Anfangs September erschossen zwei Polizisten der Stadtpolizei St.Gallen einen 22-Jährigen, der mutmasslich mit einer Metallpfanne eine Frau zu Tode prügelte. «Die Polizisten arbeiten momentan zu ihrem eigenen Schutz im Innendienst», teilt Dionys Widmer, Mediensprecher der Stapo St.Gallen mit. Ihnen steht das Angebot von internen Fachleuten oder externen Psychologen zur Verfügung.
Das Erlebte im Dienst kann schwer zu verarbeiten sein. Das weiss auch Polizist Jakob L.*. Er erinnert sich an einen Autounfall, bei dem ein Mann ums Leben kam. Der psychologische Dienst wurde für die überlebende Ehefrau aufgeboten. Bis dieser kam, sass Polizist L. mit ihr im Auto. «Das war sehr unangenehm», sagt er. Es war eines von vielen Erlebnissen, die im Polizeialltag vorkommen können. Mit einem Therapeuten darüber geredet hat der Polizist nie. «Es hat mich nicht gross belastet.»
Aber auch wenn etwas Schlimmeres passieren würde, würde er den psychologischen Dienst seines Polizeikorps nicht in Anspruch nehmen. Der Grund: Im Fall eines Gerichtverfahrens könnte der Polizeipsychologe belastende Aussagen machen, sagt der Polizist. «Wenn etwas Gröberes vorfällt, würde ich zu einem externen Psychologen oder zum Pfarrer gehen – jemand, der der Schweigepflicht unterliegt.»
«Von einem Polizist wird erwartet, dass er jede Situation meistert», sagt Johanna Bundi Ryser, Polizistin und Präsidentin des Verbands Schweizerischer Polizeibeamter (VSPB). Diese Erwartungshaltung könne dazu führen, dass einige Beamte nicht zum Psychologen gehen.
«Sie haben teilweise Angst, dass sich das auf ihre berufliche Laufbahn auswirken könnte», sagt Bundi Ryser. «Gerade wenn der psychologische Fachdienst im Korps institutionalisiert ist, sind sich Beamte zum Teil nicht sicher, ob das, was sie den Betreuern erzählen, zu ihren Vorgesetzten durchdringt.»
Nicht nur das Erlebte, sondern auch der steigende öffentliche Druck auf die Polizei ist belastend. Jede Bewegung, jeder Fehltritt wird mit dem Handy gefilmt. Die Clips verbreiten sich rasant im Netz, jüngst das Beispiel von der Eskalation bei der Räumung des Berner Bundesplatzes.
Grundsätzlich handeln Polizisten so, dass sie jederzeit gefilmt werden könnten. Das sagt VSPB-Präsidentin Johanna Bundi Ryser. Das Problem bei diesen Videos oder Fotografien sei, dass sie nur eine Momentaufnahme ohne Kontext zeigen würden. Man darf die Polizeiarbeit durch Filmen oder Fotografieren nicht behindern, sagt Bundi Ryser. «Gerade wenn jemand einem sehr nahe kommt, kann das für den Polizist bedrohlich sein.»
«Psychisch belastete Polizisten reagieren nicht einfach aggressiv», sagt der Polizeipsychologe der Stadtpolizei Zürich Heinz Dinkelacker. Belastende Erlebnisse führen eher zu körperlichen Anzeichen oder Albträumen, die man nicht mehr loswerde.
Die Mehrheit könne auch hohe Belastungen gut überwinden. Wenn das jemandem nach längerer Zeit nicht gelingt, empfehle er dieser Person den Hausarzt aufzusuchen oder eine Psychiaterin beizuziehen. Der psychologische Dienst der Stadtpolizei Zürich sei eine erste Interventionsstelle.
«Es sind nicht immer Einzelereignisse, die belasten, häufig ist es auch die Summe der Ereignisse», sagt Polizeipsychologe Dinkelacker und erzählt vom Fall eines Polizeifotografen. Über Jahre fotografierte dieser Unfälle, Tatorte, Leichen. «Bei ihm war es die überbordende Anzahl belastender Erlebnisse», sagt Dinkelacker. Der Fotograf trat schliesslich von seinem Dienst zurück.
