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Der SBB-«Pannenzug» soll auch im Ausland rollen

Der neue Fernverkehr-Doppelstockzug der SBB "FV-Dosto" steht im Hauptbahnhof in Zuerich, aufgenommen am Montag, 26. Februar 2018. (KEYSTONE/Ennio Leanza)
Soll dereinst auch über die Grenze fahren: der FV-Dosto.Bild: KEYSTONE

SBB-Pannenzug – warum die Auslandspläne mitschuldig am Desaster sind

Die SBB wollten ihre neuen Doppelstöcker unbedingt fit für das Ausland machen – und verkomplizierten damit alles. Doch wie werden die Züge nun grenzüberschreitend eingesetzt?
26.02.2019, 06:4326.02.2019, 06:55
Sven Altermatt / ch media
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Mit ihrem neuen Doppelstockzug wollten die SBB alte Grenzen sprengen. 59 Kompositionen des Typs FV-Dosto bestellten die Bundesbahnen im Jahr 2010 für 1.9 Milliarden Franken beim Bahnbauer Bombardier. Der Zug sollte so konstruiert werden, dass er auch über die Grenze nach Deutschland und Österreich fahren kann – mit den bisherigen Doppelstock-Schnellzugwagen ist dies nicht möglich.

Doch unterdessen stossen die SBB an ganz andere Grenzen: Der FV-Dosto sorgt vor allem als Pannenzug für Schlagzeilen. Seine Auslieferung verzögert sich seit fünf Jahren.

Der neue Doppelstöcker-Zug der SBB in Bildern:

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400 Meter lang, 1300 Passagiere, 4 Jahre Verspätung: Der neue Intercity der SBB ist da
Die SBB präsentierten im Mai 2017 ihren neuen Intercity-Zug erstmals den Medien. Der Zug mit dem Namen «Twindexx Swiss Express» wird von der Firma Bombardier hergestellt. Hier steht er im Bahnhof Interlaken bereit für die Abfahrt.



quelle: keystone / anthony anex
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Erst seit dem Fahrplanwechsel im Dezember 2018 verkehren die ersten zwölf FV-Dosto im fahrplanmässigen Betrieb, wegen technischer Probleme sind sie aber nur eingeschränkt einsetzbar. Die ausgelieferten FV-Dosto sind bislang bloss auf Interregio-Nebenstrecken unterwegs.

Zwar bekundeten die SBB und Bombardier jüngst gemeinsam ihren Willen, die Züge bald planmässig zum Einsatz zu bringen. Allerdings dürften sie kaum vor dem Sommer auf der Paradestrecke St. Gallen–Genf unterwegs sein. Weitere Züge wollen die SBB erst übernehmen, wenn sie weniger Störungen verzeichnen. An eine geordnete Planung ist noch nicht zu denken.

Einstiegsrampe als Achillesferse

Der Umstand, dass die Züge auch auf ausländischen Schienen verkehren sollen, verkomplizierte die Bestellung der FV-Dosto von Anfang an – und ist nun mitverantwortlich für dessen Probleme. Wegen der Auslandsoption mussten die Zugseinstiege nämlich an jene der Nachbarländer angepasst werden. In der Schweiz sind die Perrons gut 20 Zentimeter tiefer.

Der FV-Dosto sollte, so das ambitionierte Ziel der SBB, der erste Zug mit niveaugleichem Einstieg im grenzüberschreitenden Verkehr werden. Das Resultat: Der Zug hat eine steile Einstiegsrampe, die selbst kräftige Rollstuhlfahrer nur schwer überwinden können.

Die SBB und Behindertenverbände streiten sich deswegen seit Jahren, allein die Gerichtsakten umfassen Tausende Seiten. Nicht zuletzt deswegen verzögerte sich die Inbetriebnahme der FV-Dosto. Das Bundesverwaltungsgericht wies eine Beschwerde von Inclusion Handicap jüngst in fast allen Punkten ab, die Organisation hat den Entscheid ans Bundesgericht weitergezogen.

Der umstrittenen Einstiegsrampe zum Trotz: Derzeit dürfen die FV-Dosto noch gar nicht auf deutschen oder österreichischen Schienen verkehren. Die Betriebsbewilligung des Bundesamts für Verkehr (BAV) ist befristet und enthält keine Zulassung fürs Ausland. «Die dafür erforderlichen Nachweise liegen aktuell noch nicht vor», bestätigt BAV-Sprecherin Florence Piclet.

Die internationale Zertifizierung von Zügen ist anspruchsvoll. Das BAV arbeitet mit den Behörden in Deutschland und Österreich zusammen. Einzelne Komponenten werden nur von einer Behörde geprüft, die Zulassung wird gegenseitig anerkannt. Immerhin: Das BAV rechnet damit, dass die Zulassung für die beiden Nachbarländer bald vorliegen wird. «Im Laufe 2019», sagt Piclet.

Mit dem neuen Doppelstöcker der SBB auf Probefahrt (Beitrag vom 12. Februar 2019)

Video: © SDA Video

Ab 2030 nach München

Die internationale Ausrichtung der neuen Doppelstöcker sorgte bereits bei ihrer Bestellung vor zehn Jahren für Fragezeichen. Dieser Aspekt erschwere die Beschaffung, kritisierten Verkehrspolitiker damals.

Von der Möglichkeit jedoch, nur einen Teil der FV-Dosto für den internationalen Verkehr aufzurüsten, wollten die SBB schon in ihrer Ausschreibung nichts wissen. «Heute rächt es sich, dass sich die SBB stur so viele Optionen offenhalten wollten», sagt ein mit der Angelegenheit befasster Bahnfachmann, der nicht genannt werden möchte.

Den FV-Dosto gibt es in einer Ausführung für den Intercity-Verkehr und in zwei für den Interregio-Verkehr. Für alle drei Typen wolle man eine internationale Zulassung, bekräftigt SBB-Sprecher Daniele Pallecchi auf Anfrage.

Daniele Pallecchi, Mediensprecher der SBB, spricht zu den Medien nach einer Entgleisung eines ICE am Bahnhof in Basel am Mittwoch, 29. November 2017. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)
Daniele PallecchiBild: KEYSTONE

Bis der erste Zug ins Ausland fährt, wird es aber noch viele Jahre dauern. Die SBB verweisen auf ihr Angebotskonzept, wonach die Züge ab 2030 auf der Strecke von Zürich nach München eingesetzt werden sollen. Auf einem 155 Kilometer langen Streckenabschnitt in Deutschland verkehren heute allerdings noch Diesel-Loks, er wird bis im kommenden Jahr elektrifiziert.

Zu möglichen weiteren Einsatzgebieten des FV-Dosto im Ausland äussern sich die SBB nicht. Mit den europäischen Partnerbahnen führe man laufend Gespräche, heisst es wolkig. Kritik an ihrem Vorgehen weisen die Bundesbahnen zurück.

Sprecher Pallecchi unterstreicht die Lebensdauer der Züge von 40 Jahren. Die SBB bräuchten «Flexibilität und Unabhängigkeit am Markt», wie sie in einem Statusbericht zum FV-Dosto schreiben. Man wolle auch zukünftig in der Lage sein, mit eigenem Rollmaterial grenzüberschreitende Verbindungen anbieten zu können.

Neuer Dopperstöcker-Zug auf Jungfernfahrt (Beitrag vom 26. Februar 2018)

Video: © sda-Video

Die SBB renoviert die Züge aus den 90ern:

Video: srf/SDA SRF
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36 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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DerTaran
26.02.2019 08:35registriert Oktober 2015
Wenn ich, als Anbieter, die Kriterien eines potentiellen Kunden nicht erfüllen kann, dann ziehe ich mich aus der Ausschreibung zurück. Bombardier muss einfach liefern. Sie haben den Deal gewollt und ihn eventuell jemandem weggenommen, der es vielleicht besser hinbekommen hätte.
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El Vals del Obrero
26.02.2019 08:37registriert Mai 2016
Auf eine Art ist es aber auch doof, wenn es offenbar kaum mehr möglich ist, Züge bzw. Wagen zu bauen, die in ganz Europa verkehren können.

So kann die Bahn nie mit den Billigfliegern und Fernbussen mithalten. Wenn an den meisten Grenzen umgestiegen werden muss oder bestenfalls das Nachbarland noch umsteigefrei erreichbar ist, nützt noch so viel Hochgeschwindigkeit nichts.

Früher gab es Züge, die (mit Lokwechsel) von Hamburg an die spanische Grenze fahren. Heute muss man schon dankbar sein, wenn man bis Milano fahren kann.
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fidget
26.02.2019 09:40registriert Dezember 2018
Ich denke nicht, dass man die Verzögerung des neuen Zuges auf die gewünschte Auslandtauglichkeit schieben kann. Es war ein Kriterium, also soll der Hersteller dieses erfüllen. Die Auslandtauglichkeit ist jedenfalls nachvollziehbar. Da kann man der SBB keinen Strick draus drehen, dass sie sich diese Option offenhalten wollen. Im Moment ist zwar noch kein Bedarf da, aber wenn man in Zukunft grenzüberschreitende Verbindungen plant hat man schon passendes Rollmaterial.
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