
Für die Karriere studiert hingegen nur jeder fünfte Schweizer Babbel-Nutzer eine Fremdsprache. Und dies, obwohl eine Mehrsprachigkeit beim Bewerbungsverfahren der ausschlaggebende Punkt sein kann, wie Susanna Häberlin, Leiterin Kommunikation bei ask!, dem Beratungsdienst für Ausbildung und Berufe des Kantons Aargau, sagt. «Weil es in der Schweiz immer mehr internationale Firmen gibt, gewinnen die Fremdsprachen an Bedeutung.» Da es online keine berufsorientierten Sprachlehrgänge gibt, lohnt sich aus Karrierezwecken die Investition in einen Sprachkurs.
Obwohl E-Learning-Plattformen also kein Allerheilmittel sind, stellen sie für die Gesellschaft eine positive Entwicklung dar. Denn noch nie zuvor waren Fremdsprachen einer solch breiten Öffentlichkeit zugänglich wie heute. Und das Sprachenlernen bringt auch gesundheitliche Vorteile. Forscher aus Luxemburg stellten in einer Studie mit 230 Frauen und Männern fest: Wer mindestens drei Sprachen kann, hat eine dreifach höhere Chance, im Alter nicht dement zu werden. (aargauerzeitung.ch)