Etwa die Hälfte der Polizeipsychologen waren früher Polizisten. Das schreibt die Assoziation der Polizeipsychologinnen und Polizeipsychologen der Schweiz (APPS) auf ihrer Homepage. «Es ist ein Türöffner, wenn man vorher Polizist war», sagt Heinz Dinkelacker. Bei ihm war das nicht anders. «Im Vergleich zu externen Psychologinnen finde anfänglich bei ratsuchenden Polizisten schneller Akzeptanz, weil sie mich teilweise schon kennen und ich ‹in Uniform› mit ihnen gearbeitet habe», sagt er.
Die psychologische Betreuung ist nicht in allen Polizeikorps gleich geregelt. Während die Stadtpolizei in Zürich einen institutionalisierten Dienst hat, wird es bei der Kapo St.Gallen anders gelöst. In der Ostschweiz arbeitet man häufig mit Peers, also Arbeitskollegen der Beamten, wie Mediensprecher Hanspeter Krüsi mitteilt. Ausserdem werde ein externer und anonymer psychologischer Dienst angeboten. «Den können sie konsultieren, ohne dass das Polizei-Kommando davon erfährt», sagt Krüsi. «Wir erhalten dann einfach die Rechnung vom Psychologen.»
Auf Bundesebene, beim Bundesamt für Polizei fedpol ist das anders. «Wenn ihr Arbeitsinhalt als besonders belastend eingestuft wurde, müssen die Mitarbeitenden obligatorisch zwei Mal jährlich zu einem Gespräch beim Psychologischen Fachdienst erscheinen», teilt Charlotte Graf Urwyler mit. Sie ist Leiterin des Psychologischen Fachdienstes von fedpol.
Auch die Kantonspolizei Zürich hat eine institutionelle Betreuungsstelle und ein Care Team, das aus Polizeipsychologen, Peers und einer Polizeiseelsorgerin besteht. Die Abteilung Betriebs- und Polizeipsychologie werde häufig beansprucht, teilt Carmen Surber vom Mediendienst mit.
Eine schweizweit einheitliche Regelung für Polizeikorps befürwortet Bundi Ryser, Präsidentin VSPB, nicht. Die Polizeiarbeit in urbanen Zentren und auf Partymeilen unterscheidet sich von Einsätzen in ländlichen Gebieten. «Es muss einfach die Möglichkeit geben, einen psychologischen Dienst in Anspruch zu nehmen.»
Dieser Meinung ist auch Charlotte Graf Urwyler, die neben ihrer Tätigkeit beim fedpol Vorstandsmitglied der APPS ist. Sie begrüsst, dass sich die Kantons- und Stadtpolizeikorps selbst organisieren. «Die Strukturen in den Korps sind unterschiedlich aufgebaut. Diese zu kennen erleichtert die Unterstützungsarbeit, die Beratung und nicht zuletzt das Vermitteln von weiterführenden Kontakten enorm.»
Eine psychologische Gesprächsmöglichkeit fände er für Polizisten wichtig, sagt Polizist Jakob L.. Für den Einzelfall wäre zudem die interne Unterstützung massgebend. «Man spricht immer von Fehlerkultur bei der Polizei, aber wenn man Fehler macht, fehlt sie.» Es würden direkt Konsequenzen gefordert, was zum Teil mit Entlassungen von Polizisten zusammenhängt. Das sorge für viel Druck auf die Beamten.
*Name von der Redaktion geändert
So etwas sollten alle Arbeitgeber anbieten (müssen)...
Wenn dies gilt, so zeugt dies von einem antiquierten Menschen/Männerbild.
Darauf folgt sinnigerweise:
«Man spricht immer von Fehlerkultur bei der Polizei aber wenn man Fehler macht, fehlt sie.»
Wenn Fehler - welche natürlich nie vorkommen - mit der Kündigung quittiert werden, dann würde ich Fehler tunlichst verwischen.
Fehlerkultur predigen und Kündigungen aussprechen ist so oder so völlig unbrauchbar.
Also leben Polizist*innen sehr auf sich selbst gestellt.
Wie, wenn der Beruf an sich nicht schon stressig genug ist.