Das hoch vertrauliche Papier fand letzte Woche, also kurz vor der Entscheidung zum EU-Rahmenabkommen, den Weg in die Öffentlichkeit – das Schweizer Radio berichtete gross, später dann auch das Schweizer Fernsehen.
Der Geheimbericht, der SRF zugespielt wurde, trägt einen unspektakulären Namen: «Institutionelles Abkommen: Mögliche Folgen eines Nicht-Abschlusses und Eventualmassnahmen.» Doch der Inhalt hat es in sich. Die Bundesverwaltung listet darin 24 Politikfelder auf, die betroffen wären, wenn der Rahmenvertrag mit der EU nicht kommt.
Am Mittwoch liess der Bundesrat dann den Vertrag auch tatsächlich scheitern. Er wollte das Dokument unter keinen Umständen der Öffentlichkeit zugänglich machen. Darum bekam es nicht einmal die Aussenpolitische Kommission (APK) des Parlaments. Nach der Indiskretion verlangte sie erneut, dass sie Zugang zum Dokument erhalte. Ohne Erfolg.
Jetzt gibt es ein rechtliches Nachspiel. Bei der Bundesanwaltschaft (BA) wurde Strafanzeige eingereicht, wie Recherchen zeigen. Gegenüber CH Media bestätigt die Bundesanwaltschaft: «Die BA hat gestützt auf die Strafanzeige ein Strafverfahren wegen des Verdachts der Verletzung des Amtsgeheimnisses (Art. 320 StPO) gegen Unbekannt eröffnet.» Die BA mache derzeit keine weiteren Angaben zum laufenden Strafverfahren, schreibt die Kommunikationsstelle.
Es ist die Landesregierung, die reagiert hat. «Ich kann bestätigten, dass der Bundesrat Strafklage eingereicht hat wegen Indiskretionen im Zusammenhang mit dem Dossier des Rahmenabkommens mit der EU», sagt Bundesratssprecher André Simonazzi. Mehr will auch er nicht sagen.
Recherchen zeigen, dass der Bundesrat die Strafanzeige schon vor einiger Zeit eingereicht hat. Es dürften damit mehrere Indiskretionen im Zusammenhang mit dem Rahmenabkommen von der Untersuchung der Bundesanwaltschaft betroffen sein.
In der Bundesverwaltung hat man schon seit längerem mit einer Untersuchung gerechnet. Alle Geschäfte zum Rahmenabkommen waren geheim. Sie gingen nicht über das übliche Bundesrats-Geschäftsregister.
Schon vor einer Woche hatte sich Bundesratssprecher Simonazzi sehr wortkarg gegeben auf die Frage, ob eine Strafuntersuchung im Raum stehe. «Ich habe dem nichts beizufügen, was ich dem Radio gestern gesagt habe», hielt er fest. Die Indiskretion im Zusammenhang mit dem Geheimpapier, das Radio SRF publizierte, hatte Simonazzi «aufs Schärfste» verurteilt, «weil sie den Interessen der Schweiz schadet.»
Kernstück der Indiskretionen ist neben dem Geheimbericht von SRF der Mitbericht, den Bundesrätin Viola Amherd in der Bundesratssitzung vom 12. Mai eingebracht hat. Noch am selben Tag berichtete der «Tages-Anzeiger» darüber. Er schrieb von einem «Geheimplan für einen Deal mit der EU» von Viola Amherd. Vieles deutet darauf hin, dass der Mitbericht dem «Tages-Anzeiger» vorlag.
Der Geheimbericht, den SRF in Teilen publizierte, verliert seine Brisanz nach dem offiziellen Ende des Rahmenabkommens keineswegs. Es kommt nämlich zum Schluss: In zehn Politikbereichen sind die Folgen eine Scheiterns schwerwiegend - etwa in der Landwirtschaft, beim Strom und bei der öffentlichen Gesundheit. Das Dokument zeigt aber auch auf, welche Gegenmassnahmen der Bund ergreifen würde, sollte die EU ihre Politik der Nadelstiche fortsetzen. Das könnte schon sehr bald aktuell werden.