Wird es an diesem Abend ein weiteres Mal chlöpfen? Während sich am Freitagabend im Zürcher Niederdorf zunächst vor allem Polizisten und Journalistinnen in Stellung bringen, plätschert rund fünf Kilometer weiter stadtauswärts der Leutschenbach friedlich vor sich hin. Im «Arena»-Studio 8 ist von der abwartend nervösen Stimmung in der Zürcher Innenstadt wenig spürbar.
An den zwei Wochenenden zuvor hatten Jugendliche rund um den Roten Platz in St.Gallen randaliert. Was als Party begann, endete mit einem Grossaufgebot der Polizei, kaputten Schaufenstern, hunderten Wegweisungen – und vielen Menschen in der Schweiz, die sich fragten: Was ist da los bei den Jungen?
Dem will auch SRF-Moderator Sandro Brotz nachgehen und lädt einen Mix an jüngeren und älteren Politikerinnen in seine Jugend-«Arena». Von ihnen sind alle überzeugt, zu wissen, wo der Schuh bei den Jugendlichen drückt: Die Grünen-Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber ist der Meinung, der Bundesrat habe die Jungen bei der Pandemiebekämpfung zu wenig eingebunden. FDP-Ständerat Ruedi Noser findet, man habe von den Jungen viel verlangt und müsse ihnen nun Vorzüge gewähren. Andreas Gerber, Vizepräsident der Jungen SVP fordert schnelle Öffnungen von Beizen und Clubs. Hingegen Juso-Präsidentin Ronja Jansen ruft zu Geduld auf und einem Dialog mit den Jungen.
In der hinteren Reihe sitzen jene, um die es bei der Debatte eigentlich geht: Junge Erwachsene, die seit über einem Jahr auf vieles verzichten müssen, und dies bisher meistens still, aber nicht ohne zu leiden hingenommen haben. Was das bedeutet, schildert der 19-jährige Dan Zeller eindrücklich. Seit vergangenem Herbst studiert er Philosophie, Politik und Wirtschaft, hat die Universität aber noch nie von innen gesehen. Den Campus, die Mensa oder die Bibliothek kenne er nur aus Erzählungen. Auf Google Maps habe er sich Bilder davon angeschaut.
«Ich konnte noch niemanden kennenlernen, oder nur über Zoom. Das finde ich nicht cool.» Schwierig findet Zeller vor allem, dass es keine Perspektive gebe. «Niemand sagt uns, wie lange dieser Zustand noch fortdauert.» Man spreche über die Gastro, über Fitnesscenter, aber niemand spreche über die Universitäten. «Was ist mit uns?», fragt er und blickt erwartungsvoll zu den Politikern in der vorderen Reihe.
Diese schweigen etwas betreten. Noser bekundet sein Verständnis für den jungen Mann. Worauf die Jungen im letzten Jahr verzichtet haben, wisse er aus eigenem Haus. Seine fünf Kinder sind zwischen 16 und 25 Jahren alt. «Wenn ich in der Zeitung von einem 80-Jährigen lese, der die zweite Impfung erhalten hat und sich nun auf die Ferien auf Gran Canaria freut, dann verstehe ich, dass das für die Jungen sehr bitter ist.» Er findet darum, dass wenn man mit den Impfungen so weit sei, liege die Priorität bei den Jungen und nicht bei den Alten. «Das wäre echte Solidarität. Die Jungen haben sich für die Älteren ein Jahr zurückgenommen. Jetzt sollen sie die ersten sein, die einen gewissen Freiraum zurückbekommen.»
Solidarität mit den Jungen, das ist auch Jung-SVPler Gerber wichtig. Die einzige Lösung sei das, was seine Kollegen aus der Mutterpartei bereits seit Wochen runterbeten: Schnelle Öffnungen. «Wir sitzen seit über einem Jahr mit diesen Massnahmen fest. Die Zahlen sind jetzt ganz klar so, dass man öffnen kann.» Er ist überzeugt: «Besonders die Jungen wollen auftun.»
Dan Zeller hat eine andere Idee, wie eine echte Solidarität gegenüber den Jungen aussehen könnte: «Jetzt verlangt man von uns Jugendlichen, kürzerzutreten. Es wäre cool, wenn sich nach Covid die Älteren ein bisschen zurücknehmen könnten, wenn es ums Klima geht.» Denn das sei etwas, das die Jungen stärker betreffen werde als die Alten.
Die Massnahmen zu lockern und alles wieder aufmachen, findet Dominique Zbinden eine verlockende Vorstellung. Der 19-jährigen Praktikantin macht zu schaffen, dass es keine unbeschwerten Momente mehr gibt. Über allem schwebe ein ständiger Druck und eine Angst, sich falsch zu verhalten. Auch fehle ihr, dass man keine neuen Leute mehr kennenlerne. Und doch denkt sie, eine Öffnung wie sie der Jung-SVPler Gerber fordert, wäre der falsche Weg aus der Pandemie. Und genau das sei das Paradoxe: Was es brauche, die Pandemie zu bekämpfen, widerspreche dem, was den Jungen jetzt guttäte. «Hier den richtigen Weg zu finden, ist eine Gratwanderung.»
Juso-Präsidentin Jansen nervt, dass man aus dem Problem einen Generationenkonflikt macht. «Die Jungen sind nicht die einzigen, die in dieser Pandemie leiden. Man vergisst, dass zum Beispiel Pflegerinnen und Pfleger sehr viel opfern müssen.» Die Krise sei auch für Menschen, die wenig Mittel besitzen, sehr schwer auszuhalten. «Es sind nicht nur die Jungen, die es nicht mehr aushalten, es sind auch Menschen mit tiefen Einkommen.»
Den Jungen zuhören, auf sie zugehen, fragen, was sie brauchen, da sind sich die vier Studiogäste einig, das finden sie alle wichtig. Doch, fühlen sich die anwesenden Jugendlichen von den vier Politikerinnen und Politikern gehört? Wurden ihnen Perspektiven aufgezeigt? Gibt es einen Lichtblick am Ende des Tunnels?
Nicht wirklich. Flurina dell'Ava, 20 Jahre alt, Psychologie-Studentin, will sich keine falschen Hoffnungen machen. Zumindest zwei der vier Studiogäste hätten vor allem über Impfungen, Geld und Schulden gesprochen. Einfach zu öffnen komme für sie nicht infrage, die Vergangenheit habe ja bereits gezeigt, was dann passiere. «Von dem her spüre ich nicht wirklich eine Unterstützung von der Seite da drüben», sagt sie und zeigt auf Gerber und Noser, wobei sich letzterer etwas verlegen am Kopf kratzt.
Immerhin eine weiss am Schluss die Stimmung zu heben. Die Slampoetin Patti Basler protokollierte die Wortmeldungen während der Sendung aufs Genauste und fasst gekonnt zusammen